aus dem Salzregal. Bis 1890 misslangen die Versuche, eine Staatssteuer einzuführen, da Kantonssteuern nicht mit dem Freiheitsbestreben der Bevölkerung in Einklang zu bringen waren.45 Erst ab 1928 konnte sich der Kanton eine grössere Intervention im Sozialbereich leisten.46
Die Gründung des Basellandschaftlichen Armenerziehungsvereins wurde wesentlich durch Emil Zschokke (1808–1889) bestimmt. Der ursprünglich aus dem Aargau stammende Pfarrer engagierte sich im Landwirtschaftlichen Verein Baselland und war federführend bei einer Umfrage aus dem Jahr 1840, worin die Pfarrämter auf «verwahrloste» Kinder in ihren Gemeinden angesprochen wurden. Zschokkes Versuche, eine Landwirtschaftliche Armenerziehungsanstalt zu etablieren, fanden im Landwirtschaftlichen Verein allerdings nur wenig Unterstützung.
Gleichzeitig war er auch Mitglied der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, die sich rege mit der geschlossenen Fürsorge befasste. An einer Tagung im September 1842 wurde er «von der ‹Bettagspredigt› des Referenten sehr wehmütig gestimmt», denn «er sehe die täglich sich mehrende Zahl der Verwahrlosten» und die Diskrepanz an Anstalten «zu ihrer Rettung!» Der damalige Seminardirektor und spätere Aargauer Regierungsrat Augustin Keller (1805–1883) brachte die Armenfrage mit dem Volksschulwesen in Verbindung, «indem er nachwies, dass dasselbe einer Reorganisation in dem Sinne bedürfe, dass in der Schule die Arbeith, namentlich aber die Bearbeitung des Landes also unseres Grundes u[nd] Bodens in den Vordergrund gestellt werde». Daraufhin erwiderte Schulinspektor Johannes Kettiger (1802–1869), dass die «Streitfrage, ob individuelle oder kollektive Behandlung verwahrloster Kinder vorzuziehen sei, […] in Baselland theoretisch u[nd] praktisch bereits dahin entschieden [ist]: das eine thun u[nd] das andere nicht lassen». Der Erfolg der Anstaltserziehung läge aber in der Schaffung von «Patronagevereinen», die die Austretenden anschliessend begleiten sollten.47 Diese Äusserung weckte anscheinend die Neugier der Kommissionsmitglieder, denn der nächste Versammlungsort wurde Liestal. Kettiger wurde Vororts-Präsident.48 Wie die aufgeführte Diskussion innerhalb der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft aufzeigt, fand in diesem Gremium ein reger Austausch von Personen statt, von denen viele später in Armenerziehungsvereinen aktiv wurden.49
Nachdem Zschokkes Erhebungen über «verwahrloste» Kinder im Kanton Basel-Landschaft versandeten, führten Kettiger und Regierungsrat Benedikt Banga (1802–1865) das Anliegen fort: Sie erliessen zu Allerheiligen 1846 eine zweite Umfrage, die letztlich zwei Jahre später am 1. Oktober 1848 zur provisorischen Gründung des Basellandschaftlichen Armenerziehungsvereins und zum Auftrag an ein Initiativkomitee zur Schaffung von Statuten führte. Der aus der Taufe gehobene Verein zählte bereits 193 Mitglieder, darunter befanden sich prominente Vertreter von Verwaltung, Kirche und Wirtschaft.50 Die Versammlung bestimmte einen provisorischen Kantonalvorstand.51 Am 10. Dezember 1848 folgte dann die definitive konstituierende Versammlung in Liestal mit der Beratung und Ratifizierung der Statuten und Reglemente für die Geschäftsführer sowie der Bezirkskommissionen.52 Auf die Gründung des Kantonalvorstands folgte die Schaffung der Bezirksvereine und -vorstände: für Arlesheim, Liestal und Waldenburg im Jahr 1849, für Sissach erst im Jahr 1855. In Waldenburg wurde beispielsweise ein Formular für die Erhebung von prospektiven Pflegefamilien sowie eine Subskribentenliste bei der ersten Sitzung verteilt.53 Während sich die Vereinsmitglieder nicht um ein Wesentliches vermehrt hätten, so erwiesen «die Tabellen der eingezeichneten regelmässigen Beiträge nebst einiger Baarschaft eine ansehnliche jährliche Einnahme zu Gunsten des Armenerziehungsvereines».54
Folglich konnte der junge Verein auf die finanzielle Unterstützung seiner Mitglieder zählen, und darüber hinaus wurden «aus allen Gemeinden […] arme und verwahrloste Kinder angezeigt, dagegen aber auch eine ordentliche Anzahl Eltern und Familien, welche solche aufnehmen und erziehen, ja sogar zu einem Geschäft oder Handwerk anleiten wollen».55 Mit den durchgeführten Bedarfsumfragen und den gesicherten Ressourcen nahmen die Vorstandsmitglieder ihre Tätigkeit auf. Über die Anliegen der frisch geschaffenen Bezirksvereine gibt der «Bericht der Bezirkscommission Liestal» vom 12. Juli 1850 einen Eindruck, der in groben Zügen die vier bereits abgehaltenen Versammlungen seit der Arbeitsaufnahme am 9. April 1849 umschrieb. Die bislang gemachten Erfahrungen gehörten «nicht zu den erfreulichern», da sich «Schwierigkeiten» abzeichneten: Es seien Fälle eingetreten, «die geradezu das wieder zerstörten, was der Verein mit vieler Mühe veranstaltet hatte».56 Insbesondere bei der Art und Weise der «Versorgung der Kinder» wurde der Wunsch geäussert, «man möchte doch so bald als möglich Anstalten errichten, da in diesen die Kinder besser versorgt seien und gleichmässiger beaufsichtigt werden könnten, als bei Privatleuten».57 Da allerdings keine Anstalten bestanden, konzentrierte sich der Bezirksvorstand Liestal auf die Suche nach Pflegeeltern. Doch wer sollte die Kosten für die «Platzierung» der Kinder übernehmen? Die Meinungen waren geteilt, so glaubten einige, der Verein solle alle Kosten gänzlich auf sich nehmen, dagegen wünschten andere, dass die Kosten zwischen der «versorgenden» Gemeinde und dem Verein geteilt würden:
«Während diese Frage noch besprochen wurde, erklärten Herr R.[egierungs-]R.[ats-]Präs.[ident] B. Banga sowohl als Herr Schulinspektor Kettiger, dass der Armenerziehungsverein nicht die Versorgung, sondern die Erziehung der Kinder sich zur Hauptaufgabe gemacht habe, es komme nicht darauf an so billig als möglich eine Menge von Kindern zu ernähren, sondern den verwahrlosten Kindern eine bessere Erziehung angedeihen zu lassen, und von ihrer Verdorbenheit sie so gut als möglich zu befreien, es komme daher besonders auch auf die Pflegeeltern an damit die Kinder etwa nicht noch ganz verzogen statt erzogen würden.»58
Die Bedeutung des Vereins liege aber auch darin, «wo möglich dem nichtswürdigen Gebrauche vorzubeugen, der in vielen Gemeinden unseres Cantons noch herrsche, die Kinder dem Mindestbietenden zu übergeben, bei welchem sie dann gewöhnlich auch am schlechtesten versorgt seien».59 Genau bei diesem «Streben, das nach Veredelung der Jugend hinziele», hoffe der Armenerziehungsverein auf die Mithilfe der Gemeinden. Es wurden Kostgeldansätze für drei Altersklassen und als bindendes Verständigungsmittel ein Vertragsformular eingesetzt, das die Geschäftsführer mit den Gemeinderäten und den Pflegeeltern abzuschliessen hätten. «Es zeigte sich jedoch in der Folge, dass wenigstens in unserem Bezirke nicht viele Verträge abgeschlossen wurden. Da sich, wie vorgegeben wird, öfters weder Gemeinderath noch Pflegeeltern in diese Form fügen wollten.»60 Doch auch von Seiten der Geschäftsführer des Armenerziehungsvereins wurden die Pflegeverträge mitunter als hinderlich betrachtet:
«Wenn ein Pflegevater den Willen besitze, das ihm anvertraute Kind recht, nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen, so brauche es da keines Vertrages, sein Bewusstsein sowie Pflicht erfüllt zu haben sei der beste Vertrag, ein solcher Mann würde sich auch nicht an die Bestimmungen eines Vertrages mit Genauigkeit halten. Er würde thun was er in seinem Streben für gut finde. Ein pflichtvergessener Pflegevater, der nicht gehörig für das ihm anvertraute Pflegekind sorgen wolle, bekümmere sich auch nicht viel um den Vertrag, er mache doch was er wolle.»61
Der Verein versuchte somit seit den ersten «Platzierungen» die Verhältnisse nicht nur auf mündlichen Abmachungen abzustützen, sondern auch zu verschriftlichen. Darüber hinaus wurden die Kostgelder nach Alterskategorien aufgefächert, die – das wird nicht explizit genannt – auf die Arbeitsleistung der Kinder Bezug nimmt. Die «Versorgung» der Pflegekinder erfolgte in der dritten Sitzung im Jahr 1849, wobei es bisweilen geschah, dass die vertragliche Übereinkunft versäumt wurde oder, falls diese erfolgte, «dadurch vereitelt wurde, dass das versorgte Kind seinen Pflegeeltern entwich oder von denselben fortgeschickt wurde».62
In der anschliessenden gemeindeweisen Diskussion über die fremdplatzierten Kinder wurden die Probleme nur allzu evident: In Arisdorf wurden zwei Mädchen bei Familien «platziert», der Kontakt zum Geschäftsführer brach jedoch ab. Derjenige von Augst bat sogar um Entlassung, da er anderweitig beschäftigt sei. In Bubendorf wurden sogar zwei Kinder, die in dieser Gemeinde «versorgt» worden waren, «ohne eigentlichen Grund in ihre Heimathgemeinde zurückgeschickt». Da eines der genannten Kinder nach Pratteln retourniert wurde, sandte Pratteln – als umgehende Antwort – ebenfalls ein Pflegekind des Armenerziehungsvereins in dessen Heimatgemeinde Bubendorf zurück. Die Gemeinde Frenkendorf gab dem Armenerziehungsverein vier Kinder in Aufsicht, die