Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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Akt des Götzendienstes (7, 231, 19). Wir glauben, dass im Geist anbeten sei, dass wir geistlich oder geistlicher Weise anbeten sollen, Christus sei gleich im Himmel, auf Erden oder im Sakrament oder wo er wolle. Denn das geistliche Anbeten setzt Christus gegen das leibliche Anbeten, das die Heuchler an Stätte und Zeit binden, so dass es äußerlicher Weise, wie die Stätte und Zeit bestimmt, geschehen muss, als hätte das Gebet sein Wesen, Kraft, Leben und alle Tugend von der Stätte oder Zeit (26, 427, 31–37). Die Frömmigkeit auf äußerliche Dinge zu beziehen, das heißt an Gottes statt sitzen und sich anbeten lassen, wie der Papst tut (9, 619, 12f.). Auch die Ablehnung äußerlicher |20|Anbetung schließt die innere Anbetung nicht aus (16, 462, 31–33). Die Werkheiligen, die sich der Gaben, die sie von Gott empfangen haben, rühmen, machen einen Abgott daraus und beten sich selbst an (1, 358, 5–7; 22, 200, 1f.). Aber Christus als Retter zu erkennen und seine Hand zu küssen, das ist wahrhaft das wahre Anbeten (5, 73, 23f.). Gott verehren, fürchten, erkennen, ihm vertrauen, alle Hoffnung auf ihn setzen, ihm folgen, seinem Ruf gehorchen, das ist wahres Anbeten (40III, 299, 11–14).

      📖 Friedrich Lezius, Die Anbetung Jesu neben dem Vater, 1892.

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      Andacht

      → Anbetung, Betrachtung, Gebet

      „Andacht“ heißt bei Luther noch oft Meinung, Bestreben, Überlegung, aber auch frommes Bemühen und gottesdienstliche Aktivität.

      1. Die rechte Andacht ist der Glaube, der sich auf das Wort Gottes verlässt. Alle andere Andacht ist lauter Trügerei und Irrtum (2, 128, 1f.; 6, 235, 17–20). Zum Empfang des Sakraments ist nicht nur der gute Antrieb notwendig, der im erworbenen Glauben oder einer Andacht besteht, sondern der beständige, durch die Gnade Gottes eingegossene Glaube, der das Herz dazu bewegt, die Sache des Sakraments zu begehren und wirklich zu erhoffen (6, 91, 38–92, 1). Maria lehrt, dass, je größer die Andacht im Geist ist, je weniger Worte zu machen sind (7, 571, 22).

      2. Luther warnt öfters vor selbstbezogener Andacht: Es soll sich niemand vornehmen, einen eigenen Weg zu Gott machen, durch seine eigene Andacht oder Werk (10I.1, 356, 1f.). Was einer selbstbezogenen Andacht entspringt, ist die reinste Lüge und Wahn und gilt nichts vor Gott (14, 394, 9; 16, 175, 18–22; 24, 389, 26–28; 33, 275, 15–29; 323, 12–15; 46, 589, 35–37; 768, 7f.; 780, 10–34). Der heilige Geist kommt nicht zu uns durch unsere Andacht (47, 642, 25). Die neuen Stücke, die in der neuen Kirche des Papsts aufgekommen sind, sind alle ohne Gottes Wort, das ist, ohne Wahrheit und Leben, allein aus menschlicher Andacht oder Gutdünken erdichtet worden (51, 515, 20–23). Niemand denke, dass Gottes Wort auf Erden komme aus eigener Andacht. Soll es Gottes Wort sein, so muss es gesandt sein. Es ist unmöglich, dass die heilige Schrift könne verstanden oder ausgelegt werden aus eigener Andacht und Willkür. Denn es ist ein großer Unterschied zwischen dem Wort, das vom Himmel gesandt ist, und dem, das ich aus eigener Wahl und Andacht erfinde. Darum müssen wir lernen, unsere Seligkeit zu setzen auf die Kraft des Gottes Wortes und nicht auf unsere Andacht (47, 193, 11–38).

      3. Luther berichtet über das Paradox seiner eigenen Frömmigkeit: Er habe ein heiliger, frommer Mönch sein wollen und sich mit großer Andacht zur Messe und zum Gebet bereitet, aber wenn er am andächtigsten war, so ging er als ein Zweifler zum Altar, als ein Zweifler ging er wieder davon, hatte er seine Buße gesprochen, so zweifelte er doch, hatte er sie nicht gebetet, so verzweifelte er aber, denn die Mönche waren schlicht in dem Wahn, sie könnten nicht beten und würden nicht erhört, wenn sie nicht ganz rein und ohne Sünde wie die Heiligen im Himmel wären (22, 305, 35–306, 3; vgl. 51, 21, 1–8).

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      |21|Anfechtung

      → Verzweiflung, Zweifel

      1. Wesen: Anfechtungen werden in der heiligen Schrift eigentlich das Kreuz Christi genannt (56, 301, 20f.). Das ganze Leben ist nichts als Anfechtung von Fleisch, Welt, Teufel (30I, 107, 32f.; vgl. 106, 34; 6, 17, 29f. 225, 14f.; 16, 11; 208, 25–28). Die Anfechtung ist eine doppelte: erstens körperlich, worin die Fleischlichen versagen, die wegen fleischlicher Güter in den Dingen, dem Leib, dem Ruhm versagen und von Gott abfallen. Die andere ist die geistliche des Gewissens, wo durch die eigene Gerechtigkeit und Weisheit alles verschlungen und aufgesaugt wird, worauf sie vertrauen (56, 306, 9–16). Denn wen der Teufel mit Armut, Mangel und Elend nicht überwinden kann, den greift er an mit Reichtum, Gunst, Ehre, Lust, Gewalt und ficht auf beiden Seiten wider uns (17II, 195, 26–27). Nach dem Urteil aller Frommen und dem Zeugnis der Erfahrung ist es aber die größte Anfechtung, keine Anfechtung zu haben (3, 420, 16f.), denn dann bestehe die Gefahr, dass der Mensch Gott vergesse und missbrauche die glückselige Zeit (6, 223, 33–35; 236, 16–20). Nicht glauben zu wollen und alles in Zweifel zu ziehen und so eine neue Lehre zu erwarten, das ist die schwerste Anfechtung (3, 578, 38f.). Die schwerste und höchste Anfechtung, mit der Gott zuweilen seine Heiligen angreift und übt, ist das Gefühl, von Gott und seiner Gnade verlassen zu sein (17II, 20, 31–38). Die größte Anfechtung ist die durch den Teufel, der Glaube, Hoffnung und Liebe bekämpft, damit das Misstrauen, dass Gott nicht barmherzig sei, angreift, wenn der Mensch zu zweifeln beginnt, ob Gott sei usw. Daraus folgt die Verzweiflung. Diese Versuchung ist die schwerste, da sie den Menschen zum Gotteslästerer macht (30I, 16, 26–29; vgl. 17II, 193–195).

      2. Der Grund für die Anfechtung ist, dass der Mensch sich und Gott erkennen lerne, sich erkennen, dass er nichts vermag, als sündigen und Übel tun, Gott erkennen, dass Gottes Gnade stärker sei als alle Kreaturen, und er so lerne sich verachten und Gottes Gnaden loben und preisen (2, 125, 18–22). Durch die Anfechtung wird der Mensch dazu gedrängt, zu Gott zu laufen und ihn anzurufen (6, 223, 16–19). Wir müssen die Anfechtung annehmen als eine Reizung und Vermahnung zu beten, fasten, wachen, arbeiten und anderen Übungen, das Fleisch zu dämpfen und den Glauben an Gott zu üben (6, 270, 10–12). Wenn ein Christ anfängt zu glauben, so folgt ihm auf dem Fuß nach die Anfechtung und Verfolgung, und wenn das nicht geschieht, so ist es ein Zeichen, dass der Glaube nicht rechtschaffen ist und er das Evangelium nicht recht ergriffen hat (17I, 446, 16–19; vgl. 21, 116, 4–12).

      3. Der Sinn der Verwirrung ist unendlich und jede Anfechtung in unserem Affekt ist dauerhaft. Es gibt niemanden, der das Ende der Anfechtung sieht, wenn er im Paroxismus der Anfechtung ist (25, 151, 30–32; vgl. 31II, 110, 30f.; 445, 26–28). Da Gott ewig ist, so ist auch die Versuchung ewig (31II, 549,25). Wie es notwendig ist, dass es Häresien gibt, so muss es Anstachelungen des Fleisches geben, damit die offenbar würden, die bewährt sind, und damit sie immer zum Herrn rufen, wenn sie versucht werden (4, 395, 3–5; 9, 581, 16f.). Es wird kein Christ auf Erden ohne Anfechtung sein: Gott führt uns zur Anfechtung. Wer anfängt, fromm zu werden, wird lernen, dass wir ohne Anfechtung nicht in den Himmel kommen könnten, und so würden wir sie auch überwinden lernen (9, 588, 13–26). Die Anfechtung durch Gott kommt nicht aus unserem Willen, nicht aus Gottes Gebot, sondern aus lauter Gnade, nicht aus Hass, |22|sondern aus Liebe (9, 589, 12f.). Denn alle, die Gott liebt, züchtigt er. Deshalb ist jede Anfechtung ein Zeichen des liebenden Gottes (3, 340,13f.). Gott nimmt niemanden als gerecht an, den er nicht vorher geprüft hat, er prüft nicht anders als durch das Feuer der Anfechtung. Wenn Gott uns nicht durch Anfechtungen prüfte, wäre es unmöglich, dass irgendein Mensch gerettet würde (56, 304, 9–24).

      4. Umgang mit Anfechtung: Im irdischen Leben soll man nicht begehren, aller Anfechtung ledig zu sein, sondern dass man nicht falle und wider seinen Nächsten sündige (2, 125, 32–35; 6, 22, 5–10). Man soll die Anfechtung nicht nur fühlen, sondern in sie einwilligen (30I, 209, 27–35).

      5. Christus hat zu unserem Trost auch selbst die Anfechtung erlitten und überwunden. Er ist ebensowohl angefochten mit dem Tod, der Sünde, der Hölle wie wir (2, 691, 22–26). Die Gemeinschaft Christi mit uns hat einen Austausch zur Folge: Ihn fechten unsere Sünden an, uns beschirmt seine Gerechtigkeit. Denn die Vereinigung mit ihm macht alles gemeinsam (2, 749, 2f.).

      6. Hilfe in Anfechtung: In der Zeit der Anfechtung muss Gott selbst uns zusprechen und mit seinem Wort