Hans-Ulrich Weidemann

Einleitung in das Neue Testament


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der Evangelien als theologisches und exegetisches Problem in der Alten Kirche (Trad. Chr. III) Bern u. a. 1978; ders., Die Widersprüche zwischen den Evangelien. Ihre polemische und apologetische Behandlung in der Alten Kirche bis zu Augustin

      (WUNT 13) Tübingen 1971; MORGENTHALER, R., Statistische Synopse, Zürich 1971; NEIRYNCK, F. (Hg.), The Minor Agreements of Matthew and Luke against Mark with a Cumulative List (BEthL 37) Leuven 1974; NEIRYNCK, F., Evangelica II (BEThL 99) Leuven 1991; NEVILLE, D. J., Mark’s Gospel – Prior or Posterior? A Re-Appraisal of the Phenomenon of Order (JSNTSS 222) Sheffield 2002; POIRIER, J. C., The Synoptic Problem and the Field of New Testament Introduction, in: JSNT 32,2 (2009) 179–190; ders., Statistical Studies of the Verbal Agreements and their Impact on the Synoptic Problem, in: Currents in Biblical Research 7,1 (2008) 68–123; SCHMID, J., Matthäus und Lukas (BSt 23) Freiburg 1930; STEIN, R. H., The Synoptic Problem. An Introduction, Grand Rapids 1988; STOLDT, H. H., Geschichte und Kritik der Markushypothese, Göttingen 1977; STRECKER, G. (Hg.), Minor Agreements (GTA 50) Göttingen 1993; STREETER, B. H., The Four Gospels, London 1924; TUCKETT, C. M. (Hg.), Synoptic Studies (JSNTSS 7) Sheffield 1984; ders., The Revival of the Griesbach Hypothesis (MSSNTS 44) Cambridge 1983; WATSON, F., Q as Hypothesis. A Study in Methodology, in: NTS 55 (2009) 397–415.

§ 4Die Logienquelle Q

      Die Zweiquellentheorie war das Ergebnis der Suche nach den Gründen für die großen Übereinstimmungen zwischen den ersten drei Evangelien im 19. Jahrhundert, wie wir in § 3 gesehen haben. Damit war das Markusevangelium als das älteste Evangelium und als Quelle für die Evangelisten Matthäus und Lukas erkannt, zugleich aber eine weitere Quelle postuliert, die nicht erhalten ist und deswegen nur rekonstruiert werden kann: die Logienquelle Q. Die Erkenntnis, dass Matthäus und Lukas außer dem Markusevangelium eine weitere gemeinsame Quelle benutzt haben müssen, die weitestgehend aus Worten Jesu besteht, ist fest mit den Namen K. Lachmann, Ch. H. Weiße und H. Ewald, aber auch mit dem von H. J. Holtzmann verbunden. Denn letzterer ist es gewesen, der der Erkenntnis Weißes aufgrund seiner Beobachtungen zum sprachlichen Charakter und zum Zusammenhang der einzelnen Einheiten untereinander erst zum Durchbruch und zu breiterer Anerkennung verhalf. Das Kürzel Q (für Quelle) wurde erstmals von J. Weiß benutzt und setzte sich seit 1899 durch P. Wernles Arbeit durch.

      Suche nach dem Historischen Jesus

      Q als bloße Ergänzung?

      Forschungsgeschichte

      Seit dieser Zeit erhielt die Logienquelle erhöhte Aufmerksamkeit, die sich in einer Vielzahl von Hypothesen über Umfang, Reihenfolge und literarischen Charakter niederschlug. Die leitende Perspektive der Untersuchungen stand damals häufig im Zusammenhang mit der Frage nach dem historischen, von allen dogmatischen Übermalungen befreiten Jesus. In der Logienquelle sah man die älteste Schicht der Jesusüberlieferung, in der man am ehesten noch die Worte des irdischen Jesus finden konnte. Sie wurde ähnlich wie die Evangelien nicht als eigenständiger theologischer Entwurf, sondern als Sammlung von Einzelsprüchen z. B. unter ► paränetischem Gesichtspunkt angesehen. Da die Logienquelle, wie man schon damals aufgrund fehlender Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas gegen Markus festgestellt hat, keine Passionsgeschichte und keine Ostererzählungen enthielt und auch sonst das Passionskerygma in ihr keine Rolle spielte, betrachtete man sie häufig nur als Ergänzung des paulinisch-antiochenischen Typs urchristlicher Theologie, die als die entscheidende Form der Theologie des sich ausbildenden Christentums angesehen wurde und bei der Jesu Sühnetod und seine Auferweckung im Vordergrund standen. Adolf von Harnack legte 1907 eine erste Rekonstruktion der Quelle vor und lehnte zugleich mit Nachdruck einen Zusammenhang zwischen Q und dem Markusevangelium ab.

      Als eigenständiger theologischer Entwurf wurde Q zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg von H. E. Tödt in den Blick genommen und dabei nicht mehr einfach als Ergänzung des anderswo liegenden theologischen Zentrums angesehen. D. Lührmann fragte als erster nach den Motiven der Redaktion von Q. Seither, vor allem aber seit den 80er Jahren, ist die Forschung an der Logienquelle zu einem Hauptarbeitsfeld der neutestamentlichen Wissenschaft geworden. Das große Interesse an Q hängt sicher auch damit zusammen, dass es sich hierbei, wenn man von den wenigen Jesusworten bei Paulus absieht, um das älteste Zeugnis der Jesusüberlieferung handelt. Zuverlässige Erkenntnisse über die Geschichte dieser Sammlung wären zweifellos von sehr großem Wert für die Erforschung der Geschichte der Urgemeinde und der neutestamentlichen Literatur insgesamt. Auf diese Weise würde ein tieferer Blick nicht nur in die theologische Entwicklung der sich ausbildenden Kirche in den ersten Jahrzehnten ermöglicht.

      2.1 Die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Logienquelle

      Unsicherer Umfang

      Grundlage für jede Rekonstruktion dieser zweiten, von Matthäus und Lukas neben dem Markusevangelium benutzten Quelle ist der den Evangelien der beiden ► Seitenreferenten des Markus gemeinsame Stoff, der sich freilich gelegentlich einer genauen Bestimmung entzieht. Insofern ist die Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit mancher Perikopen bzw. Verse zu Q durchaus diskussionswert. Nach der Zählweise des Lukasevangeliums ergibt sich für die Logienquelle ein Umfang von ca. 200 Versen. Allerdings kann außer der bereits genannten Unsicherheit nicht ausgeschlossen werden, dass die Quelle umfangreicher war, als es uns heute aufgrund des gemeinsamen Stoffes im Matthäusund Lukasevangelium erscheint. Denn da Matthäus und vor allem Lukas sich gegenüber dem Markusstoff wenigstens teilweise selektiv verhalten haben (nach Morgenthaler 283 z. B. lässt Matthäus von den 128 Perikopen des Markusevangeliums 10, Lukas 32 aus; bei fünf Auslassungen liegen Überschneidungen zwischen Lukas und Matthäus vor), ist es durchaus wahrscheinlich, dass jeder für sich auch den Stoff der Logienquelle Q nicht zu 100 % in sein Werk aufgenommen hat. Von daher ist es gut möglich, dass Stücke, die heute nur bei Matthäus oder Lukas erhalten sind und die wir aufgrund dessen auf das Sondergut der Evangelisten zurückführen, in Wahrheit aus der Logienquelle stammen. H. Schürmann hat das z. B. für Mt 5,19 aufgrund der Verwandtschaft dieses Logions mit anderen, eindeutig Q angehörenden Worten nachzuweisen versucht. Aber wir haben keine Möglichkeit mehr, die Herkunft dieses Sondergutstoffes aus Q zu kontrollieren, da wir auf die Existenz von Q überhaupt nur aufgrund der Gemeinsamkeiten von Matthäus und Lukas gestoßen sind und die Quelle entsprechend definieren.

      Bei den im Matthäus- und Lukasevangelium praktisch vollkommen übereinstimmenden Versen (z. B. Lk 3,17; 4,3–12; 13,34 f.) ist die Zuweisung an die Logienquelle naturgemäß kein Problem. Schwieriger ist die Frage bei in der Sache durchaus ähnlichen, im Wortlaut aber erheblich unterschiedlichen Logien, wie z. B. in Lk 12,51–59; 14,34 f.; 17,33 f.

      Das Internationale Q-Projekt

      Der Umfang der Logienquelle wird angesichts der bezeichneten Unschärfen unterschiedlich bestimmt, das internationale Q-Projekt hat in seiner Ausgabe von Q die im Folgenden genannten Texte zugrunde gelegt – allerdings nicht immer in dieser Reihenfolge – (vgl. die Lit. unter 1), was natürlich eine weitere Diskussion nicht ausschließt.

Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth
3,7–9.16b.17Die Predigt des Täufers
3,21f.Die Taufe Jesu (narrativ)
4,1–13Die Erprobung Jesu (narrativ)
6,20–23.27–49Jesu erste Rede an seine Jünger
7,1.3.6b–10Der Glaube eines Heiden an Jesu Wort (narrativ)
7,18f.22–35Jesu Worte über den Täufer
In der Nachfolge Jesu
9,57–60; 10,2–16Die Missionsunterweisung an die Jünger
10,21–24Der „Jubelruf“ (das Geheimnis des Sohnes)
11,2b–4.9–13Die Gebetsunterweisung an die Jünger
Jesus in Auseinandersetzung mit seinen Gegnern