daß die eigentlichen Probleme des Menschen nicht intellektueller Natur sind, sondern vielmehr aus der tiefen Bedürftigkeit im Umgang mit dem eigenen Leben stammen. Hier das eigene Verlangen ernst zu nehmen, kann zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zu Gott werden. Die Gedanken, gegen die der Mensch zu kämpfen hat, sind Vorstellungen und Begriffe rationalen Inhalts, aber auch viel umfassender: bestimmte Absichten, Pläne, Intentionen, Wünsche, Einfälle, Gefühle, Motive, Stimmungen.203 Dabei geht es nicht unbedingt um ein Bekämpfen dieser Gedanken, sondern um ein Unterscheiden und um die Befreiung aus der Abhängigkeit von ihnen. Zunächst wird keine Bewertung vorgenommen, alle Gefühle und Bedürfnisse, alle Sehnsüchte und Stimmungen des Menschen sind akzeptiert und haben ein Recht zu sein, sie haben einen Sinn. Wichtig ist dabei, allem auf den Grund zu gehen und darin die Botschaft, den Hinweis für den nächsten Schritt im geistlichen Leben zu finden.204 Evagrios Pontikos schreibt in der Einleitung zu seiner „Acht-LasterLehre“:
„Ob diese Gedanken uns belästigen oder nicht, liegt nicht in unserer Macht. Ob sie aber in uns herumlungern oder nicht und damit unsere Leidenschaften entfachen, darüber haben wir Macht.“205
Hinter den schlechten, versucherischen Gedanken und Lastern vermuten die Mönche Dämonen, die zuweilen auch Gestalt annehmen können206. Johannes Cassian schreibt allerdings dazu:
„Nicht brauchen wir die Feinde von außen zu fürchten. In uns selbst ist der Feind eingeschlossen. Ein innerer Krieg wird täglich in uns geführt. Ist dieser ausgekämpft, so wird alles, was sich außerhalb findet, schwach und dem Streiter Christi vollständig unterworfen sein. Nicht werden wir den Feind von aussen zu fürchten haben, wenn alles, was in uns ist, sich besiegt dem Geiste unterwirft.”207
Für Evagrius Pontikus sind „die Gedanken“ und „die Dämonen“ praktisch dasselbe. Darum kann er in einem Atemzug von dem „Gedanken“ oder von dem „Dämon“ der Gaumenlust, der Unkeuschheit, des Geizes usw. sprechen. Es sind fast austauschbare Begriffe.208 „So wenig diese Titel einfach das gleiche meinen, so ist mit ihnen doch ein und dasselbe Gesamtphänomen zur Sprache gebracht.“209
Evagrios unterscheidet nach ihrem jeweiligen Ursprung drei Arten von „Gedanken“ (logismoi): Die einen steigen aus der menschlichen Seele auf, die anderen haben einen transzendenten Ursprung und kommen entweder von den Engeln oder sie werden von Dämonen verursacht.210
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß nicht jede Versuchung zum Bösen ein Logismos ist, sondern nur solche schlechten Impulse und Wünsche, die in ihrem rebellischen Charakter und ihrer Permanenz den Eindruck erwecken, als würden sie von außen kommen.
Diese typische Verwendung des Begriffs „logismos“ bei Evagrius im pejorativen und dämonologischen Sinn findet sich praktisch in den gesamten asketischen Schriften des Orients und des Occidents wieder.211
In den Apophthegmata finden sich diese Charakterisierungen ebenfalls:
Die Dämonen lösen Gedanken aus:
„Abbas Joseph fragte über den gleichen Gegenstand [schmutzige Gedanken], und Altvater Poimen antwortete ihm: ‘Wenn einer eine Schlange oder einen Skorpion in ein Gefäß wirft und es verschließt, dann gehen sie mit der Zeit ein. So auch die bösen Gedanken, die von den Dämonen herkommen. Sie hören bei geduldigem Ausharren auf.’ “ (Poimen 21)(Apo 595)
Gedanken und Dämonen werden synonym verwendet:
„Der Altvater Poimen erzählte über den Altvater Isidor: seine Gedanken sagten zu ihm: ‘Du bist ein großer Mensch!’ Und er sprach zu sich: ‘Bin ich etwa von der Art des Antonios? Oder bin ich vollkommen geworden wie Abbas Pambo? Oder wie die übrigen Väter, die das Wohlgefallen Gottes hatten?’ Sooft er sich das vorführte, hatte er Ruhe. Wenn aber die Feindschaft (der Dämonen) ihn mit Kleinmut erfüllen wollte, daß er nach all dem doch in die Strafe eingehen werde, sagte er zu ihnen: ‘Auch wenn ich in die Strafe geworfen werde, werde ich euch doch noch unter mir finden.’ “
(Isidor 6)(Apo 362)
Die Willensneigungen und damit letztlich auch die aufsteigenden Gedanken in Form des Willens werden als Dämonen identifiziert:
„Abraham, der Schüler des Altvaters Agathon, fragte den Altvater Poimen: ‘Wie können mich die Dämonen anfechten?’ Abbas Poimen sprach: ‘Dich bekriegen die Dämonen? Sie kämpfen nicht mit uns, solange wir unseren Willen tun. Denn unsere Willensneigungen212 sind die Dämonen, und sie sind es, die uns bedrängen, unseren Willen zu tun. Wenn du aber sehen willst, mit wem die Dämonen kämpfen: Mit Moses213 und seinesgleichen!“ (Poimen 67)(Apo 641)
Grundsätzlich definiert Abbas Poimen:
„Alles Übermaß ist von den Dämonen.“ (Poimen 129)(Apo 703)
Bezüglich der Leidenschaften heißt es:
„Abbas Pityrion, der Schüler des Abbas Antonios, sprach: ‘Wer die Dämonen austreiben will, muß zuerst die Leidenschaften unterwerfen. Welche Leidenschaft einer auch überwindet, deren Dämon treibt er damit aus. Ein Dämon begleitet den Zorn. Wenn du nun über den Zorn Herr wirst, dann ist damit auch sein Dämon vertrieben. Und ähnlich steht es mit jeder Leidenschaft.“ (Pityrion)(Apo 780)
Die Auseinandersetzung mit den Leidenschaften bewahrt den Mönch vor falscher Ruhe:
„Altvater Poimen erzählte über den Altvater Johannes Kolobos: Er rief Gott an, und die Leidenschaften wurden von ihm genommen, und er war ohne Sorgen. Er ging fort und sagte zu einem Greis: ‘Ich stellte fest, daß ich in Ruhe bin und keine Anfechtung mehr habe.’ Der Greis sprach zu ihm: ‘Geh und rufe Gott an, daß ein Feind gegen dich aufsteht, und so auch die alte Zerknirschung und Demut, die du früher hattest (wieder zurückkehrt!). Denn gerade durch die Anfechtung macht die Seele Fortschritte.’ Er bat also, und als der Feind kam, betete er nicht mehr, daß er von ihm befreit werde, sondern sagte: ‘Gib mir Geduld, Herr, in den Kämpfen!“ (Johannes Kolobos 13)(Apo 328)
Immer wieder wird das Ausharren, das Im-Kellion-Bleiben eingeschärft, auch negativ im Hinblick auf die Dämonen:
„Abbas Paulos der Große, ein Galater, sprach: ‘Der Mönch, der kleine Bedürfnisse in seinem Kellion hat und ausgeht, um sie zu besorgen, wird von den Dämonen genarrt - das habe ich selber erfahren müssen.“ (Paulos der Große 1)(Apo 794)
Der Befund dieses Durchgangs deckt sich mit der oben zitierten Beobachtung H. Bachts bezüglich der „Gedanken“ bei Evagrius Pontikus.
Es besteht eine große begriffliche Nähe, z.T. Übereinstimmung zwischen Gedanken bzw. Logismoi, Leidenschaften, Wille, Bedürfnissen und den Dämonen, wobei tendentiell festzuhalten ist, daß die Dämonen den Anteil der Erfahrung bezeichnen, in der die Versuchung als von außen kommend erlebt wird. Auch A.K. WuchererHuldenfeld betont vom Begriff der Leidenschaft her eher den Aspekt des Übermächtigtwerdens: „Wird die Dämonologie des Evagrios vom Phänomen, daß Leidenschaften einen überkommen und ganz und gar ‘gefangen’ nehmen, her verstanden, so liegt in ihr ein Schlüssel zur Achtlasterlehre und sie hat wenigstens primär nichts mit ‘orientalischem Geisterglauben’ zu tun.“214
In den Geschichten kommt eine gewisse Hilflosigkeit derer zum Ausdruck, die von Dämonen gequält werden. Sie holen sich Rat, d.h. es gibt einen gewissen Leidensdruck, der sie aufbrechen läßt.215 Durch die Dämonen entstehen Unsicherheiten, Verwirrungen, denn sie können sich hinter moralisch guten Ratschlägen verbergen:
„Jemand sagte zum Altvater Arsenios: ‘Meine Gedanken quälen mich, indem sie mir sagen: Du kannst nicht fasten und auch nicht arbeiten, so besuche wenigstens die Kranken; denn auch das ist Liebe.’ Der Greis aber, der den Samen der Dämonen kannte, sagte zu ihm: ‘Geh und iß, trinke, schlafe und arbeite nicht, nur verlaß dein Kellion nicht!“ Er wußte nämlich, daß das Ausharren im Kellion den Mönch in seine rechte Ordnung bringt.“ (Arsenios 11)(Apo 49)
Der Teufel (Herr der Dämonen) kann als Engel erscheinen:
„Einst erschien der Teufel einem Bruder,