align="left">Beginn der Verkündigung Jesu und Berufung der ersten Jünger, erster Zyklus von Machttaten und beginnende Auseinandersetzungen, Erwählung der Zwölf
2. Der Anlass für die Abfassung des Markusevangeliums
Markus: der „Erfinder“ der Gattung Evangelium
Was Markus tat, war neu, um nicht zu sagen revolutionär, und nicht neu zugleich:
Es war neu, insofern hier erstmalig die mündlichen Einzeltraditionen und die Sammlungen von mehreren Einzelgeschichten (z. B. Wundergeschichten) in den Rahmen der öffentlichen Wirksamkeit Jesu eingepasst, unter das Schema „Von Galiläa nach Jerusalem“, oder besser „Von der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer bis zur Auferstehung in Jerusalem“ subsumiert und unter bestimmte theologische Leitgedanken gestellt wurden.
Es war nicht neu, insofern nach Ausweis seines Evangeliums vermutlich auch in seiner eigenen Gemeinde das Christusereignis mit Hilfe von solchen Geschichten aus dem Leben Jesu verkündigt wurde und insofern es auch schon vor der Abfassung seines Werkes kleinere Sammlungen von Einzelperikopen gegeben hat, die er in sein Werk integrierte.
Die Originalität der Absicht des Markus, die uns wegen unserer Vertrautheit mit der Gattung nicht besonders auffällt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden und übersteigt z. B. die des Matthäus trotz der großartigen Konzeption des Matthäusevangeliums bei weitem. Markus verfiel als Erster auf die Idee, die überwiegend mündlich umlaufenden Jesusgeschichten nicht nur zu sammeln, sondern unter einer Gesamtperspektive als „literarisches“ Werk herauszubringen und als Evangelium zu begreifen.
Sitz im Leben: der Gottesdienst
Angesichts unserer Kenntnis von der Verlesung der Paulusbriefe im Gottesdienst der ersten Christen (vgl. Kol 4,16; auch 2 Petr 3,14–16) und der Rolle des Alten Testaments im Synagogengottesdienst ist davon auszugehen, dass der ► Sitz im Leben der Einzelgeschichten ebenfalls der Gottesdienst war.
Lesen und Vorlesen in der Antike
Man kann dafür des weiteren anführen, dass „Bücher“ selten und kostbar waren und dass die Fertigkeit des Lesens unter den damaligen Christen sicher nicht allzu weit verbreitet war.
Gleichwohl dürfte die Verlesung im Gottesdienst keinesfalls der einzige Abfassungszweck gewesen sein, weil diese atomisierende, das Ganze in kleine Abschnitte aufteilende Art, das Evangelium zur Kenntnis zu bringen, der Gesamtkomposition und den zugrunde liegenden Leitgedanken, ganz abgesehen von dem Spannungsbogen, nicht gerecht zu werden vermag. Allerdings geschah Lesen in der Antike sehr häufig als Vorlesen, und offensichtlich waren die Zuhörer in der Lage, nicht nur kompliziertere und längere, sondern auch übergreifende Zusammenhänge zu erkennen, was für uns weitgehend an eine schriftliche Kultur Gewöhnte wesentlich schwieriger ist. Von daher ist dieser Einwand gegen das Vorlesen wohl kaum durchschlagend. Im übrigen bezeugt bereits Thukydides, dass Bücher „zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören“ geschrieben wurden (I 22,4, vgl. aber auch 22,3: „Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen“).
Unbeschadet der Frage, ob Markus oder die Verfasser der anderen Evangelien nun primär Leser oder Hörer im Blick gehabt haben, beweist Justin, Apol. I 67,3 für die Mitte des zweiten Jahrhunderts das Vorlesen der Evangelien im Gottesdienst:
„An dem Tage, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht.“ (nach der Übersetzung von G. Rauschen in BKV; dass mit den „Denkwürdigkeiten der Apostel“ die Evangelien gemeint sind, geht aus Apol. I 66 eindeutig hervor).
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Markus sein Werk für den Gottesdienst seiner Gemeinde geschaffen hat.
Das Werk und sein Anlass
Was Markus dazu veranlasst hat, die Jesusgeschichten nicht nur einfach zu sammeln, so wie etwa der Verfasser der Logienquelle die Jesusworte gesammelt hat, sondern ein Werk mit Leitgedanken und Spannungsbogen zu verfassen, wissen wir nicht, und wir sind zur Beantwortung dieser Frage ausschließlich auf sein Werk verwiesen. Es bedeutet aber nicht, aus der Not eine Tugend zu machen, wenn man überlegt, ob sich die Absicht des Markus nicht gerade aus diesem Werkcharakter des Evangeliums ergibt.
Die mündliche Tradierung der Einzelgeschichten im Gottesdienst war offensichtlich nicht in der Lage, das zu leisten, was er mit seinem Werk leisten wollte, nämlich das „Evangelium von Jesus Christus“ (1,1) adäquat zum Ausdruck zu bringen, weil die Einzelgeschichten in der Regel entweder den Christus der Herrlichkeit oder den des Leidens zur Sprache brachten, während es Markus gerade darauf ankam, beides miteinander zu verbinden und gemeinsam zur Sprache zu bringen.
Die Binnenperspektive des Buches
Von daher ergibt sich auch die Frage, ob die häufig genannte Zweckbestimmung, das Werk solle den Glauben wecken und stärken, ganz zutrifft und ob man beide Zwecke als gleichberechtigt nebeneinander stehend ansehen darf. Diese Zweckbestimmung nimmt ja die in der formgeschichtlichen Phase der Evangelienkritik für die Einzelperikopen angenommenen Zwecke auf und überträgt sie auf das Gesamtwerk. Muss man schon fragen, ob in einer heidnischen Umgebung die Missionspredigt einfach mit dem Christuskerygma einsetzen kann, so wird man angesichts des Ringens des Verfassers um das zutreffende Verständnis von Jesus, dem Christus, m. E. eher eine Binnen- als eine Außenperspektive für das Werk annehmen.
Markus geht mit seinem Werk erheblich über die ihm vorliegenden Sammlungen von Einzelgeschichten hinaus. Er schafft etwas völlig Neues und wendet sich vorrangig an Menschen, die schon Christen sind. Allenfalls in zweiter Hinsicht schreibt er ein Werk für die Missionspropaganda.
3. Die Frage nach dem Verfasser des Markusevangeliums
Die Überschrift
Das älteste Evangelium nennt den Namen seines Verfassers nicht. Der Name Markus, mit dem wir dieses traditionsgemäß verbinden, stammt zum einen aus der Überschrift, den dieses Werk in den neutestamentlichen ► Handschriften, die einen Titel bieten, trägt, zum anderen aus der Kirchenväterliteratur, in der Markus mehrfach als Verfasser eines Evangeliums genannt wird. Da jedoch die Überschrift jedenfalls beim Markusevangelium ohne Zweifel nicht ursprünglich ist, wie sich schon daraus ergibt, dass sie der Unterscheidung von anderen Werken / Evangelien dienen soll, die es zur Zeit der Abfassung des Markusevangeliums noch gar nicht gegeben hat und die bei der Abfassung dieses Werkes auch nicht unbedingt zu erwarten waren, müssen die Nachrichten aus der Väterliteratur genauer unter die Lupe genommen werden.
3.1 Ausgangspunkt Alte Kirche
Das Zeugnis des Papias
Das älteste Zeugnis verdanken wir Papias von Hierapolis, der um 120 oder 130 die fünf Bücher der „Erklärungen von Herrenworten“ verfasst hat, die leider nur in Auszügen erhalten sind. In diesen Büchern beruft er sich für das folgende