das Tagebuch mit dem Rosenstrauß an.«
»Gut, so sprechen wir nicht weiter von deinem Geheimnis, mein Kind.«
Frau Wagner mußte über ihre Vierzehnjährige lächeln.
Der siebzehnjährige Eleve Karl Schilling, der auf dem nahen Gute Körthenau die Landwirtschaft erlernte, war vollkommen ungefährlich. Ein harmloser, unverdorbener Bursche, der, als er einmal nach der Apotheke gekommen war, Bärbel gesehen hatte. Daraus war bald eine Bekanntschaft erstanden, und seit jenem Tage schickte oder brachte Karl Schilling öfters einige Blumen. Sogar ein Stück Blutwurst war gekommen, weil er erfahren hatte, daß Bärbel Blutwurst für ihr Leben gern aß. Sie hatte widerstanden. Die Blutwurst wurde aufbewahrt, bis die Mutter durch den häßlichen Geruch aufmerksam wurde. Der Provisor hatte dann eine festschließende Blechdose gegeben, die nun in Bärbels Kommode stand und die Blutwurstreste enthielt.
Bärbel fühlte sich sehr stolz, in dem Gedanken, von einem jungen Herrn angeschwärmt zu werden. Karl Schilling wurde natürlich in Carlos umgetauft. Sie sah in ihm den Schillerschen Prinzen. Allerdings paßte seine unverwüstliche Fröhlichkeit nicht zu dem Bilde, das sie sich durchaus von ihm machen wollte, und oftmals hatte sie ihn gefragt, ob er denn gar nichts für Sentimentalität übrig habe.
Auch Lore schwärmte diesen Eleven an. Sie pries Bärbel glücklich, daß sie so innig geliebt werde. Die beiden Mädchen steckten häufig die Köpfe zusammen und schwärmten von Carlos. Alles an ihm wurde ihnen zur Poesie.
»Ich weiß es«, sagte Bärbel, »er leidet namenlos, aber er verbirgt sein brechendes Herz unter der fröhlichen Maske.«
»Woran leidet er?«
»Er hat auch eine Stiefmutter, vielleicht hat er sie einmal geliebt, man kann nie wissen.«
»Ich denke, er liebt dich?«
»Rasend!«
Während des ganzen Nachmittags wurde dauernd an den Rosen gerochen. Maria und Hanna, die unter den Geburtstagsgästen waren, schüttelten die Köpfe. Besonders Maria fand es albern, sich so zu haben.
»Er kann dich ja doch noch nicht heiraten, er hat nichts.«
»Das verstehst du noch nicht, Maria. Wir können uns doch heimlich verloben.«
»Mit so einem dummen Jungen? Dann kannst du dich doch besser mit meinem Bruder verloben, der ist einen Monat älter.«
»Man verlobt sich doch mit dem, für den das Herz spricht«, gab Bärbel zurück. »Nun aber ärgere mich nicht länger, ich kann doch nicht dafür, daß mir diese Liebe in die Brust gelegt wurde. Ich werde nie von Carlos lassen, ich fühle es, er ist mein Schicksal.«
»Wenn du erst Tanzstunde haben wirst, hast du schnell einen anderen«, sagte die praktische Hanna. »Mir ist der Sohn vom Konditor viel lieber. Erst gestern hat er mir statt vier Stück Kuchen fünf gegeben, da konnte ich das eine unterwegs aufessen. – Wann kommt denn dein Bruder zu den Ferien, Bärbel?«
»In drei Wochen. Er bringt noch einen Freund, auch einen Studenten, mit.«
»Ist er nett?« fragte Lore.
»Den Freund kenne ich nicht, aber an meinen Bruder brauchst du dein Herz nicht zu verlieren. Er ist kein Kavalier wie mein Carlos. Außerdem ist er wenig begabt. Er hat erst mit zwanzig Jahren das Abiturium gemacht, und jetzt lernt er auch nicht gut.«
»Ich finde ihn aber doch nett«, sagte Lore.
»Ich warne dich ernstlich vor ihm, Lore, du wirst unglücklich, wenn dein Herz sich ihm zuneigt. – Hüte dich; schon Carlos sagt doch wahr und richtig: Hölle liegt in dem Gefühl, ihn zu besitzen. Das halte dir stets vor Augen. Du kennst doch das Lied, das die gesamte Studentenschaft als Motto über ihr Leben setzt: andre Städtchen, andre Mädchen!«
»Ich will dir ja das Herz nicht schwer machen, Bärbel, aber dein Carlos wird dir wahrscheinlich auch nicht treu bleiben.«
Bärbel legte die Hand aufs Herz und verdrehte die Augen. »Seit ich ihn gesehen, glaub’ ich blind zu sein!«
»Kinder, redet doch endlich von was anderem«, mischte sich Maria ein, »das ist ja langweilig. Blas lieber was auf deiner Mundharmonika.«
Bärbel blies das Lied von der Mühle und dem zersprungenen Ringlein.
»Nun ist mir selber so traurig zumute geworden, daß ich mir ganz elend vorkomme. Ach, Lore, es ist ein seliges Gefühl, glücklich verliebt zu sein.«
Der Juni ging seinem Ende entgegen, und mit ihm rückten die großen Ferien heran. Nur ein kleiner Schmerz stand Bärbel bevor. Das war der Abschied vom Onkel Provisor, der zum 1. Juli Dillstadt verließ, da er selbst eine eigene Apotheke übernehmen mußte. Senftleben wollte bald heiraten, da ihm die neue Apotheke eine gute und gesicherte Existenz bot. Auch ihm war es nicht ganz leicht, aus Dillstadt zu scheiden. Er war über zehn Jahre in der Wagnerschen Apotheke tätig gewesen und fühlte sich mit der Familie verwachsen. Aber nun mußte geschieden sein. Das eine stand für ihn fest, daß er in engster Fühlung mit seinem einstigen Prinzipal bleiben wollte.
Da stand er nun auch vor Bärbel, denn schon die nächste Stunde führte ihn aus Dillstadt hinweg.
»Das kleine und jetzt so große Goldköpfchen wird von mir nicht vergessen werden. Wirst du noch manchmal an Onkel Senftleben denken?«
Bärbel legte in kindlichem Überschwang beide Arme um den Provisor. »Hätte ich meinen Carlos nicht, würdest du sicherlich meinem Herzen nahe stehen, Onkel Senftleben.«
»Nicht wahr, Bärbel, wir beide haben uns stets sehr gern gehabt?«
Sie nickte. »Ja, Onkel Senftleben, du warst mir immer ein treuer Freund, hast für mich manche Klippe umsegelt. Wie oft hast du mir schöne Schachteln und Dosen geschenkt. – Ja, du bist mein Freund!«
»Bleibe auch in Zukunft das liebe, gute Goldköpfchen, das jeder Mensch liebhaben muß, weil es aufrichtig und fröhlich ist. Denke immer daran, kleines, großes Bärbel …«
»Jawohl, Onkel Senftleben, ich weiß schon, und darum gebe ich dir auf deinen Lebensweg den Spruch, der über meinem Bett hängt: vor allem eins, mein Kind, sei treu und wahr!«
»Hast recht, Goldköpfchen, daran wollen wir beide allezeit denken.«
»Und wenn die Versuchung zu dir kommt, dann ruft dir dein Gewissen zu: sei wach!«
»Du wirst mich doch endlich einmal besuchen kommen, Bärbel?«
»Freilich, Onkel Senftleben, wenn du erst verheiratet bist. Aber, lieber Onkel Senftleben, einen guten Rat gebe ich dir – Zwillinge sind zu viel, ich habe es erlebt und denke heute noch mit Schauer daran. Immer eins nach dem andern. Ich bin ja dann schon sehr alt und komme gern deine Kinder wickeln und trockenlegen. Schreibe mir nur, wenn du soweit bist.«
»Gutes Kind!«
»Ich will dir gern behilflich sein, denn ich weiß, man hat dann alle Hände voll zu tun. Vielleicht kann deine Frau dann auch die alte Brauer kommen lassen, denn Mutti hält große Stücke auf sie.«
»Darüber können wir später reden, Bärbel.«
»Deine Frau muß vor allem darauf achten, daß die Kinder immer schnell trockengelegt werden, du hast doch gehört von der Frau Kube. – Ich habe überhaupt irgendwo ein Buch gelesen, das müßte sich deine Frau anschaffen. Darin steht alles genau beschrieben, wie man den Säugling behandelt.«
Endlich war der Abschied beendet. Bärbel hatte Tränen in den Augen, als Onkel Senftleben ihr zum letzten Male abschiednehmend mit der Hand winkte. Dann schlich sie hinaus in ihr Stübchen, schlug seufzend das Tagebuch auf und begann zu schreiben:
»Ach, Scheiden ist ein Wort, so schwer, als wenn es nicht vom Himmel wär’! – Was ist doch das Herz für ein merkwürdiges Ding! Ich glaubte, es sei ausgefüllt von ihm, Carlos, und nun erzittert es bang, wenn die Trennungsstunde von Onkel Senftleben schlägt. Aber dennoch – ich denke an ihn, und die Tränen versiegen. Carlos, Carlos, sind auch deine Rosen verwelkt,