über die Straße kommen.“
Er wartete ab, bis alle Autos vorüber waren, dann schlenderte er hinüber zu Vlassi. Der Bekannte von ihm kam mit.
„Freut mich, Sie zu sehen“, begrüßte Volker Born den Kommissar, „Sie wollten wahrscheinlich in die Buchhandlung zu Andreas Dieterle. Aber ich fange Sie vorher ab.“
Vlassi warf einen neugierigen Blick auf seinen Begleiter.
„Das ist ein guter Bekannter von mir, darf ich vorstellen, Karl-Friedrich Oberembt.“
Er wandte sich zu dem Genannten: „Herr Oberembt, Sie machen die Bekanntschaft von Vlassopolous Spyridakis, einer Spürnase von hohen Graden.“
Karl-Friedrich Oberembt war ein schlanker, mittelgroßer Mann mit klaren, gutgeschnittenen Gesichtszügen. Er musste Ende vierzig oder Anfang fünfzig sein, sein volles dunkelbraunes Haar ergraute bereits an den Seiten, dennoch wirkte er recht jugendlich. Sympathischer Typ, dachte Vlassi.
Zu Born sagte er grinsend: „Wenn ich eine Spürnase bin, sind Sie ein Anfänger.“
Ihm war es gar nicht unrecht, den Theologen Born zu treffen. Wie oft hatte der ihm schon bei kniffligen Problemen geholfen. Und zwar ohne es zu merken, was das Beste war. Beim letzten Fall hatte er den Tod als Verjüngungskur gedeutet – vielleicht etwas ungewöhnlich, aber doch sehr hilfreich bei den Ermittlungen. Und wer hatte den Mörder schließlich aufgetan? Niemand anderer als er, Vlassopolous Spyridakis.
„Jetzt, wo ich Sie abgefangen habe“, teilte Born mit, „könnten wir eigentlich mal wieder einen Kaffee trinken gehen.“
„Ich bin dabei“, stimmte Vlassi zu und dachte: Eigentlich bin ich ja auf dem Tee-Trip, auf dem Gesundheitstee-Trip, aber man muss auch mal fünfe gerade sein lassen.
„Vielleicht kommen Sie mit, Herr Oberembt?“, fragte Born.
„Würde ich gerne, aber ich hab’ noch so viel zu tun. Ein andermal gern.“
Oberembt nickte Vlassi zu, der nickte zurück, und der sympathische Bekannte von Born ging in Richtung Buchhandlung davon.
„Ist das ein Kollege von Ihnen?“, fragte Vlassi.
„Kann man so sagen“, erwiderte Born und kam gleich auf ein anderes Thema: „Was schleppen Sie eigentlich in dieser riesenhaften Tüte mit sich herum?“
„Oh, das sind Tees, spezielle Tees.“
Born sah ihn streng an: „Spezielle Tees? Sie meinen sicher Gesundheitstees. Herr Spyridakis, ich habe Ihnen doch schon bei unserem letzten Treffen erklärt, dass Spezialisten herausgefunden haben, dass kein anderer Stoff als Kaffee die Gesundheit am besten fördert.“
Vlassi legte den Kopf leicht in den Nacken: „Stimmt. Jetzt fällt es mir auch ein. Das haben Sie gesagt.“ Er lachte laut und wie befreit auf, was sein Gegenüber irritierte.
„Warum lachen Sie so grell?“, fragte Born.
Vlassi war deshalb in ein so unnatürliches Lachen ausgebrochen, weil ihm gerade bewusst geworden war, dass sein Gedächtnis funktionierte. Es war schließlich eine Weile her, dass er mit Born einen Kaffee getrunken hatte. Und er wusste es noch. Verloren war er also nicht, die Verlorenheit, in der er sich nach dem Besuch bei Dr. Niebergall wähnte, konnte er abstreifen, er konnte gewissermaßen aus der Verlorenheit heraussteigen. Ja, er war sich jetzt sicher, dass die Vokabel Verlorenheit überhaupt nicht zu ihm passte.
5 Schwarzer Humor springt aus dem Sarg
Wenige Minuten später saßen die beiden Männer im Café Rondo am Schiersteiner Hafen. Auf dem Weg dorthin wollte Volker Born wissen, woran Vlassi gerade arbeite: „Sie wissen doch, ich interessiere mich stark für grauenhafte Morde. Und möglichst blutig sollten sie sein.“
Vlassi erwiderte ausweichend: „Sie haben mich beim letzten Fall schon sehr inspiriert …“
„Nicht nur beim letzten“, fiel ihm Born ins Wort, „denken Sie nur daran, was ich Ihnen für wertvolle Infos beim Kunstfall gegeben habe, jene Mona-Lisa-Angelegenheit. Sie erinnern sich doch?“
Vlassi überlegte angestrengt, hier handelte es sich gewissermaßen um eine Nagelprobe für sein Gedächtnis. Doch auf einmal fiel ihm die Szene ein, wo er Born als Kunstjünger bezeichnet hatte – und er lachte befreit vor sich hin.
„Sie befinden sich in einer Lachphase“, stellte Born stirnrunzelnd fest.
Vlassi merkte, dass er es mit seinem Erinnerungslachen nicht übertreiben durfte, und sagte: „Mir ist gerade eingefallen, dass ich Sie als Dadaist bezeichnet habe.“
„Was gibt es da zu lachen? Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Sind Ihnen etwa jetzt Zweifel gekommen, und lachen Sie deshalb?“
„Auf keinen Fall“, stellte Vlassi klar, „Sie sind nach wie vor ein geborener Dadaist …“
„Das will ich hoffen“, nahm ihm Born das Wort ab, „so wie die Dadaisten schwimme auch ich gern gegen den Strom.“
„Und mir fällt auch noch ein“, ergänzte Vlassi, der glücklich über seine Erinnerungsleistung war, „dass Sie nichts dagegen hatten, Polizeipräsident zu werden.“
„Stimmt. Nach wie vor hätte ich gar nichts dagegen, gäbe mich aber auch mit dem Posten eines Kriminalrats zufrieden.“
„Richtig!“, jauchzte Vlassi auf, „Kriminalrat kam auch infrage.“
Die beiden waren inzwischen am Rheinufer angekommen und steuerten den Außenbereich des Cafés an. Nachdem sie einen freien Tisch gefunden hatten und sich gerade setzten, fragte Volker Born: „Warum sind Sie eigentlich auf den letzten Fall gekommen? Warum reden wir über die Vergangenheit?“
Wieder befand sich Vlassi in einer gewissen Erklärungsnot, wusste sich aber Rat: „Ich wollte Ihren Humor mal wieder hervorkitzeln. Ihr Humor ist zwar schräg, aber mitunter doch ganz hilfreich.“
Born rümpfte die Nase: „Mitunter? Ich möchte doch hoffen, dass er unentwegt hilfreich ist.“ Er machte eine kleine Pause: „Wissen Sie, was Humor ist?“
„Ja, also …“, setzte Vlassi an.
„Ich sage es Ihnen“, erklärte Born, „Humor ist die beste Überlebensstrategie. Erfordert allerdings das Talent, lachen zu können. Am besten über sich selbst.“
Vlassi nickte: „Besser hätte ich es auch nicht sagen können.“
„Das habe ich mir gedacht“, lächelte Born, „und wissen Sie auch, was eine humorfreie Zone ist?“
„Das ist eine Zone, die des Humors entbehrt.“
„Nicht schlecht formuliert“, teilte Born mit, „aber man muss klarer werden. Die humorfreie Zone ist eine schauerlich unfruchtbare Gegend, die sehnsüchtig auf Düngung wartet.“
„Ah ja“, nickte Vlassi und retournierte, indem er Borns Worte wiederholte: „Das habe ich mir gedacht. Aber die Frage ist doch: wie kann man diese Gegend düngen?“
„Sie meinen, womit? Das ist doch ganz einfach. Man muss diese unfruchtbare Gegend mit Humor düngen.“
„Richtig“, bestätigte Vlassi, „Sie haben ja so recht. Mit Humor düngen, damit alles fruchtbar wird.“
Eine Kellnerin kam, die beiden orderten je einen Kaffee, und kaum war die Bedienung fortgeeilt, fragte Vlassi: „Aber wissen Sie auch, was schwarzer Humor ist?“
„Schwarzer Humor ist mein Lieblingshumor“, teilte Born mit ernstem Gesicht mit.
„Das habe ich mir schon gedacht“, grinste Vlassi, „und ich kann Ihnen sogar Ihren Lieblingshumor erklären.“
Volker Born streckte seinen Kopf vor: „Legen Sie los.“
„Schwarzer Humor ist, wenn man aus dem Sarg heraus einen Witz über das Jenseits macht.“
Born