Werner Ort

Heinrich Zschokke 1771-1848


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und um Mitteilung aller Verordnungen, durch deren Abdruck er seinem Blatt einen besonderen praktischen Wert beizulegen gedachte,40 schloss die Aufsätze aus Schwerin in seinem Schreibtisch ein und verreiste mit seiner jung angetrauten Frau zur Erholung nach Bad Pyrmont.

      Bärensprung war nicht gewillt, den Beginn der Zeitschrift noch weiter zu verschieben, also wandte er sich an seinen Nachbarn, Hofrat Ernst Friedrich Bouchholtz (1718–1790), «der die Gefälligkeit für ihn hatte, aus den wenigen bey im vorräthigen Aufsätzen das erste Stück zu arrangiren».41 Das nahm Wehnert Bärensprung sehr übel. Auf die Vorhaltungen, er habe sich ja nicht um die Zeitschrift gekümmert, rechtfertigte sich Wehnert, das ihm Zugeschickte habe nicht getaugt:

      «Die mehrsten Aufsätze waren von einem brausenden Jüngling – waren Schaale ohne Kern; und die wenigen andern brauchbarern von einem oder dem andern Verfasser, waren schon von diesem jungen Menschen mit einer leidigen Censur, – (wenn man anders das höchst unreife Urtheil eines unbärtigen Jünglings Censur nennen kann:) – gestempelt, mithin der Aufnahme und Erscheinung im Publikum nicht ganz würdig erklärt.»42

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       Abschiedsgruss von Georg Bärensprung, Zschokkes Schüler, der im Alter von 21 Jahren starb. Der Sinnspruch deutet auf eine gemeinsame Erinnerung; Zschokke verwendete «Staub» als Metapher für Vergänglichkeit häufig in seinen Gedichten.

      Auch wenn Zschokke diese kränkende Einschätzung seiner Person, seiner publizistischen Leistung und seines Urteilsvermögens nicht oder erst später las, konnte er schon daraus entnehmen, wie geringschätzig Wehnert von ihm dachte, dass er kaum einen Beitrag von ihm aufnahm. Weil Wehnert sich die alleinige Entscheidung ausbedungen hatte, was erscheinen sollte und was nicht, war Zschokke ausgebootet, kaum hatte er die Zeitschrift lanciert und in die Wege geleitet. Den weiteren Verlauf konnte er nicht mehr beeinflussen.

      Wehnert wird stets als eigentlicher Gründer und erster Redakteur, ja als «die leitende Seele des Ganzen»43 angegeben – das stimmt nicht. Angestossen und vorbereitet wurde die Zeitschrift von Zschokke und Bärensprung. Wehnert stiess später dazu, übernahm nach Anfangsschwierigkeiten für ein Jahr die Schriftleitung, vermochte die Vereinbarung, «für hinlänglichen Vorrath an Manuscripten zu sorgen», aber nicht zu erfüllen. Bärensprung musste mit eigenem Material und Beiträgen aushelfen, um die Zeitschrift jedes Monatsende im vorgesehenen Umfang herauszugeben. Er stützte sich weiterhin auf die «Schweriner Gesellschaft», die sich aber Wehnerts Rotstift nicht unterziehen wollte und wohl mit Recht befürchtete, ihre Aufsätze könnten seiner rigiden Haltung zum Opfer fallen. Dadurch bekam Wehnert eben doch nicht alle Beiträge zu Gesicht. Ein Grund für Koordinationsschwierigkeiten war bestimmt auch die räumliche Distanz zwischen Druckort und Redaktion.

      Es ist nicht ganz einfach festzustellen, ob und welche Beiträge von Zschokke stammten. Carl Günther ist geneigt, ihm die «mit ‹– – z› gezeichneten, unreifen Rezensionen und ‹Briefe über die Aufklärung›» zuzuschreiben.44 Deren Autor war aber der Güstrower Lehrer Johann Christian Friedrich Dietz (1765–1834), der schon als 15-Jähriger «Aufsätze eines Jünglings» (Rostock 1780) und als 18-Jähriger «Vermischte Bemerkungen über die Sitten. Litteratur und Aufklärung Mecklenburgs» in Winkopps «Bibliothek für Denker und Männer von Geschmack» veröffentlicht hatte.45 1786 gab er in Güstrow die Zeitschrift «Mecklenburgisches Museum» auf eigene Kosten heraus, deren erstes Heft er unter das Motto stellte: «Jeder deutsche Mann, der seine Fesseln fühlt, rassele damit dem Bösewicht um’s Ohr, und zerschlage sie, wenn’s möglich ist, an seiner Stirne.» Die Widmung lautete: «Allen Deutschen, vorzüglich Mecklenburgern, welchen Aufklärung, Tugend und Glückseligkeit der Menschen am Herzen lieget, gewidmet.»46

      Um Zschokkes Beiträge zu identifizieren, müssen Inhalt und Stil untersucht und Bezüge zur Magdeburger Zeit oder zu seinen späteren Publikationen hergestellt werden. Man darf auch sein Alter nicht ausser Acht lassen, jene jugendliche Unbekümmertheit und Frische, die seine frühen Arbeiten auszeichnen, die Denkart, den Erfahrungshintergrund, die Interessen und den soziokulturellen Kontext.

      Im ersten Heft der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» liest man den «Brief eines mecklenburgischen Bauersmannes an den Verfaßer der Mecklenburgischen Kalender, besonders des sogenannten Schillingskalenders»47 von einem Friedlieb Ehrlich, Bauer zu Pampow. Das war, allein schon dem sprechenden Namen nach, ein fingiertes Schreiben. Ehrlich (vermutlich Zschokke) kritisierte den neuen Volkskalender und erläuterte, wie er seiner Meinung nach aussehen sollte: ohne die obligaten (tausendjährigen) Wetterprognosen und die Fahrpläne der Postkutschen, in die sowieso kein Bauer steigen würde, dafür mit Wirtschaftsregeln, «so eine Art von Garten- und Ackerkalender», mit unterhaltenden und belehrenden Beiträgen, um die «jämmerliche Unwissenheit unter uns Leuten» zu bekämpfen. «Mit großem Nutzen lasen wir auch, was 1777 von dem Kometen gesagt ward, vor dem wir uns sonst so sehr fürchteten.»

      Der Autor dieses Briefes schlüpfte in das Kostüm eines einfachen, aber redlichen Bauern, versetzte sich in seine Welt, seine Bedürfnisse und Sorgen, und bediente sich einer einfachen, aber durchaus humorvollen Sprache, zeigt sich lernfähig, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen, ausgerüstet mit einem wachen, gesunden Menschenverstand. Er wusste allerdings mehr, als er eigentlich wissen durfte, denn er bezog sich auf Beckers «Noth- und Hülfsbüchlein», das zu jener Zeit noch gar nicht ausgeliefert war. Zu Becker meinte er nämlich, dass nicht alle seine Ratschläge probat (brauchbar) seien oder stimmten.48 Falls der Beitrag von Zschokke stammt – und vieles spricht dafür –,49 wäre es der früheste Hinweis seines Interesses am Wohl der Landbevölkerung und seiner lebenslangen Tätigkeit als Volksbildner, stünde in einer Kontinuität mit dem Schweizerboten (1798–1836), dem «Schweizerboten-Kalender» (1805–1808) und dem «Goldmacherdorf» (1817) und wäre bereits erstaunlich klarsichtig.

      Auch bei einem Gedicht, dem «Lied der Mecklenburgischen Truppen, als sie nach Holland marschirten», das im Septemberheft erschien,50 ist Zschokkes Autorenschaft wahrscheinlich. Bärensprungs Sohn Justus schrieb, ohne dafür Belege zu bringen, von Zschokke seien einige Gedichte in der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» abgedruckt worden.51 Das «Lied der Mecklenburgischen Truppen» ist jenes, das am ehesten in Frage kommt.

      Für Zschokkes schriftstellerische Tätigkeit in Schwerin finden sich weitere Beispiele. Als er die beiden Schüler seines Arbeitgebers in mecklenburgischer Geografie und Geschichte unterweisen sollte, stellte er fest, dass ein populäres Lehrbuch dazu fehlte und machte sich daran, selber eins zu schreiben. Als er von Schwerin abreiste, überliess er Bärensprung ein Manuskript von 114 Seiten mit dem Titel «Joh. Heinr. Zschokke’s Handbuch der Geographie von Mecklenburg, nebst einem Abriß der Geschichte dieses Landes. Für Schulen und Privatleser entworfen.»52 Zwei Ausschnitte daraus wurden von Justus Bärensprung 1830 in seinem «Freimüthigen Abendblatt» veröffentlicht:53 die Vorrede, in der Zschokke auch eine Literaturgeschichte Mecklenburgs versprach, falls sein Buch günstig aufgenommen werde, und der Abschnitt «Von Mecklenburg überhaupt». Zum Volkscharakter der Mecklenburger, schrieb er darin, könne er nichts anderes sagen, «als was schon in dem Journale von und für Mecklenburg (1stes Stück, 1788) gesagt wurde».54 Ein solcher Aufsatz findet sich aber nicht in dieser Monatsschrift, so dass man annehmen muss, dass es sich um einen unterdrückten Beitrag handelt, die Schale ohne Kern eines brausenden Jünglings, wie Wehnert gerügt hatte. Es gehörte tatsächlich einige Unverfrorenheit dazu, nach knapp vierteljährigem Aufenthalt seine Meinung über die Bevölkerung abzugeben und es ihr als Frucht ausgiebiger Beobachtung zu präsentieren.

      Auch andere Bemerkungen strotzen vor Verallgemeinerungen, selbst wenn Zschokke ein Stück weit recht haben mochte, wenn er «das Steife, das kleinstädtische Komplimentirwesen, das Gezwungene, welches in Mecklenburg zuweilen noch in Gesellschaften herrscht», monierte. Das war ja auch anderen Fremden aufgefallen. Abgesehen von dem «unreifen Urtheil eines unbärtigen Jünglings» und einer gewissen Unbeholfenheit in Darstellung und Argumentation erstaunt die sprachliche Sicherheit, die Leichtigkeit der Formulierung, die das Schreibvermögen eines durchschnittlichen 17-jährigen Gymnasiasten übertrifft,