organisatorischen Einheiten in agilen Systemen bilden sich dementsprechend primär nach Objekten, anstatt funktional nach Verrichtungen. Die Objekte können ähnlich wie bei der divisionalen Organisationsstruktur z. B. Produkte, Kundengruppen, Regionen oder auch Technologien sein (vgl. Kapitel 3.3). In agilen Strukturansätzen (vgl. Kapitel 8) werden solche Module häufig als Kreise dargestellt, in Abgrenzung zu den Kästchen in klassischen Organigrammen.
Die Module können unabhängig voneinander entwickeln, produzieren und testen. Die Modularisierung ermöglicht eine höhere Flexibilität und erlaubt einen stärkeren Fokus durch die schnittstellenarme Organisation der einzelnen Einheiten. Ein Vergleich zwischen monolithischen und modularisierten Systemen zeigt, dass die Zerlegung eines Gesamtsystems in kleinere schnittstellenarme Einheiten höhere Geschwindigkeiten und Flexibilität ermöglicht. Während in monolithischen Systemen die Entwicklung und das Testen einzelner Services oder Funktionalitäten (Features) jedes Mal den Aufbau des kompletten Prototyps als Gesamtsystem mit dem vollen Funktionsumfang erfordert, erlaubt ein modulbasiertes Vorgehen die kontinuierliche und parallele Entwicklung und Verbesserung einzelner Inkremente (vgl. auch den Beitrag von BREHM).
Modulbasierte Ansätze finden sich z. B. in sogenannten Micro-Services wie sie von AMAZON oder NETFLIX eingesetzt werden, um ihre Online-Dienstleistungen bereitzustellen. Nach dem Prinzip der Funktionsbindung stellt ein Micro-Service bzw. ein Modul immer eine fachliche Einheit dar, sodass sich Anforderungen jeweils nur auf einen Micro-Service beziehen.103 Module müssen also so voneinander abgegrenzt werden, dass sie möglichst wenig Schnittstellen untereinander haben und unabhängig gestaltet werden können. Durch diese Entkoppelung können Teams parallel und losgelöst voneinander arbeiten. Die Integration einzelner Module wird durch entsprechende Plattformen bzw. Infrastrukturen sichergestellt, das sind Standardschnittstellen, die die Kompatibilität verschiedener Baugruppen oder Module gewährleisten. Das Modulkonzept macht sich auch die Industrie zunutze, denn zunehmende Dynamik, steigender Zeitdruck und lange Zuliefererketten, beispielsweise im Maschinen- und Anlagenbau, erfordern flexiblere Prozesse, damit sich Entwicklungs- und Herstellungszeiten nicht unnötig in die Länge ziehen. Es gilt daher, die System- oder Produktarchitektur in überschaubare und abgrenzbare Module mit klar definierten Schnittstellen zu zerlegen („Plug & Play-Struktur“). Jedes Modulteam erhält dadurch seine eigene End-to-end-Sicht, die ziel- und ergebnisorientierte Ausrichtung der Tätigkeiten lässt sich leichter herstellen – die Identifikation mit dem eigenen Handeln wird gestärkt, was wiederum positiv auf das selbstorganisierte und eigenverantwortliche Verhalten der Akteure ausstrahlt.
Verändert sich die Ausrichtung in den Modulen, beispielsweise aufgrund neuer technologischer Anforderungen bzw. sich ändernder Kundenerwartungen, dann sind Anpassungen auf der Handlungsebene leichter nachzuvollziehen und können schneller umgesetzt werden. Reaktionsfähigkeit und -geschwindigkeit sind in solchen Systemen typischerweise höher als in funktional ausgerichteten Strukturen, in denen Veränderungen und Anpassungen lange Entscheidungswege nach sich ziehen, die zudem oftmals getrennt von den ausführenden Tätigkeiten auf der Handlungsebene über verschiedene hierarchische Leitungsebenen laufen.
Die eigentlichen Auslöser oder Beweggründe einer Entscheidung oder der Entscheidungskette drohen in hierarchischen Systemen zu verwässern – sie bleiben oft denjenigen verschlossen, die diese Entscheidungen letztlich umsetzen sollen. Die strukturell herbeigeführte Trennung zwischen Entscheidung und ausführender Handlung, die ursprünglich dazu diente, Systeme transparenter, steuerbarer und damit effizienter zu machen, erzeugt in der VUCA-Welt das Gegenteil. Hinzu kommt, dass die Einstellungs- und Verhaltensakzeptanz der Akteure permanent strapaziert wird, wenn die Änderungen nicht nachvollziehbar sind und wiederholt erklärt werden müssen. Der Anteil an offenen und verdeckten Opponenten ist in hierarchischen Strukturen daher fast zwangsläufig höher als in agilen Strukturen, in denen Entscheidung und ausführende Handlung – „Denken und Machen“ – eigenverantwortlich und selbstorganisiert erfolgen und dort stattfinden, wo der Objektbezug, der direkte Markt- bzw. Kundenkontakt, besteht.
Ein Beispiel für autonome Module liefert auch BUURTZORG, ein niederländischer Anbieter ambulanter Pflege.104 Das Unternehmen ist in über 900 sich selbst organisierende, agile Teams bzw. autonome Module aufgeteilt, mit je 12 Pflegekräften. Jedes Team hat ein Gebiet mit 10.000 Einwohnern und entscheidet eigenverantwortlich über Kundenakquise/-betreuung, Raummietungen und Mitarbeiterrekrutierung, sowie die zugehörigen Zeitpläne und Budgets. Zur internen Koordination haben die Teams bei BUURTZORG jeweils gleichartige Rollen, wie Planer, Entwickler, Haus- und Schatzmeister, Leistungskontrolleur und Mentor. Diese werden von den Pflegekräften in Teilzeit übernommen. Alle Mitarbeiter werden darin geschult, Entscheidungen in der Gruppe zu treffen, Konflikte zu lösen und sich gegenseitig zu coachen. Dadurch sind die Teams sehr autonom und können sich schnell an Veränderungen und spezifische Kundenbedürfnisse anpassen. Die Fluktuation ist nur halb so hoch wie bei den Wettbewerbern, die Kundenzufriedenheit um 30% höher. Zur Sicherung der Koordination und Effizienz gibt es zwar eine Zentrale, diese umfasst aber nur 50 Verwaltungsmitarbeiter (insb. in der IT), 36 Coaches und 2 Direktoren. Die Gemeinkosten liegen 2/3 unter dem Durchschnitt der Wettbewerber.
Wenn Produkte bzw. End-to-end-Prozesse die Zusammenarbeit von mehreren agilen Teams bzw. Modulen erfordern, bedarf es aber (nach wie vor) entsprechender Koordinationsstrukturen, die einerseits eine integrierte Gesamtleistung gewährleisten, andererseits den agilen Teams eine möglichst große Autonomie ermöglichen. Wie dies aussehen kann, erläutert beispielsweise Kapitel 8.2 am SPOTIFY-Modell.
Lose Koppelung
Weil sich Abhängigkeiten zwischen agilen Teams bzw. Modulen i. d. R. nicht gänzlich vermeiden lassen, streben agile Strukturansätze typischerweise nach einer „losen Kopplung“ der Module.105 Dabei werden die Interdependenzen bzw. Schnittstellen zwischen den Modulen möglichst gering gehalten, sodass die Handlungen eines Moduls nur geringe Auswirkungen auf die anderen Module haben. Änderungen können dann in einem Modul stattfinden und brauchen keine größere Abstimmung, dadurch wird das gesamte System anpassungsfähiger. Lose Kopplungen sind somit ein Kompromiss zwischen eng gekoppelten Strukturen und Prozessen sowie vollkommen unverbindlichen Beziehungen (vgl. den Beitrag von BREHM). Bei NETFLIX spricht man von „hochgradig abgestimmt, lose verknüpft“.106
Ein solcher Ansatz findet sich beispielsweise auch beim chinesischen Haushaltsgerätehersteller HAIER. Das Unternehmen hat sich in über 4.000 sogenannte „Microenterprises“ (Mikrounternehmen) aus meist 10-15 Mitarbeitern unterteilt, die weitgehend autonom handeln und jeweils einem (externen oder internen) Kunden gegenüber verantwortlich sind. Inhaltlich zusammenhängende Mikrounternehmen bilden eine lose gekoppelte gemeinsame Plattform (z. B. für Kühlschränke). Die Koordination erfolgt nicht top-down, sondern durch die Abstimmung zwischen den autonomen Mikrounternehmen.107
Die lose Kopplung kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, z. B. durch
personelle Verknüpfungen (bei Holacracy bspw. Lead Link und Rep Link, vgl. Kapitel 8.3),
koordinierende Rollen (bei SPOTIFY bspw. Tribe Leads, vgl. Kapitel 8.2) bzw.
koordinierende Einheiten (beim kollegialen Kreismodell bspw. Koordinationskreise, vgl. Kapitel 8.4) oder
Abstimmungsmeetings (bei Holacracy bspw. Tactical und Governance Meetings im übergeordneten Kreis, vgl. Kapitel 8.3).
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