ist, daß die Buße im Mönchtum nicht auf schwere Sünden beschränkt blieb, sondern eine Grundströmung mönchischen Lebens bildete und von daher auch die Unterscheidung zwischen Todsünden und geringen Sünden mehr und mehr obsolet wurde.261 Jede Sünde ist als Ungehorsam Gott gegenüber aufzufassen, sie trennt von ihm. Eindrücklich beschreibt dies ein Logion über Abbas Ammoes:
„Der Altvater Poimen erzählte: Ein Bruder kam zum Altvater Ammoes, um von ihm einen Spruch zu erbitten. Er blieb bei ihm sieben Tage, aber der Greis gab ihm keine Antwort. Als er ihn fortschickte, sagte er zu ihm: ‘Geh und habe selber auf dich Acht! Denn zur Zeit sind meine Sünden eine finstere Wand zwischen mir und Gott.’ “262 (Ammoes 4)(Apo 133)
G.A. Benrath kommentiert diese Entwicklung: „Um so nötiger wurde die genaue Gewissenserforschung, die eingehende und wiederholte tägliche Beichte, die Fürbitte der Mitbrüder und die Lossprechung von der Sünde durch den Beichtvater. So wurde die Buße im Mönchtum auf eine Weise vertieft, welche die kirchlichen Maßstäbe überstieg.“263
Mir scheint, daß der Begriff der Buße hier in eine falsche Richtung weist, gerade vor dem Hintergrund der oben beschriebenen therapeutischen Auffassung von „Buße“ als lebenslangem Prozeß im Mönchtum. K. Holl spricht von den „acht Hauptsünden“ und spielt dabei auf die Lasterlehre des Evagrius Pontikus an, der als Urheber dieser Einteilung264 gilt.265 Bei Evagrius heißt die entsprechende Schrift in der Rezension A „Über die acht Geister der Bosheit“ und in der Rezension B „Über die acht Gedanken“266 und nicht „Über die acht Sünden“. Dieser Unterschied scheint uns gewichtig zu sein, denn die „Buße“ des Mönchtums bestand zum großen Teil nicht aus der Buße für die begangenen acht Hauptsünden und deren Ableitungen, sondern im Ringen mit den acht Gedanken, den Versuchungen und Lastern, um so zu Selbsterkenntnis und Reife zu gelangen. Laster „sind Verhaltensweisen und Zustände, die zwar in freien Entscheidungen wurzeln, aber dann den Menschen ausliefern an etwas, das ihn ganz und gar einnimmt, ‘fesselt’ und besitzt; ein unfreies, an etwas Übermächtiges Verfallen- und Ausgeliefertsein, d.h. ein Selbst- und In-der-Welt-Sein, das sich auf diese privativ veränderte Weise zum Grund der Welt verhält. ... Etymologisch hat Laster nichts mit Last oder Belastung zu tun. Gemeint sind daher ‘Leiden’ und nicht freie, sündige Entscheidungen. ... Es wird verkannt, daß es sich hier um Weisen des Verfallen- und Verfangenseins handelt, die nicht mehr jener freien Entscheidung des Willens unterliegen, die eine notwendige Voraussetzung des Sündigenkönnens ist.“267
Es ist also auf weite Strecken nicht ein klassischer Bußweg, wo für begangene Sünden gebüßt wird, sondern ein Weg der Selbsterkenntnis und Reifung ganz im Sinne eines „therapeutischen“ Verständnisses, das als lebenslanges Training Aufgabe ist und bleibt. Von daher erscheint in unserem Zusammenhang die Verwendung des Begriffs der Buße als Lebensbeschreibung der Mönche problematisch, auch wenn sich sicher da und dort solche Formulierungen und Anklänge finden.
Die Altväter differenzierten selbst zwischen Offenbarung der Gedanken und dem Sündenbekenntnis, wie das auch K. Holl wiederum für Basilius darstellt.268
„Ein Bruder fragte einst den Altvater Poimen: ‘Warum kann ich nicht offen mit den Altvätern über meine Gedanken reden?’ Der Alte antwortete: ‘Johannes Kolobos hat den Ausspruch getan: Über keinen freut sich der Teufel so sehr wie über jene, die ihre Gedanken nicht offenbaren.’ “ (Poimen 101)(Apo 675)
„Abbas Poimen erzählte: Der Abbas Paphnutios pflegte zu sagen: In alten Zeiten, als die Altväter noch lebten, ging ich zweimal im Monat zu ihnen - die Entfernung betrug zwölf Meilen - und legte ihnen mein ganzes Denken dar, und sie sagten nichts anderes als dies: ‘An welchen Ort du auch hinkommst, vergleiche dich nicht mit anderen, und du wirst Ruhe finden.’ “ (Paphnutios 3)(Apo 788)
„Wenn du von unreinen Gedanken bedrängt wirst, verbirg sie nicht, sondern offenbare sie sofort deinem geistlichen Vater und vernichte sie. Denn in dem Maß, in dem man seine Gedanken verbirgt, vermehren sie sich und werden stärker. Ähnlich wie eine Schlange, die aus ihrem Versteck entweicht und sogleich davonläuft, so verschwindet der Gedanke sofort, wenn er offenbart ist. Und wie ein Wurm das Holz, so zerstört der schlechte Gedanke das Herz. Wer seine Gedanken offenbart, wird sogleich geheilt, aber wer sie verbirgt, wird krank vor Stolz.“269
Bei Origenes findet sich in Auslegung von Ps 137,8 ein sehr drastisches Bild:
„Es könnte sonst der Fall eintreten, daß irgendein Laster oder Gedanke im Herzen zurückbleibt, im Lauf der Zeit erstarkt und immer mehr sich breitmacht und stärker wird ... und schließlich ist das Ende schlimmer als der Anfang. Das schaute der Prophet im Psalm voraus und mahnte: ‘Wohl dem, der die Brut packt und am Felsen zerschmettert’, d.h. die Brut Babels, unter der nichts anderes zu verstehen ist als die bösen Gedanken, die unser Herz ‘verwirren’ und ‘durcheinanderbringen’. Das bedeutete ja ‘Babel’. Diese Gedanken müssen wir, solange sie noch klein sind und am Anfang stehen, packen und am Felsen Christus zerschmettern und ihnen auf seinen Befehl hin die Kehle abschneiden, damit ‘nichts von dem, was Odem hat, übrig bleibt’. So wird an der einen Stelle (Ps 137,8b) der gelobt, der die Brut Babels packt und am Felsen zerschmettert und die bösen Gedanken sofort beim Entstehen tötet, an der anderen (Jos 11, 11) der, ‘der nichts überleben läßt, was Odem hat ‘.“270 „Wer gemäß der Lehre Christi die bösen Gedanken der Seele tötet, der zerschmettert die Brut Babels am Felsen.“271
Diese Auslegung wird tradiert u.a. von Johannes Cassian272. B. Steidle bringt dieses Zerschmettern der Gedanken an Christus in Zusammenhang mit der Offenbarung der Gedanken dem Abbas gegenüber und verweist auf die entsprechende Praxis im Mönchtum.273
Für Johannes Cassian ist die vollständige Eröffnung der Gedanken die zweite Stufe der Demut274, er hat sie in seinen Regeln für die Novizen in einem eigenen Kapitel behandelt:
„Damit sie leicht dahin gelangen [zur wahren Demut], werden die Novizen angeleitet, niemals Gedanken, die sie im Herzen verwirren, aus falscher Scham zu verbergen. Sobald solche Gedanken entstanden sind, sollen sie sie dem Älteren kundtun. Das Urteil darüber sollen sie nicht ihrem eigenen Unterscheidungsvermögen zutrauen, sondern in der Frage, was schlecht oder gut ist, auf das vertrauen, was die Prüfung des Älteren ergeben und festgestellt hat. So kann der böse Feind dem unerfahrenen und unwissenden Novizen nicht zuvorkommen. Mit keiner List kann er ihn täuschen, denn er sieht ja, daß er nicht mit seiner eigenen, sondern mit des Älteren Unterscheidungsgabe ausgerüstet ist. Er kann ihn auch nicht dazu bringen, die Einflüsterungen, die er gleich glühenden Pfeilen in sein Herz schießt, vor dem Älteren zu verbergen. Der recht schlaue Teufel kann den Novizen ja gar nicht anders betrügen und täuschen, als daß er ihn dahin bringt, aus Stolz oder Scham seine Gedanken nicht aufzudecken. Als ganz allgemeines und offenkundiges Zeichen teuflischer Gedanken gilt es bei den Mönchen, wenn man sich schämt, sie dem Oberen anzuzeigen.“275
In den Collationes führt Cassian dies weiter aus:
„Wirkliche Unterscheidungsgabe (discretio) erlangt man einzig durch wahre Demut.276 Die erste Probe auf Demut ist, daß man alles dem Urteil der Väter unterwirft, nicht nur, was man tut, sondern auch, was man ‘denkt’. Auf diese Weise vertraut man in keinem Punkt seinem eigenen Urteil, sondern dem Urteil der Väter, und erkennt einzig aus dem, was sie überliefern, was man als gut und was man als böse zu betrachten hat.
Aufgrund dieser Einrichtung weist eine wahre Discretio ihm, dem Jüngeren, nicht nur den rechten Weg, sondern bewahrt ihn auch unverletzt vor den Fallstricken und Hinterhältigkeiten des Feindes. Keiner wird nämlich getäuscht werden, der nicht nach eigenem Gutdünken lebt, sondern in allem sich an der Erfahrung der Väter orientiert. Und dem noch Unkundigen werden die schlauen Täuschungen des Feindes nicht schaden können, wenn er keinen der Gedanken, die in seinem Herzen aufsteigen, aus falscher Scham verhehlt, sondern alle dem reifen Urteil der Alten unterwirft und demgemäß solche Gedanken entweder verwirft oder zuläßt. Sobald nämlich ein böser Gedanke offenbart wird, verliert er seine Kraft. Und noch ehe Discretio ihr Urteil gesprochen hat, ist die scheußliche Schlange bereits aus ihrem finsteren, unterirdischen [d. i. unterbewußten]