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Lebensbilder aus dem Bistum Mainz


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ausschreiben, setzte sich damit über die landesherrliche Verordnung von 1830 hinweg und schuf vollendete Tatsachen. Auch hier scheute Dalwigk einen Konflikt, wie er sich in dieser Frage etwa im Großherzogtum Baden ergeben hatte, und war um eine einvernehmliche Lösung der Fragen bemüht.

      Im Juli 1854 begannen die Verhandlungen zwischen den Bevollmächtigten, Ministerialrat Franz Joseph Freiherr von Rieffel und Generalvikar Lennig, zur Klärung aller im Verhältnis von Kirche und Staat strittigen Fragen, die schließlich am 23. August 1854 in einer in ihrem Wortlaut allerdings nicht veröffentlichten „Vorläufige[n] Übereinkunft zwischen der großherzoglichen Regierung und dem Bischof von Mainz in Betreff der Regelung der Verhältnisse des Staates zur katholischen Kirche“ mündeten und durch Bischof von Ketteler und Ministerpräsident von Dalwigk gemeinsam unterzeichnet wurde. Allerdings wurde diese Vereinbarung, die neben der römischen Kurie auch den anderen Bischöfen der oberrheinischen Kirchenprovinz zur Kenntnis gebracht wurde, von letzteren scharf als Alleingang kritisiert, hatte Ketteler damit doch ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen unmöglich gemacht und künftige Übereinkünfte präjudiziert.

      In Rom äußerte man gleichfalls Kritik, da die Konvention die Rechte des Bischofs nicht hinreichend berücksichtige und forderte Nachverhandlungen. Ketteler nahm die Reise anlässlich der Verkündung des Dogmas von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ im November 1854 in Rom als Gelegenheit, um dort in Begleitung seines Generalvikars Lennig, der mit den römischen Verhältnissen gut vertraut war, seinen Standpunkt vorzutragen und für die Konvention zu werben. Die Gespräche verliefen allerdings nicht so wie erhofft. Der Weisung, völlig neue Verhandlungen mit der Regierung in Darmstadt aufzunehmen, widersetzte sich Ketteler aber beharrlich. Man einigte sich schließlich in einem dritten Anlauf auf einen Bestand an Änderungswünschen zu Kettelers Entwurf für eine Übereinkunft mit der großherzoglichen Regierung. Am 3. April 1855, nach fünfmonatiger Abwesenheit, erreichte er zusammen mit Lennig wieder Mainz und nahm mit Darmstadt Kontakt auf, wo man in einem Antwortschreiben vom 19. April 1856 auf nahezu alle Punkte der römischen Forderungen eingegangen war. Allerdings versagte Rom der „revidierten Konvention“ die offizielle Zustimmung. Mit ihrer Prüfung war der im Dezember 1855 zum Kurienkardinal berufenen Münchner Erzbischof von Reisach beauftragt worden, der, obgleich mit Lennig seit vielen Jahren verbunden und einst auch geistlicher Mentor Kettelers, erhebliche Kritik äußerte wegen einer zu einvernehmlichen Haltung gegenüber der großherzoglichen Regierung. In Mainz und Darmstadt befürchtete man jedoch bei erneuten Verhandlungen unter „römischer Aufsicht“ das bisher Erreichte zu verlieren. Da die revidierte, doch von Rom nicht akzeptierte Fassung der Vereinbarungen von beiden Seiten nicht ratifiziert worden war, einigten sich Ketteler und Dalwigk darauf, künftig nach der am 23. August 1854 abgeschlossenen unveröffentlichten „Mainz-Darmstädter Konvention“ zu verfahren, an deren Zustandekommen Lennig maßgeblich Anteil hatte. Sie führte für 20 Jahre zum Ausgleich zwischen Regierung und Bistum. Das bis zur Aushandlung der Konvention schwierige Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der Staatsregierung entspannte sich nun, und Bischof von Ketteler wurde im Gegenzug zu einer der Hauptstützen des Hessen-Darmstädtischen Ministerpräsidenten von Dalwigk.

      Lennig war durch anonyme Schreiben bei Ketteler kurz nach dessen Amtsantritt für den desolaten Zustand der Diözese verantwortlich gemacht worden. Zugleich hatte man den neuen Bischof gewarnt, diesen und seine Parteigänger in sein Umfeld zu lassen, da sie nur weitere unnötige katholische Vereine und Bruderschaften gründeten sowie Exerzitien, Andachten, Prozessionen und Wallfahrten durchführten, was dann eine geringe Zahl von Klerikern und Gläubigen fälschlich als ein Wiedererstarken der katholischen Kirche feiere. Doch käme das nur der Kirchenkritik des Deutschkatholizismus zustatten. Wenngleich der anonyme Autor recht genau voraussah, in welche Richtung das Wirken Kettelers, unterstützt von Lennig, dann tatsächlich gehen sollte, so war sein Urteil über die Folgen weitaus weniger zutreffend.

      Als Bischof von Ketteler 1854 beabsichtigte in Mainz ein Kapuzinerkloster zu gründen, überließ Lennig ihm zu diesem Zweck ein aus eigenen Mitteln erworbenes Haus in der Himmelsgasse. Als Generalvikar setzte Lennig sich gegenüber dem zuständigen Ministerium für die Ansiedlung des Konvents ein. Dieses sah darin, zumal es sich um einen Bettelorden handelte, einen für die öffentliche Meinung inakzeptablen Rückschritt und eine wirtschaftliche Belastung für die Bevölkerung. Lennig vermochte allerdings mittels des Arguments, dass das Wirken der Kapuziner den Staat letztlich finanziell wesentlich günstiger als die Anstellung neuer Priester käme, deren Ansiedlung durchzusetzen. Die Zulassung von Orden, so auch der Jesuiten 1859 in der Mainzer Pfarrei St. Christoph, galt Lennig als Element kirchlicher Selbständigkeit. In gleicher Weise engagierte er sich für die Armen Schwestern des hl. Franziskus, die in der Betreuung von Kranken und Armen tätig waren, wobei sie insbesondere für sozial schwache Familien und deren vernachlässigte Kinder sorgten. Ihren dauerhaften Verbleib in Mainz konnte er ebenfalls unter Verweis auf ihr erfolgreiches Wirken zu wirtschaftlich ausgesprochen günstigen Bedingungen erreichen. Am Ende und insgesamt führten Lennigs Maßnahmen zur stillschweigenden Duldung der Orden im Großherzogtum seitens der Regierung.

      Weniger Erfolg hatte Lennig bei der Bewahrung der Pfarrschulen gegen die gemeinsame Initiative einer Gruppe von Elementarschullehrern und liberaler, zum Teil offen antikirchlich agierender Mitglieder des Mainzer Stadtrats. Die Elementarschullehrer kritisierten die konfessionelle Ausrichtung der Pfarrschulen und dass den Schülern die Erziehung zu kritischer politischer Selbständigkeit fehle. Sie sprachen sich daher für eine weltanschaulich neutrale Schule aus. Gegenüber dem Ministerium beklagte Lennig, dass der Kirche durch die Aufhebung des Pfarrschulprinzips ihr christlicher Erziehungsauftrag erschwert werde, denn dieser Schritt führe zu einer Entfremdung der Schüler von dem für sie zuständigen Pfarrer. Die Regierung entschied sich am Ende zur Einführung von Sektionsschulen, wofür – unabhängig von den gewachsenen, auf die Pfarreien bezogenen Strukturen – neue Schulbezirke errichtet wurden.

      Lennigs Einsatz für die Kirche und die Festigung ihrer Stellung in einer Gesellschaft, die sich ihr durch die politischen und kulturellen Veränderungen zunehmend entfremdete, fand die Anerkennung seines Bischofs, der ihm am 28. Februar 1856 das Amt des Domdekans übertrug. Großherzog Ludwig III. zeichnete Lennig für seinen vermittelnden Einsatz zum Ausgleich der Interessen von Kirche und Staat durch seine Ernennung zum Kommandeur des großherzoglich-hessischen Ludwigsordens am 26. Dezember 1858 aus. Schließlich würdigte auch Pius IX. seine Verdienste, als er ihn während eines Aufenthalts in Rom in einer Privataudienz am 11. April 1859 zum Geheimen päpstlichen Kammerherrn ernannte. Doch sollte Lennigs Freude über die Anerkennung seines Wirkens nicht lange ungetrübt bleiben.

      Am 24. Juni 1859 war es in einer Schlacht nahe der oberitalienischen Stadt Solferino zu einer empfindlichen Niederlage Österreichs gekommen, dessen Führung sich einerseits durch das arrogante Verhalten der französisch-piemontesischen Koalition provozieren ließ und andererseits die eigene Stärke deutlich überschätzte. In der Folge kam es alsbald zu einer Schwächung der Stellung Österreichs als Schutzmacht der katholischen Kirche sowohl in Italien als auch in Deutschland. Das bot etlichen staatskirchlich gesinnten Regierungen in den Ländern des Deutschen Bundes Anlass zu neuen politischen Angriffen auf die Kirche. Lennig beklagte gegenüber Bischof Blum von Limburg, dessen Theologiestudenten man zur Rückkehr aus dem Mainzer Seminar nach Nassau durch den Entzug der staatlichen finanziellen Unterstützung zwingen wollte, die mangelnde Ge- und Entschlossenheit des kleinmütigen deutschen Episkopats, der nicht mehr zu einer gemeinschaftlichen Haltung wie im Jahre 1848 fand. Er fürchtete zusehends die Entrechtung der katholischen Kirche durch protestantische Majoritäten in den Ständekammern. Ebenso ärgerte Lennig die Gleichgültigkeit vieler Katholiken gegenüber den Angriffen auf die Kirche. So war 1861 ein Pamphlet übelster Art gegen die Oberin der Barmherzigen Schwestern im Mainzer Invalidenhaus erschienen. Von liberalen Bürgern initiiert, die auch über das „Frankfurter Journal“ Einfluss nahmen, sollte es dem öffentlichen Ansehen der katholischen Kirche schaden. Zwar wurde die Schrift verboten, die Unschuld der Schwester gerichtlich nachgewiesen und der vorgebliche Verfasser verurteilt, doch der Protest der Katholiken ließ für Lennig die angemessene Schärfe vermissen.

      Im Jahr 1864 reiste Lennig wegen seiner angegriffenen Gesundheit nach Karlsbad. Der Kuraufenthalt brachte ihm jedoch nur kurzfristig Besserung, da er keine Konsequenzen für die Gestaltung seines Lebensstils daraus zog, insbesondere was seine berufliche