Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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das Lachen ankam, gab es kein Halten mehr. Wenn dieser Doktor Hering wirklich ein solch langer, magerer Herr war, wie ihn Gabriele Langen schilderte, dann wußte Bärbel, daß der Lachkrampf kam und daß es unmöglich war, ihn zurückzudämmen.

      »An was denke ich nur schnell?« flüsterte sie ihrer Nachbarin zu, »an etwas recht Trauriges! An den Tod von Mortimer, ja, das will ich tun.«

      Wenige Augenblicke später stellte der Ordinarius Doktor Gerlach der Obertertia den neuen Geschichtslehrer Doktor Hering vor.

      Bärbel saß auf dem Platze und hatte die Hände so fest ineinander verkrampft, daß die Knöchel schneeweiß waren. Nur eine Sekunde lang hatte sie ihre Blauaugen zu dem spindeldürren, langen Studienrat erhoben, der den Ordinarius genau um Kopfeslänge überragte. Es kam hinzu, daß Doktor Hering den blonden Kopf unnatürlich weit nach vorn streckte, der weiße Kragen erschien viel zu kurz für den langen Hals, und als jetzt Valeska ganz leise das Wort »Giraffe« flüsterte, biß Bärbel die Zähne knirschend aufeinander.

      Nicht lachen, – nicht schreien vor Übermut! – Bärbel dachte an einen schwarz verhängten Sarg, an das Todesurteil der Maria Stuart. Sie murmelte die letzten Worte Mortimers leise vor sich hin:

      »Maria, Heilige, bitt’ für mich und nimm mich zu dir in dein himmlisch Leben.«

      Jetzt sprach der lange Hering. Bärbel hatte nur ein Sausen und Brausen in den Ohren, in der Kehle saß eine ganze Tonleiter, die hinausdrängte. – Nur nicht lachen!

      Totenstille herrschte in der Klasse. Aber Bärbel fühlte deutlich, wie alle Nerven gespannt waren. Sie setzte sich nochmals energisch auf dem Platze zurecht, drückte sich die Fingernägel fest ins Fleisch. – Ein ganz schwarz verhängter Sarg stand irgendwo. – Nur nicht aufblicken!

      Dann kam aus der hintersten Bank ein leises Kichern. Ganz leise, – aber für Bärbel wurden diese unterdrückten Töne zum Verderben. Sie warf beide Arme auf die Tischplatte, drückte das Gesicht fest hinein; und dann lachte sie los, lachte, lachte, bis ihr die Tränen über das Gesicht strömten. Sie preßte die Fäuste an den Mund, sie drückte die Frisur der Bluse an die Lippen. – Alles nützte nichts. Bärbel lachte, und in dieses Lachen stimmte die Nachbarin mit ein; es lief von Bank zu Bank, und der finster dreinblickende Ordinarius wurde von diesem Gelächter überbraust, als ob man ihn mit glühender Lava überschüttete.

      »Ruhe!«

      Der gebieterische Ruf fruchtete nichts.

      In das blasse Gesicht unter den blonden Haaren des neuen Studienrates stieg dunkle Röte. In sichtlicher Verlegenheit streckte Doktor Hering den Kopf vor und zurück, was natürlich von den jungen Mädchen auch nicht unbemerkt blieb.

      »Die Giraffe würgt«, flüsterte Valeska Bärbel zu; aber Bärbels Augen waren voller Tränen, die verdunkelten den Blick.

      Nun begann eine Strafpredigt, ernst und eindrucksvoll. Die meisten der jungen Mädchen faßten sich, nur Bärbels Körper schüttelte sich noch immer vor Lachen.

      »Barbara!«

      Bärbel machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Wenn sie ihre Ruhe wiedergewinnen sollte, mußte man sie unbehelligt lassen.

      »Barbara, stehe auf!«

      Auch das noch!

      »Maria, Heilige, bitt’ für mich und nimm mich zu dir in dein himmlisch Leben.«

      Aber auch die Sterbeworte Mortimers fruchteten in diesem Augenblicke nichts. Gekrümmt erhob sich das junge Mädchen, um sogleich wieder in sich zusammenzusinken.

      »Du siehst mich an, Barbara.«

      Bärbel erschrak. Dicht neben dem Ordinarius stand Doktor Rollmops.

      »Was habt ihr so zu lachen? Du sollst mich ansehen, Barbara. – Hörst du nicht?«

      Der strenge Ton des Klassenlehrers verfehlte auch diesmal seine Wirkung nicht. Bärbel hob den verschleierten Blick, aber eben in diesem Augenblicke beugte sich Doktor Hering etwas vor. Bärbel hatte den Eindruck, als sähe sie da vorn eine gebogene Latte, und aufs neue kam über ihre Lippen ein jämmerlich klingender Ton, ein ersticktes Lachen, das gewaltsam zurückgedrängt werden sollte.

      »Wir beide sprechen uns nach dem Unterricht. – Setz dich.«

      Bärbel hörte nicht mehr, was der Ordinarius sagte. Sie schämte sich, daß sie sich so schlecht betragen hatte, aber dennoch steckte ihr das Lachen noch immer in der Kehle. Es war furchtbar, daran zu denken, daß dieser Fiedelbogen dort vorn auf dem Katheder sitzen sollte, um den Unterricht zu geben.

      Der Ordinarius hatte die Klasse verlassen; der neue Studienrat begann mit den einleitenden Worten.

      Ein Neidgefühl stieg plötzlich in Bärbel auf. Wie war es nur möglich, daß sich die Mitschülerinnen derartig beherrschten? Die meisten konnten Doktor Rollmops ungestört betrachten. Aber jedesmal, wenn Bärbel den Blick erhob, ging es erneut wie ein elektrischer Schlag durch ihren Körper, und jedesmal fuhren beide Hände an den Mund, um die Lippen noch fester zu schließen.

      Man hatte geglaubt, daß dieser spindeldürre Studienrat nun auch eine helle, wäßrige Stimme haben würde. Aber seine Worte klangen rauh und streng. Wenn er etwas sagte, wurde das so herrisch hervorgestoßen, als spräche ein erzürnter Herrscher seine Wünsche aus. Es klang beinahe, als bestünde der ganze Unterricht nur aus Befehlen.

      Bärbel lauschte mit gesenktem Kopf der neuen Methode. Wenn man nicht hinblickte zu dem Manne, mußte man glauben, daß auf dem Katheder der Tyrann von Syrakus saß, den Dolch in der erhobenen Rechten. Aber wenn man den Mann dann ansah …

      »O Gott, o Gott«, stöhnte Bärbel leise auf.

      Valeska Meißner, die neben Bärbel saß, hatte ihre teuflische Freude daran, Bärbel noch immer fassungslos zu sehen.

      »Wie mag er aussehen, wenn er in der Badewanne sitzt!« flüsterte sie Bärbel zu.

      Die vordere Mitschülerin hatte diese Worte gehört. Hastig wandte sie sich um.

      »In der Badewanne hat er ja keinen Platz. Er muß die langen Beine hinaushängen.«

      Bärbel warf einen flehenden Blick auf ihre Klassengenossinnen.

      »Bitte, bitte, seid doch still«, flüsterte sie.

      Vom Katheder herunter grollte es weiter. Keines der jungen Mädchen hatte eine Ahnung, wie es in dem Herzen des jungen Studienrates aussah. Er wußte schon lange, daß er infolge seiner Magerkeit und Größe für alle Bekannten eine lächerliche Figur war. Er hatte sich geradezu vor dem heutigen Tage gefürchtet, weil es ihm bekannt war, daß er auf die Backfische der Obertertia den ungünstigsten Eindruck machen würde. Seine übergroße Verlegenheit, die angeborene Schüchternheit, schnürten ihm häufig die Kehle zusammen, und als er heute das Gelächter gehört hatte, fühlte er sich fast einer Ohnmacht nahe.

      Er sagte sich, daß er diesen jungen Mädchen niemals zeigen durfte, was er innerlich litt. Er mußte sich gleich vom ersten Augenblick an Respekt verschaffen. Das aber konnte nur geschehen, wenn er den unfreundlichsten und herrischsten Ton anschlug, der ihm zu Gebote stand. Und wenn er heute von der Gründung Roms sprach, wenn er die Namen Romulus und Remus erwähnte, klang das wie Kanonenschüsse. Alles aber nur, um sich vor dieser Klasse in Respekt zu setzen.

      Bärbel wurde in dieser Stunde gar nicht gefragt. Sie war glücklich darüber, denn wenn sie auch endlich das Lachen eingestellt hatte, fühlte sie doch noch immer, daß es nur des leisesten Anstoßes bedurfte, um erneut loszukichern. Das aber kam dem Backfisch doch zu albern vor.

      Das junge gequälte Mädchen atmete erlöst auf, als endlich die Glocke ertönte und das Ende der Stunde anzeigte.

      Sie wurde zu Doktor Gerlach gerufen. Im allgemeinen hegte der Ordinarius viele Sympathien für Bärbel, aber heute hielt er es für seine Pflicht, dem jungen Mädchen ernsthafte Vorhaltungen wegen seines Betragens zu machen.

      »Bitte, entschuldigen Sie, Herr Doktor«, sagte Bärbel schuldbewußt, »ich wollte nicht lachen, aber –