zeigt eine Widmung, die Georg ihm 1796 von seinem Sterbebett aus in die Schweiz schickte: ein Porträt mit dem Text «Hir blüht Dein Staub noch!», das Zschokke als Reliquie aus ferner Vergangenheit aufbewahrte.29 Der jüngste, damals noch nicht geborene Bruder Justus Christoph Heinrich (1789–1832) besuchte Zschokke 1811 in Aarau. Als er ihn auf seinen Aufenthalt in Schwerin ansprach, erfuhr er, dass Zschokke «aus diesem Zeitraume seines Jugendlebens manches aus dem Gedächtnisse entschwunden sei».30 Man kommt zum Schluss, liest man die «Selbstschau», nicht nur manches, sondern fast alles hatte er von Schwerin vergessen, abgesehen von der Landschaft, die er schwärmerisch besang.31
Auch zu dieser Phase in Zschokkes Leben sind die Informationen spärlich, und es ist nicht gesagt, dass wir hinreichende Kenntnisse haben, um wichtige Ereignisse und Entwicklungen nachzuvollziehen. So schrieb Zschokke, dass er sich in der Druckerei als Korrektor betätigt habe.32 Er könnte dabei mit Beckers «Noth- und Hülfsbüchlein» in Berührung gekommen sein. Die gedruckten Bogen kamen einzeln, unmittelbar nach ihrer Fertigstellung, aus der Druckerei in Gotha nach Schwerin und mussten nach der Vorlage neu gesetzt, korrigiert und gedruckt werden. Dabei erhielten die regionalen Ausgaben eine eigentümliche Ausprägung;33 Bezeichnungen und Namen wurden moderat dem jeweiligen Idiom angepasst: Sauerkraut wurde in Mecklenburg zu Sauerkohl, Schlozer zu Büdeltitt, der Pfarrer zum Pastor und die Bauern Görge und Nickel zu Jürgen und Niclas. Es gibt in «Eine Selbstschau» an dieser Stelle keinen Hinweis auf Beckers «Noth- und Hülfsbüchlein». Da Zschokke seiner Tätigkeit als Volkslehrer – so der Titel des fünften Kapitels im vierten Buch – besondere Aufmerksamkeit schenkte und Becker anderswo zweimal erwähnte, wäre dies aber zu erwarten gewesen. Wahrscheinlicher aber ist, dass er andere Dinge korrigierte und man das «Nothund Hülfsbüchlein» einem bewährten einheimischen Korrektor überliess, der wusste, wie eine beliebte Mehlspeise in Mecklenburg hiess, nämlich Klümpen statt Klösse.34
Zschokkes wichtigste Arbeit bei Bärensprung war die Gründung der «Monatsschrift von und für Mecklenburg», die ihn unter anderem dazu veranlasste, sich mit Land und Leuten auseinanderzusetzen.
MONATSSCHRIFT VON UND FÜR MECKLENBURG
Mit kaum 17 Jahren projektierte Zschokke seine erste Zeitschrift und setzte bei Bärensprung die grösste Innovation der vergangenen zwanzig Jahre in Gang. In «Eine Selbstschau» wird dies fast nur beiläufig angemerkt: «Ich [...] entwarf [...] die Herausgabe einer ‹Monatschrift von und für Mecklenburg›, welche wirklich nachher, unter Leitung eines Professors Wehnert, ans Licht trat.» In welchem Ausmass Zschokke daran beteiligt war, kann dank einigen bisher nicht bekannten Dokumenten präziser beantwortet werden, als die Mecklenburgische Pressegeschichte dies tut35 und es Carl Günther möglich war.36
Ankündigung der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» in der «Schwerinschen Zeitung, von den merkwürdigsten Staats-Geschichten» vom 17. April 1788 durch Zschokke und Wilhelm Bärensprung. Hier die Vorderseite des Prospekts.
Mitte April 1788 erschien in der «Schwerinschen Zeitung» ein Prospekt, der vom eigentümlichen Stil Zschokkes geprägt ist:37
«Ankündigung eines Journals von und für Meklenburg.
Oft überdenken wir in einsamen Feierstunden die Geschichte unsrer und der Vorzeiten; überdenken ernsthaft was wir izt sind und was wir einst waren; sehn, wie von Stufe zu Stufe der menschliche Geist allmälig sich und andre um ihn vorhandene Gegenstände, erhöhte und polizirte; werfen dann einen, wiewohl nur matten Blik in die verschleierte Zukunft und stille Ahndungen steigen alsdann in unsrer Seele auf. – Solche Stunden sind oft die süssesten des ganzen Tags. Dann sezzen wir uns zu einem kleinen, freundschaftlichen Kreise und ergiessen unsre Empfindungen. Warme Vaterlandsliebe belebt unsern Geist, und Feuer des Patriotismus giebt unsern Worten Kraft und Energie. –
Aber warum erwerben wir uns solcher Stunden nicht mehr? – warum fachen wir den glimmenden Funken der Liebe fürs Vaterland nicht mehr in uns an, ihr Meklenburger! wessen ist die Schuld? –
Schon vieles wurde über die Mittel, Vaterlandsliebe zu erwekken, geschrieben, aber immer bleibt doch das bewährteste folgendes: daß man ein Volk mit sich selber bekannter machen, ihm Vorzüge und Fehler seiner selbst offenbaren und Gefühl und Geschmak für das wahre Schöne in ihm ausbreiten mus.
Wir haben uns vorgenommen diesem Ziele entgegen zu arbeiten; Liebe für Fürsten, Obrigkeit und unsern väterlichen Heerd zu befördern; unsre Mitbürger mit Kenntnissen, die auf Geist und Karakter gleichen Einflus haben, zu bereichern, mit Kenntnissen, die theils aus der Vaterlandsgeschichte, theils aus der Natur desselben hergenommen sind. – Damit wir aber allgemeiner und nuzbarer werden, wollen wir unsrer Schrift die Gestalt eines Journals, einer Monatsschrift geben, weil diese Art Schriften in unserm Decennio die beliebteste und gewöhnlichste ist.
Wir werden hierinn die Geschichte Meklenburgs angenem und im erzälenden Tone fragmentarisch vortragen; dies für den edlen, patriotischen Meklenburger, der lüstern nach der Kronik seines Vaterlands ist. Ein Gedanke, ein Wunsch, der schon einmal in der Monatsschrift für Kinder und ihre Freunde (2ten Jahrgangs 2tes Stück pag. 100) geäussert wurde. Ferner sollen politische Aufsäzze mit statistischen, litterarische mit philosophischen, biographische mit moralischen abwechseln, so, daß der einsame Denker und Weise eben so wohl, als der Geschäftsmann, Bürger und die Dame an ihrer Toilette, Stoff zum Nachdenken und Vergnügen für sich finde. Auch werden wir Poesien in unser Werk aufnemen, doch müssen sie Produkte eines Meklenburgischen Dichtergenies sein und sich durch Wiz und Eleganz empfelen. Aber dies soll uns nicht fesseln ausländische Meisterstükke, welche mittel- oder unmittelbaren Bezug auf unser Vaterland haben können, mit einzurükken.
Vorzüglich ersuchen wir Meklenburgs Adel, Ämter und Städte uns mit Urkunden, Diplomen, Mortalitätstabellen, und andern, für Vaterlandsgeschichte, Polizei, Statistik und Topographie interessante Nachrichten mitzutheilen. Dankbar werden wir uns bestreben, sowohl für das Intresse der Einsender, als für unser eigenes, den besten Gebrauch davon zu machen. Manchem Amte, mancher Stadt mangelte vielleicht Gelegenheit auf eine gute Art alte Gerechtsame, Vortheile und Vermächtnisse durch öffentliche Bekanntmachung gegen Untergang und Vergessenheit desto besser zu schüzzen – hier zeigt sie sich!
Überhaupt jeder eingesandte Aufsaz soll uns willkommen sein, sobald er uns unserm Zwekke näher leitet – der wärmste Dank sei dem edeln, patriotischen Verfasser und Unvergeslichkeit seines Namens! –
Doch genug! – wir scheiden, lieben[!] Leser; schlägt ein Herz für Meklenburg und Meklenburgs Söhne in euch, so seid uns günstig! –
Herausgeber.»
Das erste Heft werde nach Ablauf der Subskriptionsfrist in der zweiten Hälfte Mai in einem Umfang von fünf bis sechs Bogen (80 bis 96 Seiten) herauskommen, erklärte der Verleger. Bärensprung wollte mit der neuen Zeitschrift nicht zu viel riskieren; Zschokkes Plan schien ihm Gewähr zu bieten, sowohl Leser als auch Mitarbeiter dafür zu gewinnen. Die Zeit war knapp bemessen; deshalb ist anzunehmen, dass das Organisatorische bereits geregelt war und erste Beiträge vorlagen, als die Ankündigung erschien. Für die Redaktion war eine nicht genannte Schweriner Gesellschaft zuständig, von der zunächst nichts weiter bekannt ist, als dass Zschokke ihr angehörte. Vermutlich waren es vorwiegend junge, kulturell interessierte Männer.
Kaum war der Prospekt veröffentlicht, meldete sich aus dem vierzig Kilometer entfernten Parchim der Rektor der Stadtschule Johann Christian Martin Wehnert (1756–1825). Er habe seit längerer Zeit ebenfalls eine vaterländische Zeitschrift geplant und Mitarbeiter um sich geschart, ja er sei gerade daran, das Publikum darüber zu orientieren.38 Da die beiden projektierten Zeitschriften sich wie Zwillingsschwestern glichen, schlage er vor, sie zusammenzulegen. Auch wenn es den Zeitplan verzögerte, entschloss sich Bärensprung, mit Wehnert zusammenzuarbeiten.39 Er traf mit ihm eine Vereinbarung, wonach er die Redaktion übernehmen und alle Beiträge begutachten sollte. Die erste Ausgabe der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» sollte Ende Juli erscheinen. Wehnert erhielt die von Zschokke