Werner Ort

Heinrich Zschokke 1771-1848


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und Stolz wird er in der Nähe der Bühne gestanden und zugehört haben, wenn der Direktor oder ein ausgesuchter Schauspieler seinen Text rezitierte und die witzigen Redewendungen belacht und applaudiert wurden. Auch das Ausbuhen seiner Truppe blieb ihm nicht erspart, und so lernte er, wie eng im Theaterberuf Triumph und Misserfolg nebeneinander liegen.112

      Zschokkes Haupttätigkeit für Burgheim lag in dem, was er «dramatische Schneiderkunst» nannte: Er hatte alte Dramen aufzufrischen, zu kürzen und anzupassen, bis sie dem Publikumsgeschmack und den Möglichkeiten der Truppe entsprachen. Ein Theaterdirektor war gut damit beraten, seinem Publikum Erfolgsstücke anzubieten, auch wenn sie sein Personal überforderten. Man brauchte auf den Handzetteln, die vor der Aufführung verteilt wurden, nicht zu verraten, dass Shakespeares «Hamlet» nicht in seiner integralen Fassung gezeigt wurde. Fehlte es an Schauspielern, um alle Rollen zu besetzen, war jemand ausgefallen und hatte der Ersatz nicht genügend Zeit, seinen Text zu studieren, oder war er nicht imstande, einen längeren Monolog zu sprechen oder in einem der damals beliebten Singspiele einen Gesangsteil zu übernehmen, dann hatte der Theaterdichter einzuspringen und ihm den Text nach dem Mund zu präparieren.113

      Zschokkes Erscheinen in der Theaterwelt wurde zweimal poetisch nachgestellt: von Eduard Boas (1815–1853) in seinem Roman «Des Kriegscommissär Pipitz Reise nach Italien»,114 und von Paul Dahms im Aufsatz «Mit bunter Fuhre. Episoden aus Zschokkes Jugendzeit in einer Ostmarkstadt».115 Paul Dahms bediente sich diskret, aber ausgiebig der «Selbstschau» und Carl Günthers Zschokke-Biografie, während Eduard Boas, dessen Roman ein Jahr vor der «Selbstschau» erschien, seiner Schilderung die «Lebensgeschichtlichen Umrisse» von 1825 zu Grunde legte. Da die Darstellung von Boas zeitlich näher an den Ereignissen liegt und von einem Augenzeugen seiner Bühnenauftritte stammt, sei sie hier wiedergegeben. In einem Brief an einen Freund gerät Kriegskommissär Pipitz unversehens in Reminiszenzen an seine Kindheit in Landsberg an der Warthe:

      «Es war zu Ausgang des Winters 1790 und ich zählte etwa dreizehn Jahre, als eine reisende Schauspielertruppe in dem Wohnort meiner Eltern anlangte. Wir Knaben waren sehr vergnügt und freuten uns mächtig auf die bunten Ritter-Tragödien, die unserer harrten.

      Die Directoren der Truppe schlugen ihr Theater im alten Rathhause, in dem großen, öden Hausflur des oberen Geschosses auf, und wir konnten die Zeit gar nicht erwarten, wo die Zettel endlich an Straßenecken und Brunnenröhre geklebt wurden. Am ersten Abend saß ich oben in der dunkelbraunen, durch Talglichter erhellten Halle, vor dem bunten Vorhang, und sechs Trompeter von den Dragonern, rothe Federbüschel auf den breitkrämpigen Filzhüten tragend, spielten ein lustiges Stücklein. Dann klingelte es im Souffleurkasten, die Gardine rollte auf, und eine mit Flor und Flittern ausgeputzte, roth geschminkte Actrice trat hervor, einen Prolog, ‹gedichtet von Zschokke› zu sprechen. Dieser Zschokke wurde für uns Buben ein Gegenstand des Neides. Wir sahen ihn oft auf der Straße; er mochte um die 18 Jahr alt seyn, und begleitete die Theatergesellschaft als Theaterdichter. Er sagt selbst, seine Arbeit sey gewesen, ‹den Briefwechsel der lockeren Thespisvögel zu führen, Prologe und Epiloge zu reimen, oder an den Werken der deutschen Bühnendichter Prokrustes-Arbeit zu treiben.› Solch ein freies, ungebundenes Leben mitten unter den hübschen Schauspielerinnen mit den kecken schwarzen Augen, dünkte uns ein Götterdaseyn, und als wir hörten, er hätte, ohne Erlaubniß seiner Vormünder, sich von der Schule zu Magdeburg entfernt, um sich einige Zeit unabhängig in der Welt umherzutummeln, da fehlte nicht viel, daß wir Knaben alle seinem Beispiele gefolgt wären.

      Er war ein junger, schlanker Mensch mit schwärmerischen Augen und einem angenehmen, blassen Gesichte, doch lag in demselben jene unbeholfene Blödigkeit, und in allen seinen Bewegungen jenes eckige schlotternde Wesen, welches Jünglinge jenes Alters characterisirt. Sein Anzug war eben nicht elegant und bestand unabänderlich aus Schnallenschuhen, kurzen Hosen, einem grünen Überrocke, dessen Fadengewebe schon ins Weißliche spielte, und aus einem kleinen Dreimaster. Er trug auch immer einen langen Zopf. Zschokke, der Theaterdichter, unser Ideal, betrat zuweilen selbst die Bretter, jedoch nur in Nebenrollen, denn sein jugendlich täppisches Wesen, verbunden mit einem scharfen, schneidend unsichern Organ, ließen ihn wenig zum Bühnenkünstler taugen. Doch einmal, entsinne ich mich, als er in dem damals ganz neuen Kotzebueschen Drama ‹Menschenhaß und Reue› den einfältigen Bedienten Peter mit drastischer Komik spielte, wurde ihm lauter Beifall zu Theil.»116

      Zu diesem letzten Satz meinte Zschokkes Freund Theodor Heinrich Otto Burchardt (1771–1853), der aus Landsberg an der Warthe stammte und beim Erscheinen von Boas’ Roman dort Justizkommissär war, das könne nicht stimmen; Zschokke sei nie Schauspieler gewesen und habe nur «aus Gefälligkeit zwei oder dreimal kleine Rollen übernommen».117

      Kennzeichen einer Theatergesellschaft war es damals, neben den neusten und erfolgreichsten Lustspielen auch Schiller und Shakespeare im Programm zu führen. Die Hubersche oder Burgheimsche Gesellschaft machte hier keine Ausnahme. Ihre Aufführung des «Hamlet» aber wurde in Prenzlau zum Tiefpunkt ihrer Spielzeit. Ein Zuschauer machte in der «Theater-Zeitung für Deutschland» seinem Ärger Luft. Es sei unklug vom Direktor gewesen, mit einer so kleinen Truppe dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Den König von Dänemark habe ein Schauspieler gegeben, der von seiner Figur einem Sancho Pansa geglichen habe und von seiner Kleidung «ein wahrer zusammengeflickter Lumpenkönig» gewesen sei. Der Hamlet von Herrn Burgheim (Hr. B—g—m), der als bester Schauspieler der Truppe gelte, sei schlecht gespielt worden, «die übrigen Personen, Laertes und die Ophelia ausgenommen», noch viel schlechter.118 Einen Monat später schrieb ein anderer Theatergänger aus Prenzlau, man sehe einer besseren Truppe mit Sehnsucht entgegen.119 Die geballte Unzufriedenheit des Prenzlauer Publikums muss für die Schauspieler Franz Huber und Wilhelm Burgheim und für Zschokke sehr unerfreulich gewesen sein.

      Aus der «Selbstschau» bekommt man den Eindruck, als habe Zschokke die Blamage gar nicht mitbekommen oder sich von der Truppe innerlich so weit distanziert, dass er die Kritik nicht auf sich beziehen musste. Er habe sich, schrieb er, «nach und nach von diesem Gemengsel arbeitscheuer Gesellen, entlaufener Weiber, ungerathner Söhne, gefallsüchtiger Mädchen, verdorbner Studenten u. s. w.» abgesetzt und nur noch mit Burgheim zusammengelebt. Die Anzüglichkeiten, Frivolitäten, Eifersüchteleien und Streitereien des Theatervolks gingen ihm gegen den Strich. In seinen freien Stunden habe er seiner «angeborenen Lesesucht» gefrönt und verschiedene Bibliotheken durchstöbert, darunter eine, die sich im morschen, verwitterten Chor einer Kirche befand, von hundertjährigem Staub bedeckt.120 Mit dieser abschätzigen Bewertung der Schauspieler, die der Beschreibung des deutschen Theaters von Reck entnommen zu sein scheint, brauchte er sich den Misserfolgen, an denen er mitbeteiligt war, nicht mehr zu stellen.

      Unmittelbar nach Abschluss seines Engagements als Theaterdichter schrieb er den Aufsatz «Schuzrede für wandernde Truppen», worin er die Bedeutung des Theaters für Aufklärung, Sittenverfeinerung und Volksbildung noch einmal hervorhob und den Wunsch äusserte, auch kleinere Städte und Provinzen möchten Zugang zu gutem Theater erhalten. «Auserlesenen kleinern Truppen» solle ein fester Bezirk zugewiesen werden, den sie, ohne finanzielle Einbussen zu erleiden, privilegiert bereisen dürften, um den Bürgern Amüsement und «die geläuterten Freuden des Geschmacks zu verschaffen».121 Diese idealistische Vorstellung stand in einem gespannten Verhältnis zu dem, was Zschokke im Wandertheater an Einblicken gewonnen hatte, aber es änderte nichts daran, dass er dem Theater eine kathartische Wirkung auf die Besucher zubilligte, wie sie bei einer weitgehend illiteraten Bevölkerung sonst kein Medium haben konnte. Voraussetzung sei allerdings – und hier schloss sich Zschokke wieder Reck an –, dass die Schauspieler finanziell besser gestellt seien und sich auch ihr Ruf verbessere: «An vielen Orten Deutschlands fällt es dem gemeinen Mann noch immer schwer, den Komödianten vom Marktschreier zu unterscheiden. O, gute Thalia, wie demüthigt dich dieses bei all deinen Triumphen!»122

      Zschokke befreundete sich in Prenzlau mit einem preussischen Offizier, einem «bescheidnen, wissenschaftlich gebildeten» Mann. Der aus Schlesien stammende Karl Andreas von Boguslawski (1759–1817) war einer der nicht ganz seltenen Adligen, die im Militär Karriere und sich auch als Schriftsteller einen Namen machten. In seiner Freizeit übersetzte er Homer, Vergil und Metastasio. Er «arbeitete damals an einer metrischen Übersetzung