Группа авторов

Lebensbilder aus dem Bistum Mainz


Скачать книгу

an der Gießener Fakultät eine Staatsangelegenheit, wodurch die künftigen Geistlichen ihr katholisches Selbstverständnis und ihre Beziehung zur Kirche verlören. Die Konsequenz konnte für ihn daher nur die Rückverlegung der Theologischen Fakultät nach Mainz sein. Dieser Denkschrift schlossen sich acht der 16 Dekanate des Bistums an. Wenngleich Bischof Kaiser sich durch das Verhalten der Regierung brüskiert sah, so wollte er doch der dringenden Empfehlung Lennigs nicht folgen. Davon ließ ihn sicher auch der durch Riffel selbst über längere Zeit an der katholischen Fakultät verursachte Unfrieden und dessen insgeheime Opposition gegen ihr Fortbestehen Abstand nehmen.

      Der bewährte Mitarbeiter Bischof Kaisers

      Als im Jahre 1844 Bischof Arnoldi zur Hl.-Rock-Wallfahrt nach Trier aufgerufen hatte, erhob der liberal gesinnte schlesische Kaplan Johannes Ronge öffentlich Protest gegen diesen in seinen Augen unsinnigen und unzeitgemäßen religiösen Brauch. Da der von ihm erhoffte Erfolg ausblieb, löste sich Ronge aus der Kirche und gründete mit einigen Anhängern, die sich gleichfalls von der Kirche getrennt hatten, eine eigenständige „moderne“ deutsche Nationalkirche. Dieses Vorhaben fand die Unterstützung der antikatholischen, liberalen und radikalen Presse, insbesondere des Frankfurter Journals. Im Großherzogtum Hessen sammelten sich zunächst in dem Seligenstadt benachbarten Offenbach Sympathisanten unter liberal gesinnten Bürgern, vor allem Fabrikanten und Kaufleute, aber auch unter Arbeitern, die sich der Kirche in ihrem neuen Lebensumfeld entfremdet hatten. Kennzeichen der Rongeschen Bewegung waren die Reduktion des Christentums auf eine reine „Vernunftreligion“ ohne Lehramt und Dogma und ohne die meisten sakramentalen Handlungen. Getragen von nationalem Pathos und einer damit einhergehenden konfessionellen Irenik befürwortete man Ehen von Angehörigen verschiedener Bekenntnisse, verwarf die Abhängigkeit von Rom als kirchlichem Zentrum und damit einhergehend die von einem zölibatären Klerus gebildete kirchliche Hierarchie. Bei der protestantischen Geistlichkeit traf die neue Sekte auf vielfältige Unterstützung und auch die Regierung unternahm nichts, um ihr Treiben abzustellen, wenngleich der Großherzog sich sonst zum Schutzherrn der katholischen Kirche erklärte und in ihre Belange eingriff.

      Musste diese Erfahrung sehr bedrückend auf Bischof Kaiser wirken, so sah sich Lennig in seiner Haltung vollauf bestätigt. Entschieden wandte er sich gegen die Sekte in seiner Nachbargemeinde. Da Bischof Kaiser selbst einen völlig erfolglosen Versuch unternommen hatte, mit Vertretern der „Deutschkatholiken“ aus Offenbach zu einer Verständigung zu gelangen, entschied er sich nun doch zu einem Richtungswechsel im Vorgehen. Auf seinen Vorschlag erfolgte am 5. Juni 1845 die Wahl Lennigs zum Domkapitular. Außerdem verlieh er ihm den Titel eines Geistlichen Rates. Lennig sollte ihn sowohl in der Abwehr des „Deutschkatholizismus“ als auch in der diesbezüglichen Korrespondenz mit der Regierung unterstützen. So ging seine Zeit als Pfarrer in Seligenstadt, wo ihm noch im Mai 1845 der auf der Durchreise befindliche Nuntius in Brüssel, Joachim Pecci – der spätere Papst Leo XIII. – einen kurzen Besuch abgestattet hatte, ihrem Ende entgegen. Pecci kannte Lennig noch aus dessen Zeit in Rom. In Zusammenhang mit der Wahl Lennigs zum Domkapitular fällt zumindest auf, dass die Regierung gegen seine Wahl, obgleich er ja zuletzt mit einer Denkschrift gegen die Absetzung Riffels hervorgetreten war, keinen Einspruch erhob. Das Vertrauen, das Bischof Kaiser zu ihm gewann, sollte am 16. August 1847 mit seiner Ernennung zum Leiter des geistlichen Gerichts im Amt des Offizials seinen Ausdruck finden.

      Häufig trat Lennig als Prediger im Mainzer Dom gegen den „Deutschkatholizismus“ auf, der selbst in der Bischofsstadt unter liberalen, finanzstarken Bürgern und Handwerkern sowie darüber hinaus bei wohlhabenden rheinhessischen Bauern einigen Zulauf gefunden hatte. Auf politischer Ebene verfasste er zu dessen Abwehr Eingaben an die Regierung. Nachdrücklich wies er auf die Gefahr der Anarchie hin, die sich aus dieser Bewegung ergäbe, da sie nicht allein die kirchliche Autorität, sondern in der Folge auch jene des Staates angreife, der ihrem Treiben jedoch tatenlos zusehe, weil er sich wohl insgeheim eine Schwächung der katholischen Kirche erwarte. Daher nehme die Regierung es hin, dass die protestantische Bevölkerung gegen die Katholiken aufgehetzt und der konfessionelle Friede gestört werde.

      In der Auseinandersetzung mit dem „Deutschkatholizismus“ beklagte Lennig sehr das Fehlen einer politischen Tageszeitung, welche die Interessen der katholischen Kirche darlegte und gegen die permanenten Anfeindungen seitens der liberalen kirchenfeindlichen Tagesblätter verteidigte. Zu seinem Ärger hatten diese auch in Mainz große Verbreitung und entfalteten bei der Bevölkerung ihre Wirkung. Durch eine neue, dezidiert katholische Zeitung musste hier für Abhilfe gesorgt werden, denn weder die eher wissenschaftlich orientierte Zeitschrift „Katholik“, noch die „Katholischen Sonntagsblätter zur Belehrung und Erbauung“ entsprachen diesem Zweck. Letztere erschienen seit November 1842 unter der Leitung von Pfarrer Heinrich Himioben. Sie gingen auf eine Initiative Lennigs und einen Kreis von Pfarrern zurück. Wies das Innenministerium 1847 sein Gesuch um Zulassung der Gründung eines politischen Blattes noch mit der Begründung zurück, dass dafür in Mainz kein Bedarf bestehe, so erteilte es im Januar 1848 unter den veränderten politischen Verhältnissen die Genehmigung. Die Finanzierung der Zeitung erfolgte auf Aktienbasis, wofür auch Lennig einen erheblichen Anteil aus seinem Familienvermögen beisteuerte. Am 16. Juni 1848 erschien dann erstmals das „Mainzer Journal“, dessen Redaktion bei Franz Sausen lag. Mit dieser Tageszeitung, die auch in anderen Diözesen vertrieben wurde und ihr Erscheinen erst 1941 zwangsweise einstellte, verfolgte Lennig zugleich das Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Katholiken zu stärken, um aus ihnen eine Formation zu bilden, die ihrem politischen Gewicht im Staat entsprach.

      In Mainz war Lennig wieder mit seinem Neffen Christoph Moufang zusammengekommen, der inzwischen Pfarrer von St. Quintin und Religionslehrer am Gymnasium geworden war. Seinen Bruder Friedrich hatte er allerdings bereits im Juni 1838 in Folge einer Typhusinfektion verloren, und sein Schwager Wilhelm Moufang, der Mentor des katholisch-konservativen Mainzer Kreises, war wenige Monate vor Lennigs Rückkehr nach Mainz am 5. Januar 1845 verstorben. In Fortführung der familiären Tradition empfing Lennig in seiner Mainzer Wohnung in den Jahren bis zu seinem Tode zahlreiche hochstehende kirchliche Persönlichkeiten, Professoren der Theologie und der Rechtwissenschaften, so namentlich Franz Xaver Dieringer (Bonn), Johann B. Alzog und Franz Joseph Buß (Freiburg), Franz Jakob Clemens (Münster), Johannes von Kuhn (Tübingen), Karl Ernst Jarke und Georg Philipps (Wien), Joseph Hergenröther und Franz Hettinger (Würzburg). Dazu versammelte er regelmäßig ihm befreundete Priester und Laien, die schließlich den „Zweiten Mainzer Kreis“ bildeten, zu Gesprächsabenden über Themen aus Theologie und Kirche, Kunst und Politik.

      Eine günstige Gelegenheit, das staatskirchliche Regiment der großherzoglichen Regierung wenn nicht ganz abzuschütteln, so doch zurückzudrängen, bot sich im Rahmen des allgemeinen Freiheitsstrebens im Jahre 1848, als der polizeistaatliche Druck, den die Fürsten zur Wahrung ihrer Position ausübten, für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr zu ertragen war. Aus Furcht vor einem Verlust der Kontrolle im Staat wurde durch die Regierungen jegliche soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung behindert. Hessen-Darmstadt galt als einer der wirtschaftlich ärmsten und politisch reaktionärsten Staaten im Deutschen Bund. Um sich der Gängelung durch die großherzogliche Regierung zu entledigen, gingen die liberal-demokratischen Kräfte und der politische Katholizismus für einige Zeit ein Zweckbündnis ein. Der in Darmstadt gefürchtete Marsch der Mainzer Demokraten auf die Landeshauptstadt führte zum Sturz des Systems des leitenden Staatsministers du Thil. Er wurde zunächst durch den liberalen Heinrich Freiherr von Gagern als Ministerpräsidenten abgelöst, bis dieser im Mai 1848 zum Präsidenten der als „Paulskirchenparlament“ bezeichneten Nationalversammlung gewählt wurde. Ihm folgte der liberale Staatsrat Carl Jaup. An die Stelle des Großherzogs Ludwig II. (1830–1848), der in seinem Denken noch mehr als sein Vater Ludwig I. (1806–1830) dem Ancien régime verhaftet war, trat Erbprinz Ludwig III. (1848–1877), der zwar als wohlmeinend und populär galt, politisch aber weitgehend bedeutungslos blieb. Als neuer Großherzog hob Ludwig III. in einem Reformedikt die härtesten staatskirchlichen Vorschriften von 1830 auf.

      In Mainz zögerte Lennig nicht, das durch die März-Revolution errungene Vereinsrecht zu nutzen und gründete am 23. März 1848 im Haus „Zum Römischen König“ den „Pius-Verein für religiöse Freiheit“, darin maßgeblich von Kaspar Riffel unterstützt. Riffel war nach seiner Zwangspensionierung nach Mainz gekommen und hielt in diesem Haus Vorträge zu verschiedenen