erwähnen einstimmig eingeladene Musiker aus den Nachbarkantonen, die mit Schwyzer Musikern zusammen das Jubiläumsorchester gebildet hätten. Fassbind beziffert die Zahl der eingeladenen Musiker mit 40. Diese seien «in alle Häuser einquartiert worden».194 So erübrigte sich vielleicht das «Lustlager», eine Art Gästeunterkunft, für welches die Kommission «1 Offizierszelt und 50 andere Zelte» aus Bern bestellen wollte.195 Die Organisatoren rechneten jedenfalls mit mehr auswärtigen Gästen, als die Gasthöfe in Schwyz aufnehmen konnten.
Aufgeführt wurde das Schauspiel Morgarten, oder der erste Sieg für die Freiheit. Ein helvetisches Staats-Schauspiel in drei Aufzügen, welches der Politiker Karl Müller-Friedberg bereits 1781 drucken und 1791 in Solothurn aufführen liess.196 Gewidmet den «freyen Männern von Uri, Schwyz und Unterwalden, Urvätern der helvetischen Freyheit», pries das langatmige Stück die Tugend, Freiheitsliebe und Todesbereitschaft der Heldenväter.197 Als kurzer Einblick in den Wortlaut seien zwei Zeilen zitiert: «Stauffach: So rächt sich der Edle, der Helvetier. Er verachtet, und vergisst.»198 Und: «Das Eisen schmilzt wie Wachs unter der schweren Hellebarde.»199 In der Schlachtdarstellung folgt Müller-Friedberg grösstenteils Tschudis Erzählung und betont, dass die Waldstätter auch in grösster Not die Hilfe der Verbannten ablehnten. Das «ehrwürdige», «geweihte» Panner von Schwyz hat in Müller-Friedbergs Schauspiel ebenso seinen Auftritt200 wie der Pfeil von Hünenberg, dessen Absender ein aargauischer «Edelmann» sei.201 Unter den Urner Mitkämpfern findet sich auch Tell, der den Pfeil schiesst, «der schon einmal für die Freyheit flog».202 Nicht nur der Warnpfeil kommt also im Stück vor, sondern auch jener Pfeil, den Tell auf den Apfel geschossen hat, fliegt während der Schlacht nochmals durch die Luft – sozusagen ein Pfeil aus der Vergangenheit.
Der Höhepunkt des Jubiläums fand am Mittwoch, 27. September statt. Die weltlichen und geistlichen Amtsträger versammelten sich um halb acht Uhr beim Rathaus. Um acht Uhr begleiteten die Herren einen Umzug zur nahen Kirche. Ein Schwyzer in alter Tracht trug das «Panner, so an der Morgartnerschlacht gebrauchet worden», vom Rathaus in die Kirche, begleitet von zwölf Männern, die «in alter Schwyzer Tracht mit Hellenparten erschienen, 4 von Schwyz, 4 von Uri, 4 von Unterwalden».203 Laut Fassbind gingen 100 Soldaten voraus und weitere 100 folgten dem Festzug. Ein «Knäblein trug einen Schild, worauf die Namen der Schlachten geschrieben standen, an denen dieses Panner wehte».204 Nach dem Gottesdienst brachte dieselbe Gruppe die Morgartenfahne «unter militärischer Bedeckung» zurück ins Haus von Alois Reding, der die Fahne in seinem Privathaus aufbewahrte, wie es der Bannerherr üblicherweise tat.205 Das «Panner» wurde wie eine Reliquie inszeniert: exklusiv in einer Prozession und einem Gottesdienst präsentiert und dann wieder aus den Augen des Publikums gebracht.
Laut Dekan Gissler, der gleich eine Rede halten sollte, war die Fahne an den Schlachten in Morgarten, Laupen, Sempach, Murten, Grandson und Bellenz, also von 1315 bis 1503 sechsmal, «das Vereinigungszeichen der Schwyzer» gewesen. Dieser Kumulierung von Schlachten unter einer Fahne widerspricht die neuere Forschung.206 Die Schwyzer haben dieser zufolge im 14. Jahrhundert eine Fahne nur einmal für eine Schlacht verwendet. Im Bundesbriefmuseum in Schwyz sind heute auch die Schwyzer Standespanner von Laupen 1339 und Sempach 1386 ausgestellt.207
Abb. 13: Die Morgartenfahne: Das Seidentuch wurde in den 1980er-Jahren textilhistorisch untersucht und auf den Anfang des 14. Jahrhunderts datiert.
Beim Banner, heute meist Morgartenfahne genannt, handelt es sich um ein rechteckiges, an den Rändern leicht angegriffenes Seidentuch, das ursprünglich rot eingefärbt, aber ohne Aufdruck war. In einer Ecke des Seidentuchs ist ein Zettel aus Pergament befestigt, auf dem die Fahne in Ich-Form Auskunft gibt: «Ao. Mcccxv. Den xcj. Wintermonat, halfen die von Schwytz mit hilf deren von Ury unndt Unterwalden under mir hertzog Lüpolt von Österrich obsigen am Morgarten.»208 Der Zettel wurde allerdings erst im 16. oder 17. Jahrhundert verfasst.209 Auch auf den anderen Schwyzer Landesfahnen wurden in derselben Zeit Zettel mit ähnlichem Wortlaut befestigt, was die «Personifikation dieser Feldzeichen» zeige, wie der Historiker Oliver Landolt schreibt.210 Die Morgartenfahne gilt heute laut der Historikerin Annina Michel als «einziges Objekt, das direkt mit der Schlacht am Morgarten in Zusammenhang steht».211 In der Morgartenfeier von 1815 erfüllte sie eine wichtige Funktion in der öffentlichen Inszenierung der Schlacht und wurde als Reliquie und Denkmal behandelt.
Die Morgartenfahne und andere Schwyzer «Siegestrophäen», wie sie der Schwyzer Kanzleidirektor Martin Styger 1915 nennt, waren angeblich während der Helvetik nach Bern gebracht worden und kamen wohl erst kurz vor 1815 nach Schwyz zurück. Martin Styger berichtet, dass die «Pergamenturkunde» an der Morgartenfahne versehentlich am Burgunder- und Schwabenkriegpanner gelandet und in Schwyz von Landammann Styger «nach genauer Prüfung, namentlich an Hand der Beschreibungen früherer Pannerfeste» wieder am richtigen Banner befestigt worden sei.212 Das Morgartenbanner war ein bereits bekanntes Inszenierungsmittel schwyzerischer Autonomie, in den Worten Oliver Landolts, der schwyzerischen «Landesehre», 213 das, vorübergehend verloren, nun wieder öffentlich in Besitz genommen wurde.
Nachdem die Morgartenfahne 1815 in einer feierlich-triumphalen Prozession vom Rathaus in die Schwyzer Pfarrkirche getragen worden war, wurde sie während der Rede des Dekans Gissler und des Hochamts in der Mitte der Kirche aufgestellt. Die Rede des Pfarrers von Attinghausen, dem betagten Dekan Gissler, druckte noch im selben Jahr der Verlag Benziger und Eberle in Einsiedeln als «Gelegenheits-Rede bey der fünfhundertjährigen Erinnerungsfeyer der Morgarter Schlacht».214 Gissler erzählte die Geschichte der Schlacht am Morgarten gemäss Tschudi und setzte sie mit längeren Bibelzitaten in Bezug zur Geschichte der Makkabäer und zum Kampf David gegen Goliath. Absicht seiner Rede war es, die jüngeren politischen Ereignisse in der Schweiz und vor allem den neuen Bundesvertrag in das Narrativ vom freien Vaterland einzuordnen und als Weg zu einer neuen Eintracht zu beschwören. Vor allem aber zielte Gisslers Rede darauf, das Bild der patriotisch Gesinnten als fromme und treue Beschützer der Kirche zu bestärken, wie es deren heldenhafte Väter gewesen seien. «Ja Brüder! Waldstätter! Ich beschwöre euch bey der heiligen Asche eurer Väter, […] ich beschwöre euch bey dieser ehrwürdigen Fahne, unter welche diese Treue und Eintracht geschworen, und sie am Morgarten zum Kampf und Siege angeführt hat […]». Und an die «Hochansehnlichen» unter den Gästen: «Verlassen Sie diese heilige Kriegsfahne, dieses kostbare Denkmal väterlicher Tapferkeit nicht, bis Sie unter demselben Nachfolge den Vätern, Treue den Bünden, und Eintracht den Brüdern gelobet haben […]».215 Es folgte ein Segen des Standes Schwyz und der «ganze[n] hochlöbliche[n] Eidsgenossenschaft»: «Bewahre, segne, heilige uns alle. Amen.»216 Nach dieser patriotischen und religionspolitischen Rede hielt der Abt des Klosters Einsiedeln, Konrad Tanner, das Hochamt, welches ein Schwyzer Orchester, das mit den eingeladenen Musikern aus den Nachbarkantonen verstärkt war, begleitete.217 Gissler bezieht sich in seiner Rede immer wieder auf die Morgartenfahne («ehrwürdige Fahne», «heilige Kriegsfahne», «kostbares Denkmal väterlicher Tapferkeit») und inszeniert sie als Beweis für die Taten der «Väter» und bindendes Schwurmittel für die anwesenden stilisierten «Söhne».
Um 12 Uhr stand laut Fassbind «eine prächtige Mahlzeit […] für mehr als 100 Personen» bereit, an welcher der Abt Tanner Platz nahm.218 Nicht Geladene bezahlten ihr Essen selbst.219 Es seien «über 50 frömdi Priester […] und unzählig viel hiesig und frömdes Volk» dabei gewesen.220 Um 3 Uhr nachmittags gab das Orchester nochmals ein Konzert. Laut dem Kommissionsentwurf hätte abends um 8 Uhr ein Ball stattfinden sollen, Fassbind erwähnt für den Mittwochabend sowohl eine erneute Aufführung des Morgarten-Schauspiels als auch ein Konzert und eine «Komedie», an welcher der Einsiedler Abt teilnahm. Laut Fassbind habe es Abt Konrad Tanner an der 500-Jahr-Feier in Schwyz gefallen, und am Donnerstagmorgen sei er mit seiner Begleitung – fünf Pater, «2 Tozet Sänger, Kammerdiener, Sigrist und 2 Bedienten» – «hochvergnügt» wieder abgereist.221 Fassbinds Tagebucheintrag gibt einen gespaltenen Eindruck wieder. Unzufrieden notierte er, dass für «die Comedie» die Gottesdienste verschoben werden mussten. Das Jubiläum sei aber