liebe dich in Zeit und Ewigkeit!«
Als er mit dem Spiel geendet hatte, rührte sie sich nicht. Es war so wunderschön gewesen. Schließlich eilte sie hinaus, ohne ein Wort des Dankes zu sagen. Sie nahm ihr Tagebuch hervor, griff zur Feder und ließ noch einmal die herrliche Melodie an ihrem Ohr vorüberziehen.
Plötzlich tropfte eine Träne aus ihrem Auge gerade auf die Mitte der Tagebuchseite.
Sie schrie vor Entzücken auf, dann raste die Feder über das Papier. »Ich habe um ihn geweint! – Zum ersten Male, – hier, diese Träne sagt es! Vom Herzen kommend ist sie ins Auge gestiegen und gefallen. Carlos, – ich habe um dich geweint! – O, wie mich das glücklich macht!«
Sie eilte zu Lore und berichtete ihr das Unfaßliche. »Heute habe ich um ihn geweint, Lore!«
Lore konnte diese Gefühlsregung nicht recht verstehen, nickte aber dazu. »Ja, Bärbel, es muß schön sein, wenn einen die Liebe weinen läßt.«
Neugierig schlängelte sie sich auch an Wendelin heran, bat ihn, er möge das Lied noch einmal spielen, was er gern tat.
»Eigentlich ist es keine schöne Melodie«, sagte sie später zu Bärbel, »mir gefallen andere Sachen viel besser. Aber ich bewundere dich doch, daß du um ihn geweint hast.«
Seit diesem Tage hatte Bärbel etwas mehr für den Studenten übrig. Sie kramte die Noten durch, und jedesmal, wenn sie irgendwo ein Liebeslied fand, ließ sie es sich von ihm vorspielen. Doch keines erpreßte ihr mehr Tränen, und sie hätte so gern noch weitere Tagebuchblätter durchnäßt.
Dann rückte der Schulanfang wieder in bedrohliche Nähe. Die beiden Studenten hatten noch drei volle Wochen Ferien, als Goldköpfchen zum ersten Male wieder mit ihrer Mappe unter dem Arm zu Fräulein Greger gehen mußte.
Als sie an einem Freitagmittag aus der Schule heimkehrte, sah sie in ihrem Zimmer einen Blumenstrauß stehen, ein Brief lag daneben.
»Von Carlos!« jauchzte sie auf. Aber der Brief war nicht von Carlos, sondern von Onkel Senftleben. Ein silbernes Kettchen, an dem ein kleiner silberner Fisch hing, kam zum Vorschein, dazu ein herzliches Schreiben, das damit begann: mit vierzehn Jahren und sieben Wochen ist der Backfisch ausgekrochen!
Bärbel schrie vor Freude laut auf. An diesen großen Tag ihres Lebens hatte sie noch gar nicht gedacht. Das war ja ein Ereignis, das in der Familie gefeiert werden mußte.
»Mutti, Mutti, ich bin ein Backfisch!«
»Ich weiß, mein liebes Goldköpfchen!«
»Feiern wir das?«
»Nun, ein Grund zum Feiern ist eigentlich nicht vorhanden, aber du darfst dir deine Freundinnen einladen.«
Beim Mittagessen winkte doch eine Überraschung. Um Goldköpfchens Teller lag ein grüner Kranz, und in diesem Kranze waren lauter kleine, silberne Pappfischchen. Der Vater nahm Bärbel in seine Arme.
»Kleiner Backfisch, nun geht es auf die junge Dame los! Bleib mein braves Bärbel, sei kein zu unartiger Backfisch, laß alle unschönen Backfischstreiche bleiben, lerne auch in Zukunft brav, damit du im Leben deinen Mann stehst.«
Die Mutter sprach herzliche Worte, dann kam der Bruder. »Na, allmählich fängst du nun an, Mensch zu werden. Und in zwei bis drei Jahren kann man dich dann für voll ansehen. – Vorläufig bist du noch nischt.«
»Meinst du, daß du schon was bist?« gab die Schwester zurück, »du bist noch viel nischter als nischt!«
»Lassen Sie mich Ihnen zum heutigen Tage auch gratulieren, Fräulein Bärbel, möge Ihnen eine recht glückliche Backfischzeit bevorstehen.«
»Hoffentlich, mit viel Freude und wenig Gelerne.«
»Dann will ich noch ergänzen, daß dem Fräulein Backfisch das Lernen in Zukunft Freude bereiten möge!«
»Das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben, Herr Studio!«
Das Kettchen mit dem Fisch lag um Bärbels Hals, sie kam sich sehr stolz vor.
»Habt ihr eigentlich Carlos benachrichtigt, daß ich heute ein Backfisch werde?«
»Nein.«
»Das hätte er eigentlich nicht vergessen dürfen!«
»Vielleicht ist seine Liebe gestorben«, rief Kuno.
Bärbel schüttelte den Kopf. »Liebe ist ewig, aber das verstehst du noch nicht, kleiner Junge, – er wird noch kommen.«
Herr Wagner spendierte am heutigen Abend eine Bowle, um den Backfisch zu feiern. Man saß in der Laube im Garten, und auch Lore war dabei. Die beiden Mädchen hatten dauernd zu flüstern.
»Ich finde ihn eigentlich sehr nett«, sagte Lore und wies mit den Augen auf Wendelin.
»Das ist wirklich nichts für dich«, erwiderte Goldköpfchen, »schlage ihn dir aus dem Sinn. – Er ist freilich ganz nett, aber du wirst ja begreifen, wenn man einen anderen im Herzen trägt, hat man keine Blicke für solch einen mageren Jüngling.«
Hell klangen die Gläser aneinander. »Der Backfisch soll leben!«
Bärbel fühlte sich sehr stolz. »Ich danke euch allen«, sagte sie, »es wird eine bleibende Erinnerung für mich sein.«
»Und nun gibt jeder irgend etwas aus seinem Leben zum besten«, sagte Kuno.
»Natürlich«, meinte der Vater, »der Kleinste hat wieder einmal den größten Mund.«
»O doch, das wäre fein«, meinte Lore und schielte dabei auf Wendelin. »Jeder muß was erzählen, etwas Einschneidendes!«
»Wir beide wissen schon«, flüsterte Bärbel, »weißt du noch, als wir die Pflaumen haben wollten? Vierzehn Tage lang habe ich gehinkt!«
»Es ist vielleicht ganz gut«, begann die Mutter, »wenn man am heutigen Tage einige kleine Geschichten erzählt, Geschichten, die nicht so schnell vergessen werden können. Oder vielleicht denkt ein jeder nur zurück an eine Episode, die tiefen Eindruck auf ihn machte.«
Nach diesen Worten war es für Augenblicke still geworden, dann aber brach die alte Fröhlichkeit wieder durch; und gegen elf Uhr gebot Herr Wagner endlich Schluß.
Da lag nun das frischgebackene Backfischchen in seinem Bett und ließ sich von der Mutter, wie allabendlich, den Gutenachtkuß geben.
»Mutti«, flüsterte Bärbel und drückte den lockigen Kopf an deren Schulter. »Weißt du auch, woran ich heute gedacht habe, daß man im Leben Augenblicke hat, die einen tiefen Eindruck machten?«
»Sage es mir, mein geliebtes Goldköpfchen, woran hast du gedacht?«
»An die Zeit, in der ich gefallen bin.«
»Ach so – an deinen Abrutsch von der Gartenmauer.«
»Nein, Mutti, als ich moralisch eine Gefallene war. – Weißt du noch, als ich damals die fünfzig Pfennige nahm, weil ich nicht wollte, daß ihr erfuhrt, daß ich nachsitzen mußte?«
»Dann hat mein Bärbel auch an den Spruch gedacht, den sie einst lernte und der ihr den rechten Weg wies. Ja, Backfischchen, merk dir den Spruch auch fürs künftige Leben! Und nun schlafe, mein liebes Kind, der Himmel behüte dich!«
Von Dichtern und Denkern
Seit einem halben Jahre trug Goldköpfchen die grüne Mütze der Obertertia. Mit einem stolzen Gefühl hatte sich der kleine Backfisch diese Kopfbedeckung auf die goldblonden Locken gedrückt. Die grüne Mütze war das erste gewesen, was sich Goldköpfchen in Dresden gekauft hatte, was ihm auch ein klein wenig über die Trennung aus dem Elternhause hinweghalf.
Es hatte ein Weilchen gedauert, ehe sich Bärbel Wagner, die Tochter des Apothekers Wagner in Dillstadt, damit abgefunden hatte, daß sie von nun ab nicht mehr in Dillstadt die Privatschule des Fräulein