Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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gewährte einer buntgefleckten Hündin Obdach, die sich diesen Platz mit freundlichem Gewedel und unterwürfigem Verhalten erbettelt hatte. Sie war ausgesprochen still und so wurde es fast übersehen, wenn sie anwesend war.

      Kämenaw Nuki hielt sie für schlau und fütterte sie schmunzelnd mit einigen Leckereien und Knochen. Die Hündin wedelte jedes Mal in ihrer scheuen Art und schien stets sehr zufrieden zu sein. Sie bettelte nicht, sondern wartete ab, was die Menschen ihr zugedachten. Die Mutter nannte sie „Kleiner Fleck“, weil sie sich so zusammenkringelte, dass man fast über sie stolperte. Machwao nahm den Hund nicht zur Kenntnis. Für ihn waren Tiere in erster Linie Beute.

      Die Menominee aßen keine Hunde, aber sie hatten auch keine besonders innige Beziehung zu ihnen. Im Rudel waren sie eher lästig, frech und unberechenbar. Aber es gab eine Geschichte darüber, wie die Hunde als Geschenk der Wölfe zu ihnen gekommen waren, und so wurden sie geduldet. Es gab Männer, die einen Hund sogar mit zur Jagd nahmen, doch Machwao fürchtete, dass der Hund mit seinem Gebell das Wild verscheuchte. Er kannte die Geschichte, wie die Hunde zu den Menschen gekommen waren und hatte sie früher gern der Schwester erzählt. Schon damals waren sie großartige Diebe gewesen. Die Legende erzählte, dass die Hunde ursprünglich mit den Wölfen gelebt hatten und ihnen dienen mussten. Doch dann kamen die Wölfe auf die Idee, die Hunde auszuschicken, um den Menschen das Feuer zu stehlen. Die Wölfe hatten es erst selbst versucht, weil sie die Menschen um das Feuer beneideten. Als sie mehrmals gescheitert waren und sich fürchterlich die Pfoten verbrannt hatten, schickten sie die Hunde los, um diese Aufgabe zu erledigen. Die Hunde entschieden jedoch, dass auch sie sich nur die Pfoten oder das Maul verbrennen würden, und entschieden, lieber bei den Menschen zu bleiben. Da die Menschen die Wölfe fürchteten, beschlossen die Hunde, sich zu verstellen. Sie machten sich ganz klein, kniffen den Schwanz ein und schauten besonders treuherzig zu den Menschen auf, als würden sie sich fürchten. Ein Mann, der von den Wölfen geträumt hatte, dachte, dass diese Hunde ein Geschenk der Wölfe wären, und erlaubte ihnen zu bleiben. Fortan lebten die Hunde bei den Menschen und genossen die Wärme der Feuer.

      Machwao hingegen sah immer noch etwas Falschheit in ihrem Verhalten und rollte jedes Mal mit den Augen, wenn er sah, wie die Hunde sich die Knochen stahlen. Ja, sie waren nach wie vor Diebe! Er duldete Kleiner Fleck, weil die Frauen ihre Freude mit ihr hatten, und nicht, weil er sie besonders mochte. Außerdem würde sie demnächst Junge werfen und er fürchtete schon den Tag, an dem hier kleine Welpen durch den Wigwam tobten.

       Über den Fluss

       (Alabama)

      Maisblüte wusste, dass sie diese Schmerzen nicht mehr lange aushalten konnte. Ihre Knöchel waren eine einzige schwärende Wunde und die letzten Pfeillängen des Marsches waren nur noch eine Tortur gewesen. Wie sollte sie mit diesen Verletzungen dem Mann eine Hilfe sein? Was er tat, ergab für sie keinen Sinn. Auch Nanih Waiya wurde still, als er ihre Schmerzen sah. Auch er verstand nicht, warum der Mann ihm gegenüber so gütig und seiner Schwester gegenüber so grausam war. Er benutzte die Schwester wie einen Hund, den man treten und schlagen konnte. Die Fremden aßen die Hunde sogar und er fragte sich, ob sie auch ihn und seine Schwester als Hunde betrachteten, die man essen konnte. Er hatte die Fremden in den letzten Tagen genau beobachtet und viele seltsame Dinge entdeckt. Zwei seiner Freunde, die überlebt hatten, waren inzwischen gestorben und verscharrt worden. Er konnte nicht erkennen, woran sie gestorben waren, aber es machte ihn misstrauisch. Auch einige Gefangene von anderen Stämmen waren gestorben und er erzählte seiner Schwester von seinen Entdeckungen.

      Maisblüte schwieg dazu. Wahrscheinlich waren die Frauen an den gleichen Entbehrungen gestorben, die auch sie erleiden musste. Einige hatten sich auch erhängt, wie es Vogel-im-Bach getan hatte. Ein Mädchen war an den Misshandlungen der Männer verblutet und ein anderes Mädchen eines anderen Volkes starb, als es viel zu früh ein Kind gebar. Auf dem langen Marsch hatte sie zum ersten Mal wieder mit anderen ihres Volkes sprechen können, die ihr diese grausamen Wahrheiten erzählt hatten. Alle litten unter den Demütigungen und der schweren Arbeit, die ihnen auferlegt wurde. Viele waren wie sie in Ketten gelegt worden, es gab aber auch Gefangene von Stämmen aus dem Osten, die sich ohne Fesseln bewegen durften. Es waren wenige. Maisblüte hatte verstanden, dass die meisten Gefangenen entweder gestorben oder, wenn sie Glück hatten, gegen Lebensmittel und andere Geschenke wieder ausgelöst worden waren. „Wenn wir ihnen nicht mehr nützlich sind, dann töten sie uns oder schicken uns weg!“, hatte eine Gefangene der Coosa erzählt. „Es wird auch nicht besser, wenn man ihre Kinder gebiert, denn für die Söhne der Sonne sind diese Kinder keine wahren Kinder, sondern nur weitere Sklaven.“

      Maisblüte hatte auch diese Worte verstanden. Bei ihrem Volk besserte sich der Status einer Gefangenen, wenn sie dem Volk Kinder gebar. Warum das bei den Fremden nicht so war, konnte sie nicht begreifen. „Manchmal freuen sie sich auch, wenn ein Kind geboren wird, aber meist wird die Frau dann weggeschickt. Eine Frau, die ein Kleines stillt, kann nicht so viel tragen und ist damit weniger wert.“

      Maisblüte wollte manchmal nichts mehr hören und sehen. Sie schlurfte in dem Tross aus Soldaten, Frauen und Kindern, sah, wie die seltsamen Schweine getrieben wurden und die Menschen Karren mit Rädern hinter sich herzogen. Diese Karren waren das einzig Sinnvolle, das sie bisher gesehen hatte, obwohl sie oft holpriges Gelände durchquerten, bei denen diese Karren eher hinderlich waren. Die Wege der Einheimischen waren Trampelpfade, die auf alten Wildwechseln entstanden waren. Sie waren kaum so breit, dass ein Karren auf ihnen gezogen werden konnte. Deshalb brauchten sie auch so viele Träger. Die Frauen schnauften unter der Last des Werkzeugs und der schweren Truhen. Es war kalt und viele hatten nicht genug Kleidung am Leib, weder die Fremden noch die Gefangenen.

      Zum ersten Mal erkannte sie, dass es auch um die Fremden nicht gut stand. Deshalb erbeuteten sie ja auch alles, was sie fanden. Für Maisblüte war das ein Hoffnungsschimmer. Die Kampfkraft der Fremden würde nachlassen. Ihre Aufmerksamkeit würde abgelenkt sein und dann konnte sie über Flucht nachdenken. Sie hoffte darauf, dass der Mann sie eines Tages wegschickte, weil er sie als Belastung sah oder er seine Vorräte nicht mehr teilen wollte. Sie war jung und hübsch. Vielleicht fand sie ein anderes Dorf, in dem sie leben konnte? Oder würden feindliche Krieger sie einfach töten, wenn sie auf sie stieß? Was geschah dann mit Nanih

      Waiya? Würde der Mann auch ihn wegschicken, wenn er ihrer überdrüssig wurde? Noch war sie nicht bereit, das Leben ihres Bruders zu gefährden oder ihn allein zu lassen.

      Also flehte sie zu Hashtali, damit er ein Einsehen hatte und sie endlich von diesen Schmerzen befreite. Keine Fesseln mehr, bitte, keine Fesseln mehr. Aber der Sonnenvater schwieg und ließ sie in ihrem Schmerz alleine. Ihre Züge verhärteten sich im Laufe der Gefangenschaft. Jeder Tag erschien ihr wie ein ganzes Leben. Sie nutzte jede Möglichkeit, um sich zu schonen, und bewegte sich nur, wenn der Mann es ihr befahl.

      * * *

      Dann ging auch das nicht mehr, denn der Tross war wieder nach Norden aufgebrochen. Vorbei war es mit der kurzen Pause und der Möglichkeit, ihre Gelenke zu schonen. Maisblüte stolperte schon seit Tagen in der Kolonne der Spanier und fragte sich, wann der Weg ein Ende hätte. Sie hatte die Wolken am Himmel beobachtet und wusste, dass sie Schnee brachten. Wieso rasteten die Fremden nicht? Der Winter war eine Zeit der Ruhe, doch diese Menschen schienen keine Ruhe zu kennen. Nanih Waiya fror erbärmlich und hielt sich nur durch Bewegung warm. Am Abend kuschelte er sich ans Feuer und hüllte sich in ein Fell, das kaum gegerbt war. Auch Maisblüte fror. Der Umhang war nicht geeignet, die Kälte auf lange Zeit abzuhalten. Sie brauchten eine Chukka mit Schutzwänden und dem heiligen Feuer in der Mitte. Das Zelt des Mannes nässte bei Regen durch, sodass die Ersatzkleidung feucht wurde. Maisblüte versuchte stets, die Kleidung am Feuer wieder zu trocknen, aber sie machte sich Sorgen, wie es weitergehen sollte.

      Zum Glück fror auch Juan, sodass sie hoffte, dass der Gouverneur bald ein Lager für den Winter aufschlagen ließ. Sie fragte sich nur, wie sie in den Zelten überwintern sollten. Sie dachte an ihr erhöhtes Schlafgestell, an die warmen Decken und das gemütliche Kissen in der Chukka ihrer Eltern. Dort hatten es Töpfe aus Ton gegeben, Löffel aus Horn, Körbe aus Binsen und stets gutes Essen. Vater hatte gejagt und gefischt, sie hatten Mais, Bohnen und Kürbis angepflanzt und die Früchte der Bäume gesammelt. Ihr Leben war gut gewesen, bis diese Fremden es in einem Tag