von Lebensmitteln beruhten. Ein Beispiel einer Two- food-Diät lässt sich an der Zusammenarbeit zwischen der United Fruit Company und einem Wissenschaftler der renommierten John-Hopkins-Universität zeigen. Die in dieser Zusammenarbeit entwickelte Diät bestand aus Bananen und teilentrahmter Milch.100
Einige der Diäten fussten auch auf der Vorstellung einer Art Pseudokrankheit, der Acidosis, die entsteht, wenn aufgrund einer falschen Ernährung der Säure-Basen-Haushalt des Körpers in Schieflage gerät und eine «Übersäuerung», so die sinngemässe Übersetzung von Acidosis, eintritt. Dies zeigte sich in der damaligen Vorstellung etwa daran, dass die Betroffenen ihre Vitalität verloren und anfällig wurden für verschiedene Symptome, darunter auch Fettleibigkeit.101
Bei diesem neuen Verständnis einer gesunden Ernährung, bei dem es hauptsächlich um eine bewusste Reduktion der Lebensmittelvielfalt ging, wird auch deutlich, warum Harvey Levenstein im Unterschied zu Detlef Briesen die Phase der modernen Ernährung als Negative Nutrition bezeichnet.102 Diäten wurden in der amerikanischen Gesellschaft so populär, dass gar von einem «Zwang zur Diät»103 gesprochen werden kann, wobei die Diäten mitunter skurrile Formen annahmen. Selbstverständlich hatte auch die Industrie den neuen Trend erkannt – und gefördert. Unter der Ägide der Industrie und der Werbung wurden so selbst Kalorienbomben wie Traubensäfte und Süssigkeiten aufgrund ihrer Eigenschaft der schnellen Energie zu Diätspeisen.104
Interessant bei diesen Diäten ist, dass sie vollkommen konträr zu eben noch geltenden und teilweise zeitgleichen Auffassungen über eine gesunde Ernährung erscheinen. Während in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts und nach der Entdeckung der Vitamine vermehrt auf eine ausgewogene Ernährung (mit Proteinen, Kohlenhydraten, Vitaminen) hingewiesen wurde und auch das Roberts-Committee bei seinen RDA ganze neun verschiedene Nahrungsbestandteile berücksichtigte, so konnten diese doch unmöglich mit nur zwei Lebensmitteln abgedeckt werden? Gesundheit und gesunde Ernährung wurde in diesem Kontext bald ausschliesslich mit Schlankheit gleichgesetzt, womit der oben angesprochene Bedeutungswandel von Körpergewicht nochmals eine Steigerung erlebte. Schlankheit galt im Vergleich zu Korpulenz nicht mehr nur als gesund, Schlankheit wurde im Kontext der Diäten gleichsam zum einzigen Kriterium für Gesundheit.
Während der Phase der modernen Ernährung können zusammengefasst drei Entwicklungen aufgeführt werden, die die Ernährung in den USA vereinheitlichten, standardisierten und «amerikanisierten»: Erstens war es der Siegeszug seriell hergestellter und landesweit verkaufter und vermarkteter Industrieprodukte, hauptsächlich in Form von Convenience food: Tiefkühlnahrung und Fertiggerichten. Zweitens ist es insbesondere auf staatliche Lenkungsmassnahmen zurückzuführen, dass sich landesweit eine einheitliche Vorstellung einer «gesunden» Ernährung etablierte, die massgeblich durch empfohlene Nährstoffmengen (RDA) und einen kollektiven Vitaminwahn gespeist wurde. Schliesslich etablierten sich auch durch zahlreiche Diäten neue regionen- und klassenübergreifende Ernährungsmuster – basierend auf einem durch die Ernährungswissenschaft geprägten neuen Verständnis von der Korrelation zwischen Körpergewicht und Gesundheit.
Kellogg erfindet das Frühstück neu
Eines der prominentesten Beispiele für die assimilierten amerikanischen Essgewohnheiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Kellogg’s Cornflakes. Zunächst als «Lebensreformkost» amerikanischer Ausprägung entwickelt,105 werden sie nach der Jahrhundertwende zu einem erfolgreichen Massenprodukt, das – ähnlich wie die Konserve bei der Entstehung der Nahrungsmittelindustrie – zu einem «Konzentrat» der Neueren Ernährung wird und das Frühstück der Amerikaner komplett neu erfindet: Statt der traditionellen, gekochten Mahlzeit mit Oatmeal (Getreidebrei), gebratenem Speck und Brot setzen sich um die Jahrhundertwende zunehmend kalte Frühstückscerealien durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg erobert die «Cerealien-Kultur» schliesslich Europa – naturgemäss zuerst England –, wo sie in eine eigentliche «Frühstücks-Revolution» mündete.106
Abb. 4: Kellogg’s Cornflakes – Lebensreformkost nach amerikanischer Art. Für die Schweiz wurden sie in den 1950er-Jahren von der Getreideflocken AG in Lenzburg unter Lizenz hergestellt, Plakat von 1974.
Die Geschichte von Cornflakes beginnt in den 1890er-Jahren in Battle Creek, einer Kleinstadt im Bundesstaat Michigan. In seinem ursprünglich als Kurhaus für die Mitglieder der Adventistischen Freikirche107 gegründeten «Sanitarium» experimentierte John Harvey Kellogg (1852 bis 1943) mit seinem Bruder Willliam Keith (1860–1951) mit neuen Nahrungsmittelkreationen, die zum Ziel hatten, die Verdauungsorgane vor der Überlastung zu schützen und so «Darmfäulnis» zu verhindern. So entstanden mehr oder weniger zufällig auch Cornflakes.108 John Harvey Kellogg war der Ansicht, dass jedes Lebensmittel seine eigene «Durchlaufzeit» im Verdauungssystem habe. Er war überzeugt, dass die Amerikaner nicht nur das Falsche assen, sondern auch viel zu viel und viel zu eilig. Daher propagierte er eine Art «taylorisierte Verdauung», die bereits beim Kochen und Kauen beginnt. Im Zentrum seiner Überlegungen stand eine Ernährung, die gesund und effizient sein sollte. Dies schlug sich auch in den Lebensmitteln nieder. In den Worten von Albert Wirz zeigte sich dies folgendermassen: «Allen Neuschöpfungen aus Battle Creek gemeinsam war, dass sie ‹vorverdaut›, haltbar, stets gleich in Zusammensetzung und Qualität und einfach zuzubereiten waren, ready to serve, kaum gekauft schon auf dem Tisch und, hopp, verschlungen.»109 Wichtig war dabei die «Vorverdauung», sprich eine verdauungsfreundliche Vorverarbeitung der Lebensmittel, die die Durchlaufzeit in Magen und Darm verkürzte und verhinderte, dass die Nahrung im Verdauungstrakt verfaulte. Die von Kellogg entwickelten Produkte enthielten deshalb hauptsächlich Getreide und Nüsse, woraus sich über 80 Neukreationen ergaben. Die bekanntesten sind Cornflakes und Erdnussbutter. Daneben gibt es zahlreiche weitere, die teilweise eigenartige, beinahe kindlich wirkende Fantasienamen trugen: Bromose, Nuttose, Noko, Koko – um nur wenige zu nennen.110
Kellogg, der wie die europäischen Lebens- und Ernährungsreformer wenig von Fleisch als Nahrungsmittel hielt, erfand auch ein Fleisch-Ersatzprodukt, die Protose. Dieses «vegetabile Fleisch» sehe aus wie Fleisch, schmecke wie Fleisch, habe dieselbe Zusammensetzung und sogar Fasern wie Fleisch, hiess es. Man konnte es zum Beispiel als Braten kaufen und in verschiedenen Geschmacksrichtungen: L-Protose entsprach Kalbfleisch, X-Protose Pouletfleisch, und die Savory-Protose enthielt mehr Würze. Der einzige Unterschied zum Original: Es war «nahrhafter, leichter verdaulich und ‹völlig rein›», weil aus Nüssen und Getreide hergestellt.111 Fleisch war für den Adventisten und Arzt John Harvey Kellogg nicht nur «unrein», es war sogar gefährlich: zum einen, weil das Eiweiss im Dickdarm faulen würde, zum anderen, weil es «Spuren des Todes» enthalte. Diese zweite Begründung ist vielschichtig und ist auch in Zusammenhang mit der damals noch problematischen Haltbarkeit von Frischfleisch sowie Kelloggs Nähe zur Hygienebewegung zu sehen. Kellogg warnte vor den zahlreichen Bakterien, Keimen, Parasiten und «Leichengiften» im Fleisch.112
Dass Kellogg einen Fleischersatz herstellte, macht jedoch deutlich, welch zentrale Rolle Fleisch in der amerikanischen Ernährung spielte. Nicht nur verdankte es seinen hohen Stellenwert bis zum «Vitaminturn» der Liebig’schen Eiweisslehre, es galt in der überflussverwöhnten amerikanischen Gesellschaft auch als Statussymbol. Besonders Schweinefleisch wurde in rauen Mengen verzehrt.113 Diesem Fleischparadigma konnte sich auch der Vegetarier Kellogg nicht widersetzen. Im Gegenteil. Wie Wirz feststellt, hätten sich die Produkte von Kellogg letztlich an dem gemessen, was dessen Überzeugung verboten habe – und damit die Bedeutung des Abgelehnten indirekt und ungewollt bestärkt.114
Auch andere Nahrungsmittel hatten bei Kellogg wenig Verwendung – Gemüse zum Beispiel. Auf Gemüse konnte man aus seiner Sicht (und der vieler Zeitgenossen) nicht nur problemlos verzichten, er warnte gar vor rohem Gemüse. Früchte dagegen dienten in seinen Augen vor allem zum Abführen und sollten in jedem Fall sterilisiert werden. Überhaupt war er der Meinung, dass man Nahrung am besten sterilisiere, um die Keime und Mikroben zu töten. In diesem Punkt unterschied er sich deutlich von seinen europäischen Kollegen, die Saft- und Rohkostkuren und frische Nahrungsmittel empfahlen. Erst mit der Entdeckung