wurde:
„Ein Bruder fragte den Abbas Poimen: ‘Was fange ich mit meinen Sünden an?’ Der Greis sagte: ‘Wer sich von seinen Sünden reinigen will, der reinigt sie durch Beweinen. Und wer Tugenden erwerben will, der erwirbt sie durch Weinen. Denn das Weinen ist der Weg, den uns die Schrift überliefert hat und auch unsere Väter, indem sie sagten: Weinet! (vgl. Lk 6,21; 23, 28). Einen anderen Weg als diesen gibt es nicht!’ “ (Poimen 119)(Apo 693)
Abbas Antonios betont, daß nicht nur die Reue wichtig ist, sondern auch der Glaube an die Vergebung, so daß man auch an der Reue nicht hängenbleiben darf:
„Der Altvater Pambo fragte den Altvater Antonios: ‘Was soll ich tun?’ Der Alte entgegnete: ‘Baue nicht auf deine eigene Gerechtigkeit und laß dich nicht ein Ding gereuen, das vorbei ist, und übe Enthaltsamkeit von der Zunge und vom Bauch.’ “ (Antonios 6)(Apo 6)
R.C. Bondi bezeichnet diese Position der Apophthegmata auf dem Hintergrund der Zeit als „truly radical“238. Diese Einschätzung geht allerdings sehr von der westlichen Entwicklung aus, die seit Ende des 2. Jahrhunderts die kanonische Kirchenbuße für überaus schwere Sünden (Glaubensabfall, Mord, Ehebruch), einmal im Leben, kennt. Dem Bekenntnis der Sünde vor dem Bischof und in allgemeiner Form vor der Gemeinde folgte eine oft sehr lange Bußzeit mit harten Bußauflagen, die den Pönitenten u.U. lebenslang belasteten. Nach Ablauf der Bußfrist erfolgte die Wiederaufnahme (Rekonziliation) durch die Handauflegung des Bischofs bzw. der Vorsteher. Auch hier war die Gemeinde durch Fürsprache beteiligt. Die Aussöhnung mit der Gemeinde bedeutete Aussöhnung mit Gott (pax cum ecclesia = pax cum Deo).239 Diese Praxis, die bis ins 6. Jh. vorherrschte, führte im Lauf der Zeit dazu, daß diese Buße erst möglichst kurz vor dem Sterben empfangen wurde. Die Buße verschwand damit weitgehend aus dem Leben der Gemeinde, den einzelnen bot diese Bußpraxis keine Hilfe mehr zur Überwindung ihrer Schuld innerhalb des Lebens. In diese Situation hinein fällt die Bewegung der iroschottischen Wandermönche, die die wiederholbare, geheime Buße einführten, die sich, zunächst heftig bekämpft (z.B. von der 3. Synode von Toledo 589), bis um 800 durchgesetzt hatte.
Die westliche Bußtheologie zeichnet sich durch ein stark juridisches Denken aus, Genugtuung für die Schuld muß geleistet werden, die Schuld muß abgezahlt werden, damit der Büßer wieder frei ist. Dem gegenüber denkt die östliche Tradition, in der die Väter der Apophthegmata stehen, stärker „therapeutisch“240 in ihrer Bußtheologie. Die Buße ist zur Heilung notwendig, vergleichbar mit der Arznei beim Genesungsprozeß eines Kranken.241
Dieser Vergleich ist bei Klemens von Alexandrien grundgelegt, der die Buße einerseits als lebenslangen Erziehungsprozeß und andererseits als Heilungsvorgang beschreibt. Was für den Leib die Krankheit, das ist für die Seele die Sünde, und so wie ein kranker Leib durch Diät, Arznei und chirurgischen Eingriff geheilt werden muß, so die Seele durch Mahnung, Tadel und überführende Bloßstellung, die geradezu einer Operation der seelischen Leiden(schaften) gleichkommt.242 Dabei übertrifft die Buße des Gnostikers, die Buße des gewöhnlichen Christen. Der Gnostiker hat das Wesen der Sünde durchschaut, und unter der Führung der Vernunft läßt er von der Sünde ab. Er ist von da an nicht nur selbst von der Sünde frei, sondern kann nun den übrigen Christen Sündenvergebung erwirken.243 Neben dieser höheren Auffassung von Buße teilt Klemens auch das allgemeine Bußverständnis der Kirche des Ostens. Er bejaht die einmalige Buße als die zweite Buße nach der Taufe als letzte Ausnahme, als unumkehrbare Umkehr.244
Hier deutet sich bereits eine Entwicklung an, daß es neben der offiziellen kirchlichen Buße die Möglichkeit der Vergebung durch verdiente und qualifizierte, erkenntnismäßig Fortgeschrittene, durch die Gnostiker gibt. Auf dieser Linie entwickelt sich das Bußverständnis des Mönchtums.
Origenes stellt die Buße in einen größeren Zusammenhang. Der Prozeß der Erziehung und Heilung betrifft nicht nur den Christen, Läuterung und Weg zur Vollendung ist vielmehr der Sinn des Weltprozesses im ganzen. Seit ihnen nach ihrem Fall Christus der Logos die Möglichkeit des Wiederaufstiegs zu ihrem Ursprung eröffnet hat, streben alle Geister in unaufhörlicher Bewegung ihrer Vollkommenheit zu. Gott hat jede vernünftige Seele auf ihr ewiges Leben hin bestimmt, die Freiheit der Wahl allerdings, zum Aufstieg oder Abgleiten liegt bei ihr selbst. Dabei wird sie durch Schaden klug, so daß sie nach ihrer Heilung verabscheuen wird, was ihre Gesundung gefährdet hat.245 Buße wird damit zur Voraussetzung des Fortschreitens auf dem Weg zum ewigen Ziel. So wie die Sünden verschiedene Grade haben, so sind auch die Mittel der Buße verschieden: Taufe, Martyrium und Almosen, dem Mitbruder Vergebung gewähren, den Sünder zur Umkehr bewegen, überschwengliche Liebe und tränenreiche öffentliche Buße vor der Gemeinde haben jeweils unterschiedlich sündentilgende Kraft.246 Es gibt eine gewisse Äquivalenz zwischen Sünde und Buße. Da das Volk Israel in der Wüste für seine vierzigtägige Verschuldung vierzig Jahre lang büßen mußte, hat man für die Sünde eines Tages ein Jahr Strafe anzusetzen.247 In jedem Fall ist es besser, die Bußstrafen in diesem Leben auf sich zu nehmen, um im künftigen Erquickung zu finden.248 Solange der Sünder sich weigert umzukehren, solange findet er keinen Zugang zur Stätte der Wahrheit, der Weisheit und des Logos, wo Jesus ist.249 Auch den Heiligen ergeht es so, sind sie doch nicht sündenlos, sondern Heilige und Sünder zugleich, die auch für ihre Sünden Buße tun müssen.250 Origenes hält die Möglichkeit der göttlichen Sündenvergebung dank der Güte des Logos und der überströmenden Menschenliebe Jesu für grundsätzlich unbegrenzt.251
Er sieht darin keinen Widerspruch zur Praxis der Kirche, schwere Sünder auszuschließen.252 Wollen sie in die Gemeinde zurückkehren, so müssen sie eine gründliche Veränderung an den Tag legen und längere Zeit Buße tun.253
Weitherzigkeit einerseits und Strenge andererseits sind für Origenes auch deshalb kein Widerspruch, weil er Vergebung Gottes und Aussöhnung mit der Kirche nicht einfach ineinssetzt. Die Schlüsselgewalt, d.h. die Vergebungsvollmacht, ist für ihn nicht an das kirchliche Amt als solches gebunden. Allein deswegen, weil jemand Bischof ist, besitzt er noch nicht die Vollmacht der Sündenvergebung.254 Der Amtsträger wird von Origenes dem Maßstab der geistlichen und ethischen Vervollkommnung unterworfen. Noch steht in der Gemeinde neben dem Bischof oder Priester, neben dem kirchlichen Amt, die geistliche Vollmacht des Seelenführers, dem sich der Sünder anvertrauen soll und von dem er Buße und Sündenvergebung erlangen kann.255
Damit ist das theologische Fundament für eine Entwicklung gelegt, die sich in den Apophthegmata widerspiegelt, daß der erfahrene Mönch, der Altvater, der Abbas selbstverständlich die Vollmacht der Sündenvergebung hat bzw. „weiß“, ob und wann Gott die Sünde vergeben hat.256
G.A. Benrath charakterisiert in seinem Artikel für die Theologische Realenzyklopädie die Entwicklung im Mönchtum mit folgenden Worten: „Die angestrebte Vollendung des christlichen Lebens in Weltflucht und Askese unter beständigem Achthaben auf sich selbst war im Mönchtum von Anfang an mit dem lebhaften Bewußtsein von der Realität der Sünde und von der Notwendigkeit der Buße verbunden. Das Mönchsleben wurde zum Leben in der Buße schlechthin. Schon die Mönchstracht war ein Bußgewand. Der Eintritt in den Mönchsstand wurde im 6. Jh. einer zweiten Taufe gleich geachtet ... . Trauer und Tränen über die Sünden sollten die Grundstimmung dieses Lebens sein. Denn so oft der Mönch im Ringen mit den Dämonen und im Kampf wider die Sünde und das eigene Ich unterlag, bedurfte er der Buße, die seine asketischen Leistungen, insbesondere das Beten und Fasten erst recht vervielfachen und verschärfen mußte.“257 Benrath hält sich offensichtlich sehr eng an die Studie von K. Holl258 und mag für seine Position einige Stellen als Beleg anführen können. Diese Darstellung des Mönchtums entspricht jedoch nicht den oben zitierten Stellen zur Bußpraxis etwa eines Abbas Poimen, der gerade an einer Minimierung der Bußleistung interessiert ist und darin auch nicht Origenes folgt, sondern eine wesentlich zugewandtere Haltung dem Sünder gegenüber einnimmt, die offensichtlich vollends der therapeutischen Funktion der Buße den Vorzug vor jeglicher Strafe gibt.
Die Formulierungen Benraths klingen sehr nach dem alten evangelischen Vorwurf der „Werkerei“. Die von ihm benannte sog. asketische Leistung wird innerhalb der Apophthegmata