Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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im Spätmittelalter der Antichrist mehr und mehr von einer apokalyptischen Gestalt der Endzeit zu einer Personifizierung von Verfallserscheinungen in der |25|Kirche wurde und auch mit dem jeweiligen Papst identifiziert werden konnte (John Wyclif; Jan Hus), wurde er bei Luther seit Mitte 1520 zu einer Charakterisierung der Institution des Papsttums, nicht des einzelnen Papstes.

      1. Seit der Dominanz der antiken Philosophie in der Theologie und dem Entstehen des geistlichen Rechts herrscht der Geist des Antichrists in der Kirche (5, 649f.; 7, 757; 8, 46). Die Kirche hat der Teufel durch den Antichrist auf zweierlei Weise angegriffen: einerseits durch epikuräische Verachtung des Sakraments und Wortes Gottes, zum anderen durch Angst und Verzweiflung des Gewissens, da kein rechter Trost der Gnaden durch Pochen auf Verdienste vorhanden ist (DB 11II, 111, 6–9). Der Antichrist beansprucht das alleinige Recht, die Schrift auszulegen und zwingt die Auslegung aller anderen, sich ihm unterzuordnen. Er hebt nicht offen das Evangelium auf, sondern mit Hinterlist und verborgener Kraft (5, 339, 14–20). Dies tut der Papst (7, 80, 30; 81, 5).

      2. Der Papst ist der in der Schrift angekündigte Antichrist, geht doch all sein Wesen, Werk und Vornehmen gegen Christus, um nur Christi Wesen und Werk zu zerstören (6, 434, 3–17; 7, 242, 15–17). Der Papst handelt unter dem Namen Christi, dessen Statthalter er sich zu sein rühmt, gegen die heilige Schrift (8, 167, 17–22). Nicht der Papst als Person ist der Antichrist, wohl aber sein Amt.

      3. Hilfe gegen den Antichrist: Christus, der nun wieder sein Evangelium an den Tag gebracht hat, zerstört das Reich des Antichrist (11, 395, 11–13). Durch die Taufe werden die Christen Glieder Christi und erringen den Sieg über den Antichrist (26, 148, 3–5).

      📖 Volker Leppin, Luthers Antichristverständnis vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Konzeptionen, in: KuD 45 (1999) 43–68. Hans Preuß, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik, 1906. Ingvild Richardsen-Friedrich, Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jahrhunderts, 2003. Gottfried Seebaß, Die Antichristvorstellung in der Reformation 1. Luther, in: TRE 3, 1978, 28–31.

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      Apostel

      1. Wesen: Die Apostel sind die ersten Lehrer der Gnade (3, 115, 11f.). Der Apostel ist gesetzt zwischen Gott und die Menschen. Für Gott ist er Diener, den Menschen ist er der Vermittler der Geheimnisse Gottes: damit dient er Gott, dass er das Evangelium predigt, und darin vermittelt er das Geheimnis, dass er predigt (7, 495, 1–4; 10I.2, 123, 3–5). Wer dem anderen das Evangelium lehrt, der ist wahrlich sein Apostel und Bischof (10II, 301, 27f). Die Apostel haben durch ihr Sterben und Blutvergießen das Evangelium bestätigt (17II, 253, 10–13). Ihre Lehre ist der reine Glaube, denn sie haben von dem Herrn selbst das Evangelium empfangen und wurden dadurch freie, gläubige Menschen und ohne alle Werke gerechtfertigt (10I.1, 426, 20–427, 3).

      2. Funktion: Die Apostel predigen allein von der Gerechtigkeit, die Gott in uns wirkt, und gar nicht die Gerechtigkeit, die die Menschen vermögen zu wirken (1, 215, 33–35; vgl. 9, 522, 11–24). Sie predigen und lehren nichts anderes als Christus, nicht ihre eigene Lehre oder Menschengebote; denn das Evangelium lehrt nur zu Christus zu kommen und Christus recht zu erkennen (10I.2, 53, 21–23).

      3. Amt: Alle Apostel, Bischöfe, Priester und der ganze geistliche Stand sind allein um des Wortes willen berufen und eingesetzt (7, 22, 19–22). Das Amt eines rechten |26|Apostels ist, dass er von Christi Leiden und Auferstehung und Amt predige und den Grund desselben Glaubens lege (DB 7, 385, 22–24).

      4. Lehre: Alles, was die Apostel gelehrt und geschrieben haben, das haben sie aus dem Alten Testament gezogen; denn in demselben ist alles verkündigt, was in Christus zukünftig geschehen und gepredigt werden sollte. Denn das Neue Testament ist nicht mehr als eine Offenbarung des Alten (10I.1, 181, 15–25). Die Lehre der Apostel ist das eine Evangelium, auch wenn es vier Evangelisten und vier Evangelien gibt (12, 259, 5–8).

      5. Rang: Petrus war der erste der Apostel, aber er hatte keine Autorität über sie, eher umgekehrt hatten die Apostel Autorität über Petrus (2, 203, 5–7). Kein Apostel ist über den anderen gesetzt, sondern allein von Gott ist jeder gleich dem anderen berufen und eingesetzt (2, 235, 27f.). Was auch immer die Person der Apostel sei, ihr Amt ist sicherlich dasselbe und bei allen gleichwertig: sie lehren denselben Christus, haben dieselbe Gewalt, sind von demselben gesandt (2, 471, 35–37). Alle Apostel hatten dieselbe Berufung zum selben Evangelium. Alle waren göttlich belehrt und berufen, d.h. sowohl die Berufung als auch der Auftrag aller Apostel war schlechthin unmittelbar von Gott (40I, 186, 25–30).

      6. Schwäche: Auch die heiligen Apostel im Evangelium, und besonders Petrus, waren schwach im Glauben (6, 234, 12f.; vgl. 17II, 26, 38–27, 4).

      7. Maßgebliche Zeit war die Zeit der Apostel, da die Christenheit am besten stand (6, 256, 21f.).

      8. Christus als Apostel: Jesus Christus ist ein Prediger, Lehrer, Apostel, Bote gewesen und von Gott nur zu dem jüdischen Volk geschickt worden (10I.2, 87, 19–21). Er ist ein Apostel, das ist der höchste Bote, der in die Welt gesandt ist (16, 84, 30f.).

      📖 Bernt T. Oftestad, Evangelium, Apostel und Konzil, in: ARG 88 (1997) 23–56.

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      Arbeit

      1. Wesen: Luther sagt nicht, dass niemand arbeiten und Nahrung suchen soll, sondern nicht sorgen, nicht geizig sein, nicht verzagen, er werde genug haben, denn wir sind in Adam alle zur Arbeit verurteilt (6, 271, 33–35; vgl. 2, 115, 33–39). Wie der Mensch durch die Sünde im Geist fiel, so fiel er auch im Leib in Strafe. Denn die Arbeit ist Strafe, die im Zustand der Unschuld Spiel und Vergnügen war (42, 78, 19–21). Aber der Mensch ist nicht zum Müßiggang, sondern zur Arbeit geschaffen, auch im Zustand der Unschuld (42, 78, 26f.). Arbeit wird in der Schrift als Sünde verstanden, weil sie die Seele betrübt und ermüdet. In Sünden und gemäß dem Fleisch leben ist Arbeit und Tod des Gewissens (3, 309, 1–27).

      2. Sinn: Wir sind nicht zum Müßiggang berufen, sondern zur Arbeit als Kampf gegen die Leidenschaften (56, 350, 8f.). Darum hat Gott mancherlei Stände verordnet, in welchen man sich üben und Leiden lehren soll, den einen den ehelichen, den anderen den geistlichen, den andern den regierenden Stand, und allen befohlen, Mühe und Arbeit zu haben, dass man das Fleisch töte und gewöhne zum Tode (2, 734, 24–28; 6, 246, 7–11). Die Arbeit dient nicht der Rechtfertigung des Menschen vor Gott (7, 31, 22–25).

      |27|3. Gottes Hilfe: Der Christ soll nicht faul und müßig sein, auch nicht auf eigene Arbeit und Tun sich verlassen, sondern arbeiten und doch alles von Gott allein erwarten. Es muss alles im Glauben und Vertrauen zu Gott geschehen (31I, 437, 12–15; 444, 29f.). Wo Gott nicht durch sein Wort alles schafft, so hülfe doch alle unsere Mühe und Arbeit nichts (31I, 446, 11f.). Gott heißt uns arbeiten, und dann gibt er die Frucht nicht um unserer Arbeit willen, sondern aus reiner Güte und Gnade (10I.2, 377, 23f.; vgl. 10I.2, 379, 7–10; 16, 263, 28f.; 22, 81, 23f.; 267, 9f.).

      4. Arbeit als Abgott: Wir haben einen anderen Gott, nämlich unsere Arbeit und unser Handwerk (28, 731, 20f.). Mühe und Arbeit heißt die Schrift Abgötterei oder falschen Gottesdienst und was ohne Glauben geschieht (DB 8, 513). Mühe und Arbeit machen den Menschen nicht gerecht vor Gott (5, 241–247. 337f. 346. 419).

      📖 Gerhard Müller, Martin Luther über Kapital und Arbeit, in: Reinhold Mokrosch, Hg., Humanismus und Reformation, 2001, 109–122. Hellmut Zschoch, Sinn und Grenze menschlicher Arbeit nach Martin Luther, in: H. Kasparick, Hg., Die neue Frage nach der Arbeit, 2007, 29–46.

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      Armut

      → Elend

      1. Es gibt drei Arten von Armen, dem Leib nach,