haben entweder gemeinsame Wörter über Markus hinaus oder haben den Markustext übereinstimmend geändert) keineswegs gleich und sollten in der Argumentation keine Rolle mehr spielen.
Positive und negative Übereinstimmungen
Unterschiedliches Gewicht – Beispiele
Auch die positiven Übereinstimmungen sind von unterschiedlicher Bedeutung, wie man sich sehr schön an Mk 9,19 verdeutlichen kann. Dort stimmen Matthäus und Lukas sowohl in der Nachstellung des „aber“ hinter „antwortend“ und in der Verwendung des Verbums „sprechen“ in der Vergangenheit überein (Mk 9,19: „Der aber, antwortend ihnen, spricht“, Mt 17,17: „Antwortend aber sprach Jesus“, Lk 9,41: „Antwortend aber sprach Jesus“) – Änderungen, die Matthäus und Lukas zuhauf an der Markusvorlage vorgenommen haben und in der sie häufig übereinstimmen (vgl. nur zu sagen / sprechen [λέγειν / εἰπεῖν] Mt 9,2.4.12; 12,24.25.48; 13,11 und die jeweiligen Lukas- und Markusparallelen), die sich aber bei Matthäus auch finden, wenn keine direkte Lukasparallele vorhanden ist (vgl. Mt 13,57; 15,3.10.16.26.27.32 mit den jeweiligen Lukas- und Markusparallelen) und die sich als Veränderung gegenüber Markus auch feststellen lassen, wenn Lukas entweder die Markus formulierung übernimmt oder ein anderes Wort gebraucht als Markus oder Matthäus (Mt 16,6.20; 19,16). Von ganz anderer Bedeutung ist allerdings die weitere kleinere Übereinstimmung in demselben Vers, in dem in den Evangelien des Lukas und des Matthäus das Volk über die nähere Kennzeichnung bei Markus als „ungläubig“ hinaus auch noch als „verkehrt“ bezeichnet wird (Mt 17,17 parLk 9,41). Ein ähnlich gravierender Fall findet sich in Mk 14,65 par, wo Matthäus und Lukas über Markus hinaus noch die Formulierung bieten: „Wer ist es, der dich schlägt?“ und in Mk 6,14, wo die beiden Seitenreferenten Herodes Antipas – historisch korrekter als Markus – nicht als „König“, sondern als „Tetrarchen“ bezeichnen. Weitere besonders auffällige kleinere Übereinstimmungen liegen z. B. in den synoptischen Parallelen zu Mk 2,12; 4,11 und 14,72 vor.
Deuterooder Urmk
Diese Fälle – in der kritischen Literatur wird von ca. 50 wirklich wichtigen minor agreements gesprochen –, das muss man ehrlich eingestehen, sind mit der Zweiquellentheorie nicht vereinbar. Wenn man nicht auf Schwierigkeiten in der handschriftlichen Überlieferung rekurrieren und die von unserem Markusevangelium abweichenden Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas auf diese zurückführen will, was verständlicher-, wenn vielleicht auch nicht immer berechtigterweise zumindest den Verdacht einer Verlegenheitsauskunft hervorruft, können solch schwerwiegende kleinere Übereinstimmungen nur mit Hilfe der Annahme erklärt werden, dass Matthäus und Lukas entweder unabhängig voneinander diese übereinstimmenden Änderungen vorgenommen haben oder aber, dass Matthäus und Lukas zu einer Gestalt des Markusevangeliums Zugang hatten, die mit der uns heute vorliegenden nicht vollkommen identisch war und die entweder jünger oder aber vielleicht auch älter als unser heutiges Markusevangelium war.
Nach Ansicht der Vertreter der Deutero-Markus-Hypothese hätten die beiden ► Seitenreferenten diese kleineren Übereinstimmungen bereits in ihrer Markus-Vorlage vorgefunden, weil diese sich inzwischen bereits etwas weiterentwickelt und einzelne Veränderungen und kleinere Hinzufügungen erfahren hatte. Dieses – freilich hypothetische – Stadium des Markus-Evangeliums wird dann in Anlehnung an das griechische deuteros = der Zweite als Deutero-Markus bezeichnet, während das ursprüngliche Stadium in Anlehnung an das griechische protos = der Erste Proto-Markus genannt wird. Diese Deutero-Markus-Hypothese erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit in der deutschen Forschung (z. B. vertreten von Schnelle, Luz und Wolter), wenn auch nicht alle ihre Vertreter mit A. Fuchs in Deutero-Markus eine Gesamtrevision des ursprünglichen Evangeliums sehen. Auffällig ist, dass selbst von Vertretern der Deutero-Markus-Hypothese die kleineren Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas keineswegs alle einstimmig auf Deutero-Markus zurückgeführt werden, sondern dass daneben auch weiterhin mit zufälligen Übereinstimmungen aufgrund redaktioneller Arbeit, mit Einfluss der mündlichen und Angleichungen bei der schriftlichen Überlieferung gerechnet wird. Dass diese deutero-markinische Fassung zwar Matthäus und Lukas so deutlich beeinflusst haben soll, aber sich gegen die ursprüngliche Fassung des Markusevangeliums in der Überlieferung nicht durchgesetzt und keinerlei Spuren in den ► Handschriften hinterlassen hat, scheint mir freilich weiterhin ein wichtiges Hindernis für die Deutero-Markus-Hypothese zu sein, das nicht nur A. Fuchs in meinen Augen nicht genügend ernst genommen und für das auch er keine Lösung angeboten hat.
Blick in die handschriftliche Überlieferung
Insofern ist noch einmal der zu Anfang erfolgte Hinweis auf die Situation in den Handschriften in den Blick zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass dieser nicht so abwegig ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Denn in Mk 9,19 z. B. wird aufgrund der handschriftlichen Situation in der Literatur mehrfach erwogen, ob hier nicht doch schon Markus die Formel von dem ungläubigen, gottlosen und verkehrten Volk geschrieben hat, und in der Lukasparallele zu Mk 14,72 gibt es durchaus Gründe, die Formulierung des Lukas „er ging hinaus und weinte bitterlich“, die für die Qualifizierung als minor agreement verantwortlich ist, als eine Angleichung an den Matthäustext in den Handschriften anzusehen. Auch hier stellt sich übrigens – wenn man die Gegenprobe macht und die Griesbach-Hypothese an diesem Beispiel überprüft – die Frage, warum Markus ein übereinstimmendes Zeugnis seiner Gewährsleute übergangen haben und davon abgewichen sein sollte.
Beispiel
Wie schwierig die hier in Frage stehenden Probleme sind, kann man sich schön mit Hilfe des Aufsatzes von F. Neirynck zu Mt 26,68 par Mk 14,65 verdeutlichen, der die zahlreichen Lösungsversuche zu dieser schwierigen Stelle kritisch Revue passieren lässt. Das Problem ist nämlich mit dem Hinweis, dass Matthäus und Lukas über Markus hinaus in der Wendung „Wer ist es, der dich schlägt?“ übereinstimmen, keineswegs ausreichend umschrieben. Es muss vielmehr auch erwähnt werden, dass Matthäus gleichzeitig das im Markus- und Lukastext genannte Verhüllen von Jesu Gesicht verschweigt, was die Sinnhaftigkeit der ganzen Szene bei Matthäus zumindest erheblich beeinträchtigt, weil nach dem jetzigen Text des Matthäusevangeliums Jesus sieht, wer ihn schlägt, und von daher eine „Prophezeiung“ gar nicht erfolgen kann. Die von Neirynck im Anschluss an Turner vorgeschlagene Lösung, es handele sich bei der in Frage stehenden Wendung um eine nachträglich unter dem Einfluss des Lukastextes in den Matthäustext eingedrungene ► Glosse, ist jedenfalls angesichts dieses Befundes nicht einfach von der Hand zu weisen und vermag auf die hohe Komplexität der Problematik der kleineren Übereinstimmungen an einigen Stellen hinzuweisen.
6.3 Überlegenheit der (Neo-)Griesbach-Hypotbese?
Beispiele
Zur Beantwortung der Frage, ob diese für die Zweiquellentheorie zugegebenermaßen nur schwer verdaulichen kleineren Übereinstimmungen nicht die ganze Theorie in Frage stellen und insofern nicht die Bevorzugung der (Neo-)Griesbach-Hypothese empfehlen, wird man darauf hinweisen müssen, dass die oben vorgetragenen Argumente nun einmal das Für und Wider ziemlich eindeutig verteilen und darüber hinaus die Neo-Griesbach-Hypothese ebenfalls mit den „minor agreements“ erhebliche Schwierigkeiten hat. Um es an den oben genannten Beispielen zu erläutern: In Mk 14,65 ist die Hinzufügung des „Wer ist es, der dich schlägt“ durch Matthäus und Lukas leichter zu erklären als die Weglassung durch Markus, wie sie von der Griesbach-Hypothese gefordert werden muss, weil der Gedankengang zumindest bei Lukas klar und eindeutig ist, während der Leser den Zusammenhang bei Markus (und Matthäus) letztlich gar nicht verstehen kann, so dass nicht nur der Einfluss der ► Seitenreferenten, sondern auch der unbefriedigende Zustand des Markustextes selbst Anlass für die nachträgliche Einfügung von „Wer ist es, der dich schlägt“ in einigen Handschriften des Markusevangeliums gewesen sein dürfte. Auch ist die Umbenennung des Herodes Antipas von „König“ in „Tetrarch“ plausibler, weil die letztere Bezeichnung die historisch zutreffendere ist, als der umgekehrte Vorgang. Freilich sind auch gegen diese Zuweisung der größeren Plausibilität an die Zweiquellentheorie Einwendungen möglich, man kann z. B. sagen, der Autor des zweiten Evangeliums habe Herodes Antipas nach Ausweis von 6,22 nun einmal für einen König gehalten und deswegen die auf der Basis der Griesbach-Hypothese in Mk 6,14 zu fordernde Änderung vorgenommen oder nur die bei Matthäus uneinheitliche