Rauschzuständen. Auch der Genuss von Substanzen zur Leistungssteigerung ist in unserer Gesellschaft normal und anerkannt, Menschen trinken Kaffee und Energy-Drinks, um wacher zu werden, Alkohol, um in eine fröhliche Stimmung zu kommen, oder sie rauchen Zigaretten, um die Nervosität vor einer Prüfung oder einem wichtigen Gespräch auszuhalten. Etwas, das im Übrigen rein physiologisch kontraproduktiv ist, Nikotin aktiviert das Nervensystem und trägt eher dazu bei, unruhiger zu werden statt entspannter. Ein Effekt, der also nur psychologisch zu erklären ist. Wir klammern uns an Gewohnheiten, um ruhiger zu werden, halten uns an Vertrautes, um mit der Angst und Nervosität besser umzugehen. Der Rausch und das Bedürfnis danach ist nichts Außergewöhnliches und auch nichts, das generell zu verurteilen ist – die meisten Menschen konsumieren ab und zu irgendwelche psychoaktiven Substanzen. Manche, um Freude und Entspannung zu finden, manche, um die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern, manche, um mit Leidenszuständen besser umgehen zu können.
Der Gebrauch von bewusstseinsverändernden Stoffen kann durchaus befriedigend sein, problematisch ist aber, dass das, was für den einen in einer bestimmten Situation harmlos ist, für den anderen gefährlich sein kann. Einem psychisch gesunden Erwachsenen wird der gelegentliche Konsum von Cannabis kaum Schaden zufügen, einem zu Psychosen neigenden Jugendlichen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schon. Insofern ist es wichtig, den Konsum von psychoaktiven Substanzen differenziert zu betrachten, nach der Person, die sie konsumiert, dem Umfeld, in dem sie sich befindet, und der Substanz an sich.
Nicht jeder Konsum führt sofort in die Abhängigkeit. Wenn dies so wäre, müsste es in Österreich etwa 95 Prozent Alkoholabhängige geben – statistisch gesehen haben nämlich nur etwa fünf Prozent der Österreicher*innen noch niemals in ihrem Leben Alkohol konsumiert. Demnach unterscheidet man zwischen verschiedenen Konsumformen, nämlich Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit. Wann in welcher Situation bei welcher Person was zutrifft, ist leider kein geradliniger, simpler Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, sondern ein eher komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren.
Betrachtet man die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung, kommt man nicht um eine Begriffsdefinition herum. Wann spricht man überhaupt von einer Abhängigkeit, wann ist der Konsum einer Substanz schädlich und wie lange ist er noch im Rahmen? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht so einfach, wie es scheint. Hat jemand, der täglich zwei Bier trinkt, ein Alkoholproblem? Die Antwort ist vermutlich ganz klar Jein. Zum einen, weil sich eine Abhängigkeit nicht nur nach der Menge der konsumierten Substanz bemisst, zum anderen, weil die Grenzen zwischen Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit fließend sind. Auch das Vorhandensein körperlicher Entzugserscheinungen ist nicht zwingend für das Konstatieren einer Abhängigkeit erforderlich, am deutlichsten ist das bei der Spielsucht oder anderen nicht substanzgebundenen Süchten zu sehen. Aber auch einige psychoaktive Substanzen, wie beispielsweise Kokain, rufen keine körperlichen Entzugserscheinungen hervor, können jedoch stark süchtig machen. An der Substanz kann man Abhängigkeit also nicht festmachen, und an einzelnen Folgeerscheinungen auch nicht. Dennoch gibt es Definitionen dahingehend, was noch als normaler Konsum, als schädlicher Gebrauch oder schon als Abhängigkeit gilt. Die in Europa geläufigste Definition ist die der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen des ICD-11, dem Manual zur internationalen Klassifikation von Erkrankungen (International Classification of Diseases), die zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit unterscheidet [134].
GEBRAUCH
Von Gebrauch spricht man, wenn Alkohol oder andere psychoaktive Substanzen in einem normalen, unbedenklichen Ausmaß konsumiert werden, ein kontrolliertes Konsumverhalten vorliegt, das primär dem Genuss dient. Ein gutes Glas Wein zum Essen, ein kühles Bier an einem heißen Sommertag, ein Glas Prosecco zum Anstoßen beim Geburtstagsfest. Eine Substanz wird zu bestimmten Gelegenheiten konsumiert, in einer überschaubaren Dosierung und zum Zweck, angenehme Gefühle herbeizuführen. Beim Genuss spricht man von einem bewussten und risikoarmen Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Etwas, das es im Übrigen nicht nur mit Alkohol gibt, sondern durchaus auch mit anderen Substanzen. Nach dieser Definition sind sowohl der gelegentliche Konsum von Alkohol wie auch der Konsum von illegalisierten Substanzen wie Cannabis oder Kokain in derselben Kategorie, wobei man bei Letzterem auch von experimentellem Gebrauch (Probierkonsum) spricht.
Der Probierkonsum von Kokain oder Ecstasy wird von der Mehrheit der Menschen in Mitteleuropa vermutlich als wesentlich gefährlicher eingestuft als der gelegentliche Konsum von Alkohol. Dies hat weniger mit der Substanz an sich zu tun als mit unserem kulturellen Umgang damit. Alkohol ist den meisten Menschen in unserer Kultur bekannt, wir wissen über die Wirkung und die Risiken, die der Konsum mit sich bringt, Bescheid. Dinge, die man kennt und besser handhaben kann, sind in der subjektiven Wahrnehmung mit einem geringeren Risiko verbunden. Wenn man sich die Verkehrstoten in Zusammenhang mit Alkohol ansieht, stimmt das aber wieder auch nicht.
Selbsttest
Um ein Gefühl für die Einschätzung des Ausmaßes des Substanzkonsums zu bekommen, möchte ich Sie einladen, folgenden Selbsttest6 zu machen:
Punkte | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 |
Wie oft nehmen Sie alkoholische Getränke zu sich? | niemals | einmal im Monat oder seltener | 2- bis 4-mal im Monat | 2- bis 3-mal pro Woche | 4-mal oder öfter pro Woche |
Wenn Sie alkoholische Getränke trinken, wie viele Gläser trinken Sie dann typischerweise an einem Tag? (Ein alkoholhaltiges Getränk ist z.B. ein kleines Glas oder eine kleine Flasche Bier, ein kleines Glas Wein oder Sekt, ein einfacher Schnaps oder ein Glas Likör.) | 1 – 2 | 3–4 | 5–6 | 7–9 | 10 der oder mehr |
Wie oft trinken Sie sechs oder mehr Gläser Alkohol bei einer Gelegenheit (z. B. beim Abendessen, auf einer Party)? | niemals | seltener als einmal pro Monat | einmal pro Monat | einmal pro Woche | täglich oder fast täglich |
Wie oft haben Sie in den letzten 12 Monaten erlebt, dass Sie nicht mehr mit dem Trinken aufhören konnten, nachdem Sie einmal begonnen hatten? | niemals | seltener als einmal pro Monat | einmal pro Monat | einmal pro Woche | täglich oder fast täglich |
Wie oft passierte es in den letzten 12 Monaten, dass Sie wegen des Trinkens Erwartungen, die man normalerweise an Sie hat, nicht mehr erfüllen konnten? | niemals | seltener als einmal pro Monat | einmal pro Monat | einmal pro Woche | täglich oder fast täglich |
Wie oft brauchten Sie während der letzten 12 Monate am Morgen ein alkoholisches Getränk, um sich nach einem Abend mit viel Alkoholgenuss wieder fit zu fühlen? | niemals | seltener als einmal pro Monat | einmal pro Monat | einmal pro Woche | täglich oder fast täglich |