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Lebensbilder aus dem Bistum Mainz


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der Ehepartner zu verzichten. Die Inhaftierung des Erzbischofs löste tatsächlich landesweit große Empörung unter den Katholiken aus und fachte in Mainz erneut den Widerspruchsgeist des Kreises um Wilhelm Moufang an, wie aus der Korrespondenz seines Sohnes Christoph, der sich zum Theologiestudium in München aufhielt, mit seinem Onkel Friedrich Lennig hervorgeht. Zum sogenannten Münchner Kreis, in dem Christoph Moufang verkehrte, gehörten neben Fritz Windischmann, dem Sohn des Bonner Philosophen, der später Generalvikar Erzbischof von Reisachs in München wurde, auch Joseph Görres, Georg Philipps und Clemens Brentano. Letzterer wollte in Adam Franz Lennig sogar schon den geeigneten Nachfolger auf dem Kölner Erzbischofsstuhl sehen. Wenngleich Lennig diesen Gedanken gegenüber seinem Neffen Christoph in einem Brief vom 11. Januar 1838 mit den Worten ablehnte: so weiß ich nicht mit wem er [Brentano] es schlimmer meint: mit der Kölner Diözese, mit den Preußen oder mit mir4, mag hier in ihm vielleicht doch auch der Gedanke an ein künftiges Wirken als Bischof von Mainz geweckt oder bestärkt worden sein. In ihrer Wirkung begrüßte Lennig die Vorgänge in Köln als einen Weckruf: Gott sei tausendfacher Dank, daß die Sache so gekommen ist, denn ein Fall der Art war nötig, um die Katholiken aus ihrer unglaublichen Schlafsucht zu erwecken. In den Gesinnungen geht allenthalben eine große Veränderung vor sich, und die Leute werden genöthigt, Partei zu nehmen, wodurch denn der Indifferentismus von selber ein Ende nimmt.5 Er hoffte sogar auf eine weitere Zuspitzung der Lage, damit sich der Widerstandsgeist der katholischen Bevölkerung gegen die Anmaßungen des Staates noch verstärke, wodurch die preußische Regierung zu einer grundlegenden politischen Lösung gedrängt wäre. Die von Joseph Görres gegen das preußische Vorgehen verfasste Streitschrift „Athanasius“ hatte schließlich eine enorme Mobilisierung der katholischen Bevölkerung bewirkt und wurde von Lennig hoch geschätzt.

      Über die kirchenpolitisch brisanten Vorgänge führte Lennig eine ausgedehnte Korrespondenz mit seinem weit verzweigten Freundes- und Bekanntenkreis. Außerdem fanden sich im Gaulsheimer Pfarrhaus auch Gleichgesinnte ein, so etwa der Düsseldorfer Pfarrer Anton Joseph Binterim, der wegen seines Protests gegen das Vorgehen der Regierung die Stadt vorübergehend verlassen musste. Auch der Koblenzer Pfarrer Seydel, der mit seiner öffentlichen Parteinahme für den Kölner Erzbischof die katholische Bevölkerung mobilisiert hatte, nahm im Februar 1838 einige Tage in Gaulsheim Aufenthalt bis sich die Lage wieder beruhigt hatte. Damals wurde Lennig von einem nassauischen Beamten der Konspiration bezichtigt und – allerdings erfolglos – bei der Regierung in Wiesbaden angezeigt. Grund war ein Besuch, den er gemeinsam mit Seydel beim Pfarrer des auf der gegenüberliegenden Rheinseite gelegenen Rüdesheim unternahm, wozu ein Spaziergang über den zugefrorenen Rhein Gelegenheit bot. Als dort noch andere mit dem Pfarrer bekannte Geistliche eintrafen, hatte der Beamte gleich ein staatsgefährdendes Komplott vermutet. Auch im zuständigen Darmstädter Ministerium, wo Lennig inzwischen weniger aufmerksam beobachtet worden war, erhielt man Kenntnis davon. In Preußen wurden in der Streitfrage zur Konfession der Kinder in gemischtkonfessionellen Ehen am Ende die staatlichen Vorschriften durch den 1840 auf den Thron gelangten preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurückgenommen. Dem jungen König war an einer friedlichen Koexistenz mit der Kirche gelegen. Im hessischen Großherzogtum waren zu dieser Zeit ähnliche Auseinandersetzungen ausgeblieben.

      Während seiner Zeit als Pfarrer in der kleinen Landpfarrei Gaulsheim waren mehrere Versuche unternommen worden, den hervorragend ausgebildeten Lennig doch noch als akademischen Lehrer für die Priesterausbildung an der neuen Fakultät in Gießen zu gewinnen. Schon 1831 wurde dort seine Berufung als Professor für biblische Exegese vorgeschlagen, auch in der Absicht, die verärgerten Mainzer mit der Gießener Fakultät zu versöhnen. Aber er lehnte das Angebot genauso ab wie jenes von Seiten Bischof Humanns im Jahre 1834, eine Professur in der theologischpraktischen Ausbildung am Mainzer Seminar zu übernehmen. In den Jahren 1836 und 1837 wurden ihm dann in Gießen mit Zustimmung Bischof Kaisers zuerst eine Professur für die Fächer Moraltheologie und Pastoraltheologie, danach die Professur für Exegese angeboten. Gerade für letztere wurde er auch wegen seiner vielseitigen Kenntnisse der biblischen Sprachen als besonders geeignet erachtet. Doch Lennig lehnte eine Tätigkeit als Professor im protestantischen Gießen erneut kategorisch ab. Das vermochte sogar das persönliche Erscheinen Bischof Kaisers, der ihn schon früher in Gaulsheim besucht hatte, in Begleitung von Universitätskanzler Freiherr von Linde nicht zu ändern. Denn wenn der ungeliebten Gießener Staatsfakultät durch das Ausbleiben von Neuberufungen nach Todesfällen und Wegberufungen von Professoren an andere Fakultäten ihre Existenzgrundlage schwinden sollte, lag das nur in Lennigs Interesse. So verblieb er in der dörflichen Zurückgezogenheit von Gaulsheim, wo er nicht nur gute Kontakte zu seinem Nachbarpfarrer in Ockenheim pflegte, sondern auch Windischmann, Walter und Klee aus Bonn sowie Brentano, Veit und andere mehr in seinem gastfreien Pfarrhaus zu ernsthaftem Austausch in politischen Fragen und zu geselliger Runde empfing.

      Als 1839 der katholische Mainzer Abgeordnete Johann Maria Kertell in der Zweiten Kammer in Darmstadt einen Antrag zur Rückverlegung der Theologischen Fakultät von Gießen nach Mainz stellte, fand sich Lennig nicht einmal dazu bereit, ihn mit einer argumentativen Darlegung zu unterstützen. Er fürchtete wohl sonst bei der großherzoglichen Regierung erneut Aufmerksamkeit zu erregen.

      Achtete Lennig darauf – möglicherweise schon mit Blick auf eine spätere Besetzung des Mainzer Bischofsstuhls – sich weder in Rom noch in Darmstadt zu kompromittieren? Sicher war er eingenommen von einem starken konfessionellen und mentalitätsmäßigen Ressentiment gegen das protestantische Gießen. Eine Tätigkeit als Professor an der theologischen Fakultät und in der Pfarrseelsorge Gießens hätte er aber auch als Herausforderung begreifen können. Die Priesteramtskandidaten waren in Gießen zweifellos manchen Einflüssen ausgesetzt, die ihnen später im Mainzer Priesterseminar Schwierigkeiten bereiteten. Hier hätte er sich bewähren können. Fehlte ihm die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in einer kritisch-aufgeklärten und liberalen Umgebung als Wissenschaftler und akademischer Lehrer zu behaupten und sich als Seelsorger einer kleinen katholischen Minderheit mit der evangelischen Bevölkerung zu arrangieren? Offenbar sah er seinen künftigen Platz in der seelsorglichen Praxis in einem katholischen geprägten Umfeld sowie in der Organisation und Verwaltung des kirchlichen Lebens. Zumindest fällt auf, dass er sein zurückgezogenes und ruhiges Leben in Gaulsheim auch nicht zur Publikation wissenschaftlicher Studien nutzte.

      Auf persönliche Veranlassung Bischof Kaisers übernahm Lennig am 10. September 1839 die Pfarrei St. Petrus und Marcellinus in Seligenstadt. Dort unterstützte ihn sein am 19. Dezember 1839 zum Priester geweihter Neffe Christoph Moufang von Januar 1840 bis Dezember 1843 als Kaplan. Seinen Dienst als Pfarrer dieser bedeutenden Pfarrei versah Lennig mit großer Einsatzbereitschaft in der Feier der Liturgie und in der Unterweisung der Gläubigen in Predigt und Katechese. Lennig beschränkte sein Engagement aber nicht auf den engeren kirchlichen Bereich. Beachtung verdient die von ihm 1841 initiierte und durchgesetzte Einführung von Lehrerinnen für die Mädchenschule in Seligenstadt. Sie zeugt von einem wachen Sinn für die pädagogischen Bedürfnisse der Mädchen, deren schulische Situation sich deutlich verbesserte. Zugleich belegt diese Maßnahme seine Einsicht, dass einer guten, kirchlich geprägten Ausbildung von Mädchen als zukünftigen Müttern für die katholische Ausrichtung der Familien in einem Staat, dessen konfessionsverschiedene Bevölkerungsteile sich unausweichlich annäherten, ein nicht zu unterschätzender Wert zukam.

      Ende 1841 sollte ein ungewöhnlicher Vorgang an der Gießener Fakultät dann doch dazu führen, dass Lennig seine Zurückhaltung in kirchenpolitischen Fragen für einen Moment aufgab. Auf Beschluss des großherzoglichen Ministerrats in Darmstadt war dem an der Gießener Fakultät lehrenden Kirchenhistoriker und Priester Kaspar Riffel am 19. November die Lehrerlaubnis entzogen worden, allerding ohne dass dafür ihm selbst und dem Mainzer Bischof noch der Öffentlichkeit eine Begründung mitgeteilt wurde. Den Anlass für diesen Schritt vermutete man in Riffels Publikation „Christliche Kirchengeschichte der neuesten Zeit“ (Mainz 1841). Darin hatte er die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts harscher Kritik unterworfen und Martin Luther, den er als ihren Hauptverursacher benannte, mit schärfster Polemik überzogen. Unabhängig von dieser Tatsache verurteilte Lennig das Vorgehen der Regierung, die offenbar in Geringschätzung der Katholiken eine Erklärung schuldig geblieben war, in einer als Denkschrift des Dekanats Seligenstadt an Bischof Kaiser abgefassten Stellungnahme. Er sah in dem Vorgang nicht nur einen erneuten Beweis für die Bevormundung