Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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solltest deinen Mitschülerinnen mit gutem Beispiel vorangehen.«

      Bärbel schwieg. Das war doch zuviel von ihr verlangt.

      »Ich hoffe, daß du dich in Zukunft Herrn Doktor Hering gegenüber tadellos betragen wirst. Ich müßte sonst einen Vermerk in das Zeugnis bringen.«

      Bärbel war froh, so glimpflich davongekommen zu sein. Sie beschloß, sich zu bessern, aber Doktor Hering wirkte eben gar zu komisch. Es würde gewiß noch eine Weile dauern, ehe sie sich an seinen Anblick gewöhnte. Warum er nur so polterte?

      Auf dem Nachhausewege sprachen die Mädchen ausschließlich von dem neuen Studienrat, der seinen Spitznamen bereits bekommen hatte und von diesem Tage an für sämtliche Klassen nur Doktor Rollmops hieß.

      Daheim wurde natürlich alles erzählt.

      »Ach, Großchen, du müßtest den Rollmops sehen! Wenn du Gardinen aufzumachen hast, brauchst du keinen Tapezierer; der reicht bis an die Decke. Dann hat er mit dem Halse hin und her gewackelt, – es war zum Totschießen!«

      Frau Lindberg versuchte ihrer Enkelin klar zu machen, daß sich Doktor Hering wahrscheinlich selbst nicht ganz wohl fühle in seiner langen Gestalt. Aber davon wollte Bärbel nichts wissen.

      »Weißt du, Großchen«, sagte sie eindringlich, »dieser Mensch ist derart von sich eingenommen, das hört man schon an seiner Sprache, daß er überhaupt keinen anderen neben sich duldet. Er brüllt uns an, als ob wir dumme Jungen wären. Wir hassen ihn alle. Er täte besser, wenn er mit der Obertertia Fühlung nähme und sich nicht wie ein pädagogischer Diktator aufspielte. So etwas braucht man sich in heutiger Zeit nicht gefallen zu lassen. Und wenn man außerdem noch den Spitznamen Doktor Rollmops führt, muß man jungen Damen gegenüber doch sehr vorsichtig sein.«

      »Nun, wie junge Damen habt ihr euch heute eigentlich nicht benommen, Bärbel, besonders du nicht, mein liebes Kind.«

      »Ich konnte wahrhaftig nichts dafür, Großchen, ich habe all meine Energie zusammengenommen, – aber es ging nicht mehr. Wenn Armin Rabes mitten in einer Trauerszene den Doktor Rollmops sehen würde, wäre es auch um ihn geschehen. – Selbst Mortimer würde lachend in den Tod gehen, wenn plötzlich Doktor Rollmops auf der Bühne erschiene.«

      Am Nachmittage desselben Tages gab es für Bärbel eine neue Überraschung. Ganz unerwartet hatte sich Tante Agnes mit Onkel Otto angemeldet.

      Onkel Otto! Was rief dieser Name doch für Erinnerungen in Bärbel wach? Als kaum sechsjähriges Mädchen war sie bei der Großmutter zu Besuch gewesen, damals hatte sie Onkel Otto kennengelernt, der einen so gewaltigen Eindruck auf das Kind gemacht hatte. Die Eltern hatten es oft lachend erzählt, daß Bärbel durchaus darauf gewartet habe, ob dem Onkel nicht endlich der Bauch platzen würde. Onkel Otto hatte dann Tante Agnes geheiratet, die Schwester von Bärbels Mutter.

      Seitdem Bärbel wieder als Tertianerin im Hause der Großmutter weilte, hatte sie mit Onkel Otto Freundschaft geschlossen. Bei jedesmaligem Besuch brachte der Onkel dem niedlichen Backfisch ein hübsches Geschenk mit. Da er selbst keine Kinder hatte, war seine ganze Liebe auf die goldlockige Nichte gefallen, und als Studienrat, der an einem Gymnasium tätig war, fand er sich immer bereit, Goldköpfchen einen guten Rat bezüglich der Schulaufgaben zu geben.

      Frau Lindberg mußte oftmals dazwischentreten, um einem weiteren Verzuge vorzubeugen.

      So war es ganz selbstverständlich, daß sich Bärbel auch heute wieder über alle Maßen freute, als man ihr mitteilte, sie möge zum Kaffeetrinken kommen, denn Onkel und Tante seien bereits anwesend.

      Mit hellem Jauchzen sprang sie dem Studienrat in die Arme.

      »Na, endlich bist du mal wieder da, ich habe rasende Sehnsucht nach dir gehabt.«

      »Ich auch nach dir, Goldköpfchen.«

      »Du bist gar nicht wie ein Lehrer, Onkel, du bist viel netter. Warum kannst du dich denn nicht an unser Gymnasium versetzen lassen?«

      »Weil ich lieber mit Knaben arbeite als mit jungen Mädchen.«

      »Das verstehe ich nicht, lieber Onkel. Wir alle würden dich rasend anschwärmen.«

      »Schwärmt ihr mal lieber den Armin Rabes an. Paß mal auf, Goldköpfchen, hier habe ich was für dich!«

      »Oh!«

      Doktor Wendt öffnete die Brieftasche und entnahm ihr eine Karte.

      »Für Sonnabend abend die ›Räuber‹ mit Armin Rabes.«

      »Mit dem Göttlichen!«

      »Jawohl. – Wir nehmen dich mit.«

      »Onkel, – süßer, – einziger, – herrlicher – geliebter Onkel!«

      »Puh – Mädel, laß los, du zerdrückst mir ja die Hemdbrust.«

      »Mit Armin Rabes! – Ach, Onkel, warte nur ab, wenn der losbrüllt: ›Menschen, Menschen, falsche, heuchlerische Krokodilenbrut!‹ Es wird schauerlich schön sein!«

      Bärbel begann zu schwärmen. Immer wieder wollte sie von Onkel Otto hören, ob jener auch so begeistert für den Schauspieler sei.

      Da mengte sich Frau Lindberg ein.

      »Bärbel hat eigentlich solch eine Belohnung nicht verdient. Sie ist heute erst vom Ordinarius getadelt worden.«

      »Nanu, Goldköpfchen.«

      »Ach, Onkel Otto, du hättest auch gelacht, wenn du den Rollmops gesehen hättest. Wie kann man uns solch einen Lehrer auftischen! – Bis an die Decke reicht er, kein Lot Fleisch hat er auf den Knochen! Ach, nein, der hätte niemals den Lehrstuhl besteigen dürfen.«

      »Ach ja, richtig, ihr sollt ja Doktor Hering als Vertretung bekommen.«

      »Wir haben ihn bekommen, bester Onkel! – Den Mann müßtest du sehen!«

      »Ich kenne den armen Kerl recht genau. Der junge Mann ist so schüchtern, daß …«

      »Schüchtern«, rief Bärbel stürmisch, »der und schüchtern? Nein, Onkel, er ist ein Tyrann! Er pulvert wie ein Maschinengewehr. Dann meinst du einen anderen Hering, lieber Onkel.«

      »Kein Gedanke, Goldköpfchen, ich meine den langen, dünnen Doktor Hering, der erst kürzlich sein letztes Examen gemacht hat. Er ist blond, nicht wahr?«

      »Ja, und hat wässrige Heringsaugen.«

      »Laß den armen Kerl nur in Ruhe. Dem ist es sicherlich nicht leicht geworden, bei euch zu unterrichten. Der hat gewiß mehr Respekt vor euch als ihr vor ihm.«

      »Du irrst, lieber Onkel, – der schnauzt …«

      »Doch nur, um seine Verlegenheit zu verbergen, Goldköpfchen.«

      »Um – seine – Verlegenheit –?«

      »Nun höre mich einmal an, mein liebes Goldköpfchen, so geht es gar vielen von uns Lehrern. Da kommt man von der Universität, fühlt sich selbst noch recht unsicher, und dann wird man in eine Schule gesteckt, in der viele Dutzend neugierige Augen auf einem ruhen. Und wenn man nun gar noch äußerlich ein so wenig schöner Mensch ist, fühlt man sich doppelt beengt, zumal dann, wenn niedliche und vorlaute Backfischchen vor einem sitzen. Da wird der Hals trocken, die Kehle rauh, und man schreit die jungen Dinger an, weil man sonst gar keinen Laut hervorzubringen imstande wäre. – So geht es auch dem armen Doktor Hering, bei dessen Eintreten ihr vielleicht gelächelt habt.«

      »Gelacht – gebrüllt …« sagte Goldköpfchen kleinlaut.

      »Nun siehst du.«

      »Ich habe mich gar nicht fassen können, Onkel.«

      Doktor Wendt zog seine Nichte zärtlich an sich.

      »Da siehst du nun, Goldköpfchen, wie dem armen Doktor Hering zumute gewesen sein muß, als er sich so ausgelacht sah. – Ware dir das angenehm?«

      »Wenn er aber doch so komisch ist?«

      »Kann