deren Fortschritte er täglich zu Kampf und Streit gereizt wird, da du nach so vielen Jahren deines Mönchseins dich unfähig zeigst, auch nur einen einzigen seiner Pfeile einen Tag lang zu ertragen oder gar zurückzuschleudern.
Der Herr hat zugelassen, daß du verwundet wurdest, damit du wenigstens im Alter lernest, Mitleid zu haben mit fremder Schwäche und vom hohen Roß herabzusteigen zur Gebrechlichkeit deiner Brüder, vor allem der jungen. Was du an dir selbst erfährst, soll dir Lehre sein. Du hast den jungen Mann, der teuflisch versucht wurde, nicht nur nicht getröstet, du hast ihn in eine schlimme Verzweiflung gestürzt und ihn, soviel an dir lag, den Händen des Feindes überlassen, daß er ihn schrecklich verschlinge. Den Jungen hätte der Teufel ganz gewiß nicht so heftig angegriffen, wie er dich zu versuchen bisher verschmähte, wenn er nicht neidisch gewesen wäre auf seinen künftigen Fortschritt. Darum beeilte er sich, die Tugend, die er in seiner Seele angelegt sah, im Keim zu ersticken. Zweifellos erkannte er ihn als den Stärkeren, da er sich die Mühe machte, ihn so heftig anzugreifen. Jetzt lerne du, mit denen, die ringen, Mitleid zu haben, die Gefährdeten nicht solch verderblicher Verzweiflung auszusetzen oder mit harten Worten rauh zu behandeln. Erquicke sie vielmehr mit sanftem und zartem Trost. Lerne aus dem Beispiel unseres Erlösers, ein geknicktes Rohr nicht zu brechen und den glimmenden Docht nicht auszulöschen (Mt 12,20) und jene Gnade vom Herrn zu erbitten, mit der du selbst vertrauensvoll singen kannst: ‘Der Herr gab mir eine kundige Zunge, damit ich durch mein Wort den zu stärken wisse, der gefallen ist’ (Is 50, 4). Nun ist erreicht, was der Herr in seiner Weisheit mit diesem Ganzen Heilsames gewollt hat! Der junge Mann sollte von seiner sexuellen Begierde befreit werden, du aber solltest eine Lehre erhalten über die Heftigkeit von Versuchungen und über die Notwendigkeit des Mitleids. So laß uns jetzt gemeinsam den Herrn anflehen, er möge diese Geißel, die über dich kam, weil sie dir nützen sollte, wieder von dir nehmen.’
Der Herr erhörte das Gebet. Die Lehre aber aus dem Ganzen: Niemandem darf man die Fehler vorwerfen, die er selbst offenbart hat. Das verlangt der Respekt vor dem Schmerz eines Mannes, der kämpft. Darum darf uns denn auch nicht die Ungeschicklichkeit oder Leichtfertigkeit des einen oder anderen Alten, dessen Greisenhaar der schlaue Feind mißbraucht zur Täuschung der Jüngeren, abschrecken. Heilsame Lehre der Väter ist: Ohne falsche Scham den Vätern alles offenlegen und von ihnen entweder Heilmittel für die Wunden oder Lebensbeispiele, wie man damit fertig wird, vertrauensvoll annehmen.“234
Gott selber korrigiert die Väter, wenn sie gegen diesen Grundsatz verstoßen:
„Einmal kam der Altvater Isaak von Theben ins Koinobion und sah einen Bruder, der zu Fall gekommen war, und verurteilte ihn. Als er aber in die Wüste hinausgegangen war, kam ein Engel des Herrn und stellte sich vor die Tür seines Kellions und sagte: ‘Ich lasse dich nicht eintreten.’ Er aber wandte ein: ‘Warum?’ Der Engel gab ihm zur Antwort: ‘Der Herr hat mich mit dem Auftrag gesandt: ‘Sage ihm: was soll ich mit dem gestrauchelten Bruder, den du gerichtet hast, anfangen?” Auf der Stelle bereute er und sagte: ‘Ich habe gefehlt, verzeihe mir!’ Und der Engel sprach: ‘Steh auf, Gott hat dir verziehen. Aber sei in Zukunft auf der Hut, und verurteile niemand, ehe der Herr ihn gerichtet hat.’ “(Isaak der Thebäer 1)(Apo 422)
Abbas Theodor von Pherme formuliert grundsätzlich:
„Keine andere Tugend ist wie die: keinen verachten!“ (Theodor von Pherme 13)(Apo 280)
„Ein Bruder fragte den Altvater Hierakas: ‘Sage mir ein Wort, wie ich gerettet werden kann.’ Der Greis sprach zu ihm: ‘Bleib in deinem Kellion sitzen, iß, wenn du Hunger hast, trink, wenn du Durst hast, aber sprich nicht abfällig von einem anderen, und du wirst das Heil finden.’ “ (Hierakas 1)(Apo 399)
Hinzu kommen die vielen Hinweise darauf, daß der Mönch sich des Urteils enthalten soll, es ihm nicht zusteht über andere zu urteilen und sich damit auch über sie zu stellen. Ein Bruder fragte den Altvater Euprepios:
„ ‘Wie kommt die Gottesfurcht in die Seele?’ Der Altvater antwortete: ‘Wenn der Mensch demütig und arm ist und nicht urteilt, dann kommt zu ihm die Furcht Gottes.“ (Euprepios 5)(Apo 222)
Auch seinen Augen soll man nicht trauen, jegliche Vermutung vermeiden, auch wenn sie noch so offensichtlich scheint:
„Abbas Poimen sprach: ‘Es steht geschrieben: Was dein Auge gesehen hat, das bezeuge! (Spr 25, 7). Ich aber sage euch: Auch wenn ihr es mit Händen greift, so redet nicht davon. Ein Bruder wurde in dieser Sache genarrt. Er sah etwas, wie wenn ein Bruder mit einem Weibe sündigte. Stark angefochten, ging er hin und stieß mit dem Fuße, im Glauben, daß sie es seien, und sagte: ‘Hört endlich auf, wie lange denn noch?’ Und siehe: es fanden sich Getreidegarben! Deshalb sage ich euch: Auch wenn ihr es mit Händen greifen könnt, urteilt nicht!” (Poimen 114)(Apo 688)
Ähnliches gilt für die Zurechtweisung:
„Einige von den Vätern fragten den Altvater Poimen: ‘Wenn wir einen Bruder fehlen sehen, willst du, daß wir ihn zurechtweisen.’ Der Greis antwortete ihnen: ‘Was mich betrifft: wenn ich durch jene Gegend wandern muß und ich sehe einen fehlen, dann gehe ich an ihm vorbei und weise ihn nicht zurecht.’ “ (Poimen 113)(Apo 687)
Etwas differenzierter sieht das ein anonymer Abbas:
„Ein Bruder fragte einen Greis: ‘Wenn ich mit anderen Brüdern beisammenwohne und beobachte irgend etwas Unziemliches, soll ich dann mit ihnen darüber reden?’ Er antwortete: ‘Wenn sie älter sind als du oder gleichaltrig mit dir, dann wirst du mehr Ruhe haben, wenn du schweigst, denn je mehr du dich erniedrigst, desto sicherer wirst du sein.’ Der Bruder fragte weiter: ‘Was soll ich also tun, Vater, denn mein Geist verwirrt mich?’ Der Greis entgegnete ihm: ‘Wenn es dir schwer fällt, dann ermahne einmal demütig. Wenn sie dir aber nicht gehorchen, so gib dich vor Gott zur Ruhe, und er selbst wird dich trösten. Denn es ist gut, daß sich ein Diener Gottes vor dem Herrn erniedrigt und seinen eigenen Willen verläßt. Hab aber acht, daß deine Sorge sich auf Gott richte. Und dennoch, soviel ich sehe, ist es am besten zu schweigen, ja die Demut besteht für dich im Schweigen.’ “(V, 15, 76)(Apo 1067)
Auch wenn offensichtliches Versagen vorliegt, besteht keine Notwendigkeit des Urteilens oder Ermahnens, ganz im Gegenteil:
“Einige von den Alten kamen zum Altvater Poimen und sagten zu ihm: ‘Wenn wir beim Gottesdienst Brüder einnicken sehen, willst du, daß wir ihnen einen Stoß geben, damit sie in der Vigilie wachen?’ Er erwiderte: ‘Wahrlich, wenn ich einen Bruder einnicken sehe, dann leg ich seinen Kopf auf meine Knie und lasse ihn ruhen.’ ” (Poimen 92)(Apo 666)
Diese Haltung gegenüber dem Bruder, auch und gerade, wenn er Sünder ist, bildet die Grundlage eines sehr selbstständigen und selbstbewußten Umgangs der Väter mit der Sünde und mit Sündenvergebung.
Der Altvater Abbas Lot spricht die Vergebung nach geleisteter Buße zu, denn dem Alten wurde „die Gewißheit, daß der Herr die Buße des Bruders angenommen habe“.235 Dafür gibt es noch weitergehende Belege. Die Einsicht in begangene Sünde wirkt bereits sündenvergebend:
„Abbas Poimen wurde von einem Bruder gefragt: ‘Wenn ich einem kläglichen Fehler verfalle, dann zehrt mich mein Denken auf und klagt mich an: Warum bist du gefallen?’ Der Greis antwortete: ‘Zu der Stunde, da der Mensch einem Falle unterliegt und sagt: Ich habe gesündigt, ist er auf der Stelle abgetan.’ “ (Poimen 99)(Apo 673)
Abbas Poimen hält nichts von übertriebener Buße, das Entscheidende ist die Reue:
„Ein Bruder sagte zum Altvater Poimen: ‘Ich habe eine große Sünde begangen und will drei Jahre dafür Buße tun.’ Der Greis antwortete ihm darauf: ‘Das ist viel!’ Der Bruder erwiderte: ‘Aber dann ein Jahr lang?’ Der Greis darauf: ‘Das ist viel!’ Die Anwesenden meinten: ‘Vierzig Tage.’ Und wieder sprach der Greis: ‘Das ist viel. Ich sage euch: Wenn der Mensch aus ganzem Herzen bereut und sich vornimmt, die Sünde nicht mehr zu tun, dann nimmt ihn Gott auch bei einer Buße von drei Tagen wieder auf.’ “ (Poimen 12)(Apo 586)
Ähnlich Abbas Elias:
„Was vermag die Sünde, wo Reue ist? Und was nützt die Liebe, in der