moderner kapitalistischer Gesellschaften und unterstreicht die amerikanische, vor allem eben auch seine eigene rechtspolitische Antwort in Gestalt einer neuen Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung.
Jackson und das Ende der US-amerikanischen Neutralität
Präsident Roosevelt berief Jackson 1940 zum “General Attorney”, der in den USA die Ämter des Generalstaatsanwalts und des Justizminister vereint. 1941 wechselte er an den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) der USA. Außenpolitik war also weder sein primäres Arbeits- noch Interessengebiet. Die US-amerikanische Außenpolitik hatte jedoch inzwischen die Position der strikten, nach klassischem Völkerrecht gebotenen, in eine aktive Neutralität verändert, die es auch völkerrechtlich zu begründen galt. Dieser Aufgabe stellte sich Jackson vor allem in seiner Rede vom 27. März 1941 in Havanna, die sich an die lateinamerikanischen Nachbarn richtete.17 In ihrem allgemeinen Teil setzte sich Jackson mit der Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, sowie der Angemessenheit des traditionellen Völkerrechtes auseinander. Er betonte emphatisch, dass das Völkerrecht zu den höchsten Gütern der modernen Zivilisation gehöre. Daran ändere auch nichts, dass es missachtet werde. Hier klingt schon die später in Nürnberg mit der Verteidigung ausgetragene Kontroverse über die Gültigkeit vor allem des internationalen Friedensrechts durch.
Was die Regeln der Neutralität angeht, begründete er seine (und Roosevelts) Ansicht, dass es eine „dritte Kategorie“ von Staaten außer den Kriegführenden und Neutralen geben müsse. Denn: Was ist zu tun gegenüber einem Staat, der die Regeln völkerrechtlicher Verträge, in deren Rahmen das Prinzip der Neutralität seinen Stellenwert hat, selbst systematisch bricht? Die USA müssten sich an der Seite Großbritanniens für die Erhaltung der völkerrechtlichen Strukturen gegen diejenigen engagieren, die sie zerstören.
Diese Veränderung bedurfte der innen- und rechtspolitischen Begründung und Durchsetzung, nicht zuletzt gegen die noch immer starken neutralistischen und antimilitaristischen Stimmungen im eigenen Land. Die Vereinigten Staaten waren politisch noch nicht „kriegstüchtig“. Die Verlängerung des “Selective Training and Service Act” (militärische Dienstpflicht) von 1940 wurde mit nur einer Stimme Mehrheit im August 1941 erreicht. Ebenfalls kontrovers war das “Lend-Lease”-Abkommen, das letztendlich eine kostenlose Unterstützung der Alliierten durch US-amerikanische Waffenlieferungen ermöglichte. In einem engen völkerrechtlichen Sinne aber waren die Vereinigten Staaten nach wie vor ein neutrales Land, dem eine konkrete militärische Unterstützung einer Kriegspartei nicht erlaubt war. In der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 erklärte Roosevelt dennoch – zusammen mit Churchill – klar als Kriegsziel die Niederwerfung Hitler-Deutschlands und danach die Errichtung eines „demokratischen Friedens“. Im Artikel VI ist die Hoffnung formuliert, „dass nach der endgültigen Vernichtung der Nazi-Tyrannei ein Frieden geschaffen werde, der allen Völkern erlaubt, innerhalb ihrer Grenzen in vollkommener Sicherheit zu leben, und der es allen Menschen in allen Ländern ermöglicht, ihr Leben frei von Furcht und von Not zu verbringen.“ Erst im Dezember 1941, also nach der Kriegserklärung aus Deutschland, waren für Präsident Roosevelt „die Fesseln und Zweideutigkeiten“18 der Neutralitätspolitik beseitigt und der Weg für eine direkte Unterstützung Großbritanniens und später auch der Sowjetunion offen.
Der Weg in den Krieg an der Seite Großbritanniens bildete den Erfahrungshintergrund Jacksons, aus dem heraus sich seine Argumentationen für Nürnberg entwickelten. Aus dem Juristen wurde so der Rechtspolitiker und Völkerrechtler im Machtzentrum Washington. Justice Jackson gehörte vor allem als Bundesrichter, aber auch durch seine persönlichen Beziehungen zum Präsidenten zum Kreis der Männer,19 die die entscheidenden Konzepte für den Umgang mit Nazi-Deutschland in der Zeit nach dem Krieg ausarbeiteten. Zögernd und vorsichtig begann man auch auf Berichte von Kriegsverbrechen und Gräueln an den Zivilbevölkerungen (noch unter dem Sammelbegriff “atrocities”) zu reagieren. In einer Rundfunkrede erklärte Roosevelt am 12. Oktober 1942:
„Die Vereinten Nationen haben beschlossen, die Identität derjenigen Naziführer festzustellen, die für diese zahllosen barbarischen Akte verantwortlich sind. Jedes dieser Verbrechen wird sofort gewissenhaft untersucht und ständig wird Beweismaterial für künftige Gerichtsverhandlungen gesammelt“ 20
Untersuchung und Anklage von Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Gräueltaten waren damit Teil der Gesamtplanung geworden, aber auch die rechtlichen Schwierigkeiten kamen in den Blick – und konnten auch bis ins Frühjahr 1945 US-intern nicht ausgeräumt werden. In seinem Memorandum für den Präsidenten und die Außenminister vom 22. Januar 194521 geht Jackson bereits detailliert auf die juristischen Schwierigkeiten der Verfolgung von “atrocities” ein, die nicht mit dem Krieg zusammenhängen, also dem, was später als „Verbrechen gegen die Menschheit“ im Londoner Statut erscheint: Diese Vorkriegsverbrechen, seien weder Kriegsverbrechen im engen Sinn noch Verstöße gegen das Völkerrecht. Und ob sie gegen das von den Nazis ihrer Politik angepasste deutsche Recht verstießen, sei umstritten. Sein Argument dafür, dass die Verbrechen dennoch bestraft werden müssten, ist zu jener Zeit weniger juristisch als politisch. Es sei die erklärte Politik der Vereinten Nationen (d.i. der Alliierten), diese Verbrechen auch zu bestrafen. Dies sei auch erforderlich im Interesse einer Nachkriegs-Sicherheitsarchitektur, der notwendigen Umerziehung (rehabilitation) der Deutschen, und es sei auch Forderung der Gerechtigkeit.
Jackson in London
Ende Mai 1945 holte sich Jackson in London bei Lordkanzler John Viscount Simon die britische Rückendeckung für das US-amerikanische Vorgehen.22 Nach seiner Ernennung zum Leiter der US-Delegation für Nürnberg durch Truman am 2. Mai 1945 legte er mit Datum vom 6. Juni 1945 dem Präsidenten sein Konzept23 für das Verfahren vor, das dieser billigte und sogleich in die Medien brachte und damit die amerikanische Position festklopfte. Als Bundesrichter hatte er sich beurlauben lassen und hoffte, etwas naiv, nur „einen Sommer lang“ weg zu sein.24
Mit dieser präsidentialen Rückendeckung kam er im Juni 1945 zu den Londoner Gesprächen, durch die das IMT dann endgültig in Form des “Londoner Statuts” beschlossen wurde. Ende Juli flog er nach Potsdam zur Konferenz und ließ sich noch einmal ausdrücklich den politischen Segen für sein juristisches Konzept geben, notfalls auch um den Preis des Scheiterns.25 Dennoch verstand er es, Lösungen zu finden, mit denen alle einverstanden sein konnten oder auf amerikanischen Druck hin auch sein mussten. Starken Gegenwind gab es für Jackson und seine Delegation vor allem beim Anklagepunkt „Verschwörung“, den Frankreich und die Sowjet-Union nicht nachvollziehen konnten.26 Am 8. August unterzeichnete Jackson für die Vereinigten Staaten das Londoner Statut. Bevor der Prozess in Nürnberg startete, erklärte er am 9. September im New York Times Magazin,27 worauf es bei dem Statut besonders ankomme: Wer Angriffskriege führt, muss als Person angeklagt und bestraft werden, gerade wenn und weil Kriege immer die ganze Bevölkerung des gegnerischen Staates treffen; das sei bei modernen Kriegen schon ein Wesenszug geworden. Und auch die rassische und religiöse Verfolgung der eigenen Bevölkerung sei ein Verbrechen gegen die internationale Gemeinschaft.
Jacksons Quellen und Vorlagen
Bei aller Bewunderung, die schon die Zeitgenossen Jacksons Rolle in Nürnberg und insbesondere seiner Eröffnungsrede entgegenbrachten, ist klar, dass auch Jackson ebenso wie seine Kollegen der anderen Mächte dabei auf die Unterstützung eines großen Teams angewiesen war. Dies betraf nicht nur die zahlreichen Details der Anklage und ihr Beweismaterial, sondern durchaus auch substantielle Teile von Jacksons Argumentation. Bis Ende 1945 war sein Stellvertreter in Nürnberg General William J. “Wild Bill” Donovan, der seit 1942 den Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS) aufbaute.28 Neben den im engeren Sinn geheimdienstlichen Spionagetätigkeiten unterhielt das OSS vor allem eine große wissenschaftliche Forschungsabteilung, den “Research and Analysis Branch” (R&A),29 die im Wesentlichen wissenschaftlich auf der Basis von zu 80–90 Prozent öffentlich zugänglichen Quellen arbeitete.30 Ihr Personal bestand hauptsächlich aus deutschen Emigranten aus dem Umfeld des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Zu