Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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Haug)

      Mit seiner Skepsis liegt der junge Mann richtig – und irrt zugleich. Als Goldschmiedearbeit vom Hunnenhof (V. 34f.) bezeugt die Gabe tatsächlich indexikalisch den fremden Exilraum der Dietrichsage; und insofern diese Sage vom Verrat trügerischer Verwandter erzählt, der Dietrich und Hildebrand ins Hunnenreich treibt, ist es nur folgerichtig, fortan Gaben im Namen von Verwandtschaft zu misstrauen. Doch Hadubrand überdehnt gleichzeitig die metonymische Aussagekraft der Gabe, wenn er sein Gegenüber kurzerhand zum Hunnen deklariert. Sein Verdacht klärt nichts: Dass Dietrichs Flucht nach Osten (V. 22) auch den Vater ins Exil zum Hunnenhof führte, bleibt zwischen den beiden unausgesprochen. Derartige Leerstellen blockiert Hadubrand vielmehr, indem er sie dem Gegner selbst als Hinterlist zuschreibt. Außerdem hätten Seefahrer von Hildebrands Tod erzählt (V. 42–44) – ein Rekurs auf unverlässliches Sagenwissen,5 dem sich die Erzählinstanz zu Beginn als grundlegender Informationsquelle unterstellt hatte (V. 1).

      Die Herausforderung des Fremd-Vertrauten beantwortet Hadubrand somit mit einem Reaktionsmuster, das man als Latenzstrategie bezeichnen kann, insofern es unbestimmte Differenz zu kompakten Unterstellungen transformiert. Diest verspricht Vereinfachung: Es entlastet von epistemischer Komplexität, wenn man sich Vorzeitgedächtnis und Hörensagen durch Dritte unterstellt, ohne deren Glaubwürdigkeit oder Konsistenz zu problematisieren.6 Es entlastet aber auch von komplexerem Interaktionsbedarf, wenn Hadubrand alle Unbestimmtheit seinem Gegenüber pauschal als List zuschiebt, die ihre Hintergründe im Dunkeln zu halten versucht. Formal betrachtet zielt beides auf Unterordnungsverhältnisse, indem Hadubrand sich vorausgehenden Zeitzeugen oder Informanten aus der Ferne unterstellt, wie er dem Gegner ein Täuschungskalkül unterstellt.

      Diese Strategie hebt sich umso auffälliger ab, als das Hildebrandslied auf Ebene seiner Textpoetik die Unbestimmtheiten fortwährend gegenbesetzt und hervorhebt. Geradezu aufdringlich hämmert etwa die Erzählinstanz über Patronyme ein (V. 7, 14), dass hier ein sunufatarungo (V. 4), eine Sohn-Vater-Verbindung zur Debatte steht,7 während eine solche Verbindung auf Figurenebene gerade nicht zu geteiltem Wissen und Ausgleich führt, die Freundschaftsgabe gerade nicht zu verbindenden Dingen wird. Zugleich unterstellt das Heldenlied mit seiner rudimentären Informationsvergabe wie selbstverständlich, »dass der Hörer von all den Personen, von denen die Rede ist […], schon einmal gehört hat«.8 Die Ordnung des Sagenwissens, die in heldenepischer Dichtung oft allseits verfügbar scheint, bildet damit Erzählschichten, die sowohl transparent als auch opak erscheinen.

      1.3 waltant got: Hildebrands Transzendenzen

      Hadubrands Strategie der Unterstellung hebt sich auch deshalb ab, weil Hildebrand strategisch anders kommuniziert und handelt. Doch greift er in andere Richtung aus. Während die Latenzstrategie des Sohnes dazu neigt, die Komplexität möglicher Vorgeschichten einzulagern, lagert der Vater jeglichen Begründungsbedarf aus – in berühmten, aber religionsgeschichtlich schwierig einzuschätzenden Transzendenzbezügen.1 Auch diese Transzendenzgesten haben zunächst epistemische Implikationen. Statt nämlich auf das Sagenwissen seines Sohnes mit nur einem Wort korrigierend einzugehen, bekräftigt Hildebrand lediglich seine Sippenzugehörigkeit durch einen Schwur zu Gott »oben im Himmel«:

       »wettu irmingot«, quad Hiltibrant, »obana ab hevane,

       dat du neo dana halt mit sus sippan man

       dinc ni gileitos.«

      (V. 30–32)

      »Ich rufe als Zeugen«, sprach Hildebrand, »Gott oben im Himmel,

      daß du doch niemals mit einem so nah Verwandten

      einen Streit geführt hast.« (Übers. Haug)

      Hadubrand indes locken solche Schwüre kaum aus der Reserve. Ganz im Gegenteil zieht er auch transzendente Zeugen in das latente Täuschungskalkül hinein: Bei Gott zu schwören, könnte nur ein neuer Zug der List sein. Ein zweites Mal, nur umgekehrt greifen die Strategien ineinander, als Hildebrand dann doch in eher kryptischer als signalhafter Anspielung an das Vorwissen des Sohnes anknüpft: Wohl kaum habe der Junge die Mühen der Verbannung ertragen müssen. Doch wieder wendet sich Hildebrand von solchen Aufdeckungsmöglichkeiten jäh ab (V. 49): »welaga nu, waltant got«, quad Hiltibrant, »wewurt skihit.[«] Auch über diesem Vers türmen sich Forschungskontroversen. Ausführlich hatte die ältere Forschung darüber debattiert, ob hier der christliche Gott über germanische Schicksalsauffassung hereinbreche.2 Hält man sich hingegen textnah an die Formen solcher Transzendenzbezüge, lässt sich erkennen, dass auch Hildebrand mit diesen Wendungen jegliche Unbestimmtheiten der Interaktion ausräumt – ist das Geschehen mit solchen Worten als wewurt gefügt, hat der Streitdialog keine Möglichkeiten mehr zu verhandeln, sondern bloß noch Wirklichkeit abzuwickeln, zu der es keine Alternativen gibt.3 Sogleich sind die Schwerter zur Hand. Während Hadubrand also komplexe Differenz auf Latenz herunterrechnet, rechnet sie Hildebrand zu Transzendenzen hoch. Beide Gesten bleiben auf die Figurenebene begrenzt und werden dadurch eigentümlich ausgestellt: Statt eines umfassenden Gottesurteils, das eben zur Zeit der Aufzeichnung des Textes in Fulda zur Diskussion stand, präsentiert das Hildebrandslied somit Bearbeitungsformen in der Rede von Streitfiguren, die auf Kontrast angelegt sind.

      1.4 Abgewiesene Gaben: Exposition von Kontingenz

      Insgesamt profiliert der heldenepische Streitdialog damit eine doppelte Wettkampfform. Zweimal alternieren nach knapper Einleitung die Wechselreden zwischen Vater und Sohn; und zweimal prallen gegenläufige Strategien aufeinander, die Differenzen gegeneinander verschieben – in Richtung latenter Einlagerungen (Hadubrand) oder transzendenter Auslagerung (Hildebrand).1 Beide Richtungen prägen in der Formgeschichte von Wettkampfkommunikation nicht nur prominente Modelle von langer Dauer aus, an die auch viele spätere Texte des Mittelalters anknüpfen, die z.B. von ›Kämpfen mit dem Freund‹2 oder gottesgerichtlichen Zweikämpfen3 erzählen. Analytisch aufschlussreich könnte es ebenso sein, das komplementäre Verhältnis solcher Modelle zu berücksichtigen. Latenz heißt in funktionaler Hinsicht, Unterscheidungen derart zu unterstellen bzw. in einen Raum hineinzustellen, dass sie potentiell rekonstruierbar, aber aktual entzogen sind.4 Solche Einschlüsse zielen einerseits auf Sicherung von Komplexität durch Einschluss;5 andererseits sensibilisiert ihre potentielle Erhaltung im Gegenzug dafür, verborgene Differenzen auch in Kontexten zu entdecken, hervorzuholen und buchstäblich zu produzieren, die sich erklärtermaßen einfach geben. Wenn agonale Logik ihre Differenz grundsätzlich alternieren lässt,6 könnte man somit festhalten, dass Hadubrand die Grundform des Wettkampfs nach innen hin erweitert, um ihre Komplexität kurzerhand Hildebrand zu unterstellen. Transzendenz hingegen bedeutet, Außenverhältnisse zu markieren – sei es durch Ausrichtung auf Unverfügbares, das als Kontext herangezogen wird, oder durch Akte der Überschreitung, die in einen Kontext einbrechen. Im Sinne solcher transzendenter Grenzüberschreitungen erweitern Hildebrands Gottesbezüge die Wettkampfform nach außen, ohne sie dadurch bestimmen zu können, wie seine notorisch vagen, mehrdeutigen Formeln zeigen.

      Vage bleibt dieser Ausgriff im Rahmen des gesamten Streitdialogs keineswegs. Denn Transzendenzgesten treten Latenzvorwürfen nicht einfach als unbestimmte Alternativen, sondern als komplementäre Formen gegenüber. Oder näher am Text formuliert: Der Streitdialog, in dem sich zwei asymmetrisch verkennen, bedient sich Formen der Differenzverarbeitung, die symmetrisch aufeinander abgestimmt sind. Dass Hildebrand und Hadubrand engstens aufeinander bezogen scheinen und doch aneinander vorbeireden können, hat hierin seinen formalen Grund. Dies verbindet sich auch mit anderen Dimensionen der formalen Abstimmung, die der Forschung länger bekannt sind: Nicht nur greifen die Redeanteile alternierend ineinander, sondern wachsen bzw. schrumpfen in chiastisch ausgeklügelter Abfolge.7 Auch die Schriftpoetik des Dialogs streicht also seine agonale Symmetrie heraus, während er von Asymmetrien erzählt.

      So geordnet dieses Arrangement erscheint, es birgt eine unwahrscheinliche Konfiguration, die sich auf verschiedenen Ebenen leicht auflösen ließe. Um mit einer keineswegs abwegigen Handlungsalternative zu beginnen: Hildebrand und Hadubrand hätten einfach kurz bei ihren Heeren nachfragen können, wie etwa Chroniken von fränkischen Bruderkriegen zu berichten wissen; oft sind es die Gefolgsleute, die entscheidende Informationen zur Konfliktlösung liefern.