Alles in allem trug die Verbreitung landesweit identischer Produkte in Form von haltbaren, industriellen Nahrungsmitteln wesentlich zur Vereinheitlichung der amerikanischen Küche und amerikanischer Essgewohnheiten bei. Denn diese Produkte, die in grossen Serien hergestellt wurden, wurden im ganzen Land verkauft und vermarktet, womit die Farmersfamilie in Texas in ihrem Supermarkt nicht nur die gleiche Produktauswahl fand wie eine Arbeiterfamilie in Chicago oder eine Mittelklassefamilie in San Francisco, sondern auch mit denselben Werbebotschaften und Stereotypen konfrontiert war. Dies trug zur Annäherung der Konsummuster der verschiedenen Regionen und sozialen Gruppierungen bei.
Ein weiterer Akteur, der neben der Industrie zur Vereinheitlichung der amerikanischen Kost beitrug, war der Staat. Seit der Gründung der USFA während des Ersten Weltkriegs und vor allem ab der Weltwirtschaftskrise schalteten sich die Behörden immer mehr in die Diskussion um eine gesunde Volksernährung ein und intervenierten, wenn sie Handlungsbedarf sahen. Gerade im nun anbrechenden Zeitalter des amerikanischen Engagements in fremden Kriegshandlungen waren gesunde, einsatzfähige Soldaten gefragt. Als bei der Rekrutierung 1940 festgestellt wurde, dass ganze 40 Prozent der gemusterten Wehrpflichtigen aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Militärdienst aufgenommen werden konnten, schloss man daraus, dass es sich mit dem Gesundheits- und Ernährungszustand der Gesamtbevölkerung ähnlich verhielt. Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) erteilte daraufhin dem Leiter der Federal Security Agency den Auftrag, sich der Verbesserung der Volksernährung anzunehmen. Über das Food and Nutrition Committee des National Research Council mündete dieser Auftrag schliesslich im Roberts-Committee, das unter der Leitung von Lydia J. Roberts (1879–1965) innerhalb weniger Wochen Empfehlungen über die benötigten Tagesmengen an Kalorien, Proteinen, Mineralstoffen und Vitaminen ausarbeiten sollte. Lydia Jane Roberts war eine führende Ernährungs- und Hauswirtschaftsexpertin, die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit ihrem Verständnis, dass auch Überernährung eine Form der Fehlernährung sein konnte, einen Namen machte. Im Komitee sassen zudem zwei weitere wichtige Expertinnen: Hazel Stiebeling (federal Bureau of Home Economics) und Helen Mitchel (Hauswirtschaftslehrerin an Kellogg’s «Sanitarium» in Battle Creek).88 Die aus dem Auftrag Roosevelts entstandenen Richtlinien stiessen insbesondere deshalb auf unerwartet breite Akzeptanz, weil das Komitee Empfehlungen für Tageshöchstmengen, sogenannte Recommended Daily Allowances (RDA), herausgab, die es nicht zu überschreiten galt. Mit diesem geschickten Dreh gelang es dem Komitee, die unterschiedlichsten vorherrschenden Meinungen zu vereinen. Der Erfolg der RDA zeigt sich auch darin, dass sie die Basis für zukünftige Empfehlungen legten.89
Um die neuen nationalen Ernährungsrichtlinien bekannt zu machen, wurden die RDA auf einer dreitägigen nationalen Ernährungskonferenz im Mai 1941 vorgestellt. Sie war als Grossveranstaltung inszeniert, so erfuhren landesweit rund 900 Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, Schulen, Universitäten, Medien, Wohlfahrtsorganisationen und aus der Industrie von den neuen Richtwerten des täglichen Bedarfs an Vitaminen, Mineralstoffen, Proteinen, an denen sie sich in Zukunft bei ihrer Ernährung orientieren würden. Dass es sich dabei um Höchstmengen handelte, wurde schlicht ignoriert. Die Konsequenz da raus war, dass in der Folge all jene Amerikanerinnen und Amerikaner als fehlernährt galten, die diesen Richtlinien nicht genügten.90
Diese neue Vorstellung von Fehlernährung, die sich nicht mehr an der Nahrungsmenge, sondern an der Qualität und der richtigen Zusammensetzung orientierte, führte schliesslich dazu, dass die bereits angesprochene «Vitamania» in die zweite Runde ging. Aufgrund von mitunter dubiosen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden Vitamine und eine ausgewogene Ernährung bald zu einem Jungbrunnen, sie konnten die menschliche Lebenserwartung um mindestens sieben Jahre erhöhen.91 Ernährungsexperten wie Russell Wilder (1885–1959) gingen gar davon aus, dass die Bevölkerung generell unter Vitaminmangel leide. Wilder war überzeugt, dass die amerikanische Bevölkerung nicht nur das Falsche ass, also fehlernährt war, sondern gar grundsätzlich mangelernährt war und an einer latenten Unterversorgung mit Vitaminen litt. Das in seinen Augen wichtigste Vitamin, dessen Mangel eine ungesunde Ernährung hauptsächlich ausmachte, war Thiamin, auch bekannt als Vitamin B1, das unter anderem als Nervennahrung galt. Verschiedene Studien relativierten jedoch die grosse Bedeutung des Vitamins – insbesondere bei nervlicher Erschöpfung, bei der auch hohe Dosen nicht die angenommene Wirkung zeigten. Wilder, so erzählt es Levenstein, habe diese erfolglosen Therapieversuche einfach umgedeutet und darin ein Indiz für die Folgen einer lebenslangen Unterversorgung gesehen. Latenter Langzeitmangel dieser Art sei nicht mehr therapierbar, behauptete er. Deshalb musste dieser von vornherein verhindert werden – etwa indem Backwaren mit Vitamin B1 angereichert werden sollten. Ende 1942 verordnete die amerikanische Regierung auf Wilders Empfehlung hin eine Thiaminanreicherung für Backwaren – vorerst für jene des Militärs und der Bundesbehörden. Doch bereits ein halbes Jahr später wurde bereits bei 75 Prozent des amerikanischen Brotes Vitamin B1 zugefügt. Damit aber nicht genug. Eine weitere Folge war, dass man dazu überging, Vitaminpräparate gratis an Bevölkerungsschichten zu verteilen, von denen man glaubte, dass sie einen besonderen Bedarf hätten. Allen voran sollten die Soldaten und die Arbeiter der boomenden (Kriegs-)Industriezentren mit den neuen Wunderpillen versorgt werden. Später forderte Wilder von der Regierung sogar, dass sie anordne, Zucker mit Milchbestandteilen anzureichern und Margarine, Schmalz, Öl, Butter, Reis und Maismehl mit Vitamin A und D zu versehen – auch wenn diese Stoffe bereits darin enthalten waren, wie bei Margarine, Butter und ähnlichen Produkten. Sogar Obst und Gemüse standen auf Wilders Additiv-Liste.92
Am Beispiel der Überzeugungen und Handlungen einflussreicher Ernährungswissenschaftler wie Wilder wird deutlich, auf welch dünnem Eis offizielle staatliche Vorgaben und Empfehlungen mitunter bauten. Nach einer Überbewertung der Proteine schienen nun also die Vitamine zum «Supernährstoff» zu werden – und zwar so sehr, dass sich die amerikanische Ärztevereinigung gegen die Anreicherung mit Vitaminen wehrte. Sie befürchtete, dass die Leute nicht mehr zum Arzt gehen würden, weil sie sich wegen der künstlichen Vitaminzugaben und der Magic Pills93 auf der sicheren Seite fühlten.94
Wäre die amerikanische Regierung der Forderung Wilders nach weitgreifender Beifügung von Vitaminen und Mineralstoffen gefolgt, wenn sich die Ärzte nicht eingemischt hätten? – Möglicherweise bei Produkten wie Maismehl, Reis, Margarine und Ähnlichem. Dass es tatsächlich zu einer Anreicherung mit Vitaminen und Mineralstoffen Sogar Obst und Gemüse gekommen wäre, ist indes kaum vorstellbar und scheint aus heutiger Sicht geradezu absurd.
Mit dem Übergang von der Neueren zur modernen Ernährung beginnt auch das Zeitalter der zahlreichen Diäten, womit der dritte Punkt angesprochen ist, der zur Vereinheitlichung der amerikanischen Essgewohnheiten beigetragen hat. Hintergrund des Diätzeitalters ist ein bereits während der Neuen Ernährung einsetzendes Umdenken beim Verhältnis von Körpergewicht und Gesundheit, wozu nicht zuletzt auch Lydia Roberts beigetragen hat. Als die Wissenschaft zu Beginn der 1930er-Jahre erkannte, dass auch Fettleibigkeit und nicht bloss Unterernährung ein Gesundheitsrisiko darstellt, bekam Schlankheit eine völlig neue Bedeutung. Schlankheit war nun nicht mehr ein Zeichen von Armut und Mangel, und Korpulenz deutete nicht mehr auf Wohlstand hin, im Gegenteil. Die Ernährungsgewohnheiten der Wohlstands- und Konsumgesellschaft machten Wohlhabende schlank und Arme dick, weil sie zwar «nicht mehr zu hungern brauch[t]en, aber sich weiterhin schlecht ernähr[t]en».95 Das Zusammentreffen von Schlankheitsideal und Grosser Depression sei unter der Perspektive der traditionellen Vorstellungen von Körpergewicht und Überfluss und Mangel geradezu paradox, schreibt Briesen.96 Die Ober- und Mittelschicht, die ihren Wohlstand in dieser Krisenzeit eigentlich durch Körperfülle hätte darstellen können, interpretierte Übergewicht nun als ästhetisches und gesundheitliches Desaster. So entwickelten sich die 1930er- und Nach-1930er-Jahre zu einer Ära, in der die Mittel- und Oberschicht nicht mehr das ass, was sie gerne ass, sondern das, wovon sie dachte, dass es gut und gesund für sie sei. Dieser Trend, nicht zum Vergnügen, sondern für die Gesundheit zu essen, beruhe auf einer typisch amerikanischen Eigenschaft, nämlich der Angst, krank zu werden, zitiert Levenstein eine Stimme im Magazin Fortune von 1936.97
Aufgrund dieses Mentalitätswandels wurden in der Folge alle möglichen Diäten populär, von Trennkost98 über die Hollywood eighteenday diet bis hin zu Diäten, bei denen jeweils zwei Lebensmittel kombiniert wurden, sogenannte