Barbara Gegenhuber

Drogen


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intensivsten sexuellen Erlebnissen mit den attraktivsten Männern.

      Über zwei bis drei Jahre betrieb er dies sehr intensiv, manchmal mehrere Wochenenden in Folge. Mephedron war sein „Grundnahrungsmittel“ beim Ausgehen, dazu nahm er andere Drogen wie GHB oder Ketamin, je nachdem, was gerade aus einer relativ sicheren Quelle verfügbar war. Eine gewisse Ernüchterung folgte jedoch immer am nächsten Tag. Die Männer, die am Vortag noch so attraktiv wirkten, waren es bei genauerer Betrachtung gar nicht immer. Sie fanden einen selbst am nächsten Tag oft auch nicht mehr so toll wie noch am Vorabend. Bei manchen beruhte dies auf Gegenseitigkeit, bei manchen kratzte das aber am Selbstwert und frustrierte, wenn die schönen Erlebnisse nicht nachhaltig, sondern sehr schnell vergänglich waren.

      In dieser Zeit gab es auch eine Vielzahl besonders lustiger oder geiler Erlebnisse, die ihm noch gut in Erinnerung sind. Wie einmal, als er nach der Pride5 mit einem deutschen Notarzt und dessen Partner ins Hotel ging, um noch Sex zu haben. Die beiden spritzen sich Ketamin mit sterilen Einwegspritzen intramuskulär, etwas, das er noch nie zuvor gemacht hatte. Nachdem er sich eine Weile angesehen hatte, wie das bei den beiden wirkte, ließ er sich auch eine halbe Dosis spritzen, unter „ärztlicher Aufsicht“ quasi. In Kombination mit dem zuvor konsumierten Mephedron führte dies zu einem der sexuell intensivsten Erlebnisse, die er je hatte. Dennoch würde er es nicht wiederholen, sich etwas zu injizieren ist noch einmal eine andere Liga des Konsums, da ist doch eine psychische Schranke bei ihm vorhanden.

      Aber es gab auch ungute Erfahrungen, er erlebte Menschen auf Afterpartys, die GHB überdosiert hatten, krampften, von Freunden gestützt werden mussten, weil sie nicht mehr stehen konnten. Ihm selbst ist das nie passiert, auch weil er immer sehr auf Risikobeschränkung bedacht war. Beim Konsum von GHB sah er stets genau auf die Uhr, um zu kontrollieren, wann er wieder „nachlegen“ konnte, achtete generell und bei allen Substanzen darauf, die ihm „empfohlenen“ Dosen nicht zu überschreiten und immer nur Drogen von Menschen zu nehmen, die diese zuvor selbst auch probiert hatten. Die Ausnahmen davon kann er an einer Hand abzählen. Auch beim Mischkonsum war er sehr vorsichtig, so waren GHB und Alkohol zusammen für ihn tabu, auch wenn ihm andere erzählten, dass sie das regelmäßig problemlos machten. Weitergabe oder das Kontaktieren eines Dealers waren ebenfalls ausgeschlossen, die Angst, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, war zu groß. Mit Ausnahme des noch legal übers Internet erworbenen Mephedrons bezog er sämtliche Substanzen immer nur über Freunde. So war der Konsum für ihn relativ risikoarm, dennoch kam es nach einer Zeit zu einem Erlebnis, das ihm klarmachte, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.

      Sein damaliger Freund betrieb den Drogenkonsum sehr exzessiv, jedes Wochenende intensives Ausgehen und Konsumieren, langes Unterwegssein mit Afterpartys und Sex. Nach einem halben Jahr hatte er sechs Kilo abgenommen, fühlte sich kaputt und ausgelaugt. Obwohl er seinen Freund sehr liebte, machte er tränenüberströmt Schluss. Er hielt das intensive Drogenleben nicht mehr aus, die Trennung tat ihm sehr weh, war aber aus Selbstschutz notwendig. Dieses Erlebnis öffnete ihm ein wenig die Augen, so wollte er es jedenfalls nicht haben, weniger ist mehr. Von diesem Zeitpunkt an plante er seine Partys genauso wie die Pausen dazwischen. Wochenenden am Land mit Freunden, Radausflüge oder Kinoabende hatten genauso Platz wie hin und wieder ein Partywochenende mit Drogen und Sex.

      So wurden der Konsum und die intensiven Partys immer weniger, dazu kam eine gewisse Ambivalenz. Die Erlebnisse waren toll, aber auch nicht mehr so neu wie zu Beginn, der Kater an den drauffolgenden Tagen war unangenehm, die Vergänglichkeit der Erlebnisse ihm immer bewusster. Irgendwann merkte er, dass ihn das auf Dauer nicht weiterbrachte. Rückblickend bereut er nichts von dem, was er getan hat, das Risiko war für ihn tolerabel und die Erlebnisse toll und einzigartig. Irgendwann aber nützt sich alles ab und andere Dinge werden wichtiger. Alles hat seine Zeit, wie er gerne sagt.

      Derzeit lebt er in einer sehr liebevollen Beziehung, was ihm insgesamt mehr Befriedigung gibt als die teils härteren und letztlich unechten sexuellen Erlebnisse zuvor. Urlaub mit Freunden, Kuschelabende mit dem Partner, all das ist auch noch da, wenn man am nächsten Tag aufwacht. Die Befriedigung hält wesentlich länger als nur für ein Wochenende.

      Sorgen, dass der Konsum außer Kontrolle gerät, machte er sich nie. Vor allem auch deshalb, weil er sich selbst ganz strenge Regeln auferlegte in Hinblick auf Häufigkeit und Safer Use. Im Umgang mit Regeln war er immer gut und er wusste zumindest immer genau, wo er nicht hinwollte, in die Abhängigkeit. Michael glaubt, dass es für ihn auch sehr wichtig war, dass er selbst in seiner intensivsten Partyzeit darauf achtete, auch seine Kontakte, die kaum oder gar nichts mit der Partyszene zu tun hatten, immer intensiv weiterzupflegen und sich dadurch immer bewusst zu halten, dass es auch im „realen Leben“ sehr viel Schönes für ihn zu erleben gibt. Dies und vermutlich auch eine Portion Glück haben ihm geholfen, aus zehn Jahren regelmäßigen Freizeitdrogenkonsum gesund wieder auszusteigen.

       GEBRAUCH – MISSBRAUCH – ABHÄNGIGKEIT. NICHT NUR DIE DOSIS MACHT DAS GIFT

      „Zwei Bier am Tag machen nichts aus, das trinkt doch jeder zum Entspannen nach der Arbeit.“

      Über den Konsum von berauschenden Substanzen gibt es eine Reihe von sich hartnäckig haltenden Mythen und Vorurteilen, die in Diskussionen zu dieser Thematik immer wieder hervorgeholt werden. Ganz weit vorne liegt der Glaube, dass Sucht eine Willensschwäche ist und keine Erkrankung. Andere Menschen würden es auch schaffen, mit Krisen und problematischen Lebenssituationen umzugehen, ohne abhängig zu werden. Jeder kennt irgendjemanden, der es schwer im Leben hatte und nicht abhängig wurde. Aber selbst wenn – es reiche doch der bloße starke Wille, um wieder aufzuhören, alles andere sind nur faule Ausreden.

      Auf der anderen Seite hört man aber auch, dass der einmalige Konsum einer Substanz sofort süchtig mache, auch mir sind noch die warnenden Worte aus meiner Jugendzeit in Erinnerung, dass schon einmaliger Heroinkonsum abhängig mache und auch Cannabis eine höchst gefährliche Droge sei. Gar nicht zu sprechen von den vielen neuen „Teufelsdrogen“, über die man in regelmäßigen Abständen in sozialen Medien zu lesen bekommt, die unweigerlich nach dem ersten Konsum in die Abhängigkeit und den Abstieg führen würden. Der Mythos der hochgefährlichen Killerdroge hält sich bis heute hartnäckig. Im Umgang mit Cannabis hat sich hingegen in den vergangenen Jahren einiges geändert, viele Menschen sind sogar mittlerweile der Ansicht, dass es völlig harmlos ist. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Ein einmaliger Heroinkonsum macht noch niemanden unweigerlich abhängig – wenngleich er falsch dosiert durchaus tödlich enden kann –, ein regelmäßiger Cannabiskonsum hingegen muss nicht immer harmlos sein, auch wenn er es in vielen Fällen ist. Also was ist es, was Menschen abhängig macht? Die Droge an sich? Der Mensch, der sie konsumiert? Das Umfeld, das Jugendliche dazu bringt? Und wie viel ist denn eigentlich zu viel, wann wird es gefährlich und wie lange kann man psychoaktive Substanzen zu sich nehmen, um noch im Rahmen zu bleiben? All diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen.

      Seit Menschengedenken gibt es das Bedürfnis nach Rausch und der Veränderung von Bewusstseinszuständen. Archäologische Ausgrabungen förderten fossile Überreste von psychoaktiven Pflanzen zutage, die zurück bis in das Jahr 8000 v. Chr. reichen. Das erste alkoholische Getränk stammt aus einer Zeit weit vor Christi Geburt, schon damals wurden Naturdrogen in der Heilkunde, aber auch zur Erzeugung von Rauschzuständen eingesetzt. Im Mittelalter war der übermäßige Konsum von Alkohol vor allem im Adel weit verbreitet, Ärzte und Apotheker stellten Extrakte aus Blättern her, um sie zu medizinischen Zwecken, aber auch zur genussvollen Berauschung einzusetzen. Drogen sind keine Erfindung der Neuzeit, sie wurden schon lange vor unserer Zeit als Medizin, bei religiösen oder schamanischen Ritualen oder einfach zur Erzeugung von Rausch und Euphorie eingesetzt.

      Dieses Bedürfnis nach Rausch findet sich überall in der Gesellschaft, in allen Kulturen und allen Altersgruppen. Kleine Kinder drehen sich so lange im Kreis, bis ihnen schwindlig wird, fahren Karussell und lachen vor Freude über die leichte Vernebelung des Bewusstseinszustandes. Jugendliche und Erwachsene steigen in die Achterbahn oder springen, angehängt an ein Gummiseil, von hohen Brücken, um das Erlebnis des Adrenalinkicks einzusaugen.