Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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Anfechtung erfährt, bleibt in leiblichen Gedanken und kann deshalb die heilige Schrift nicht recht auslegen (40III, 515, 7–9). Man darf nicht so freveln an Gottes Worten, dass jemand ohne ausdrückliche klare Schriftzeugnisse einem Wort der Schrift eine andere Bedeutung geben wollte, als seine natürliche Bedeutung ist (11, 434, 19–22). Das heißt nicht christlich gelehrt, wenn ich einen Sinn in die Schrift trage und ziehe danach die Schrift darauf, sondern wenn ich zuvor die Schrift klar habe und danach meinen Sinn darauf ziehe (11, 438, 12–14). Den göttlichen Worten darf keine Gewalt angetan werden, sondern sie sollen so weit wie möglich in ihrer einfachsten Bedeutung erhalten bleiben, und, wenn nicht offensichtliche Umstände nötigen, sollen sie nicht außerhalb der grammatischen und eigentlichen Bedeutung verstanden werden, damit nicht den Gegnern Gelegenheit gegeben werde, mit der ganzen Schrift zu spielen (6, 509, 8–12). Die Aussagen der heiligen Schrift dürfen nicht so verstanden werden, dass sie das eine sagen, das andere aber meinen (11, 434, 30–435,4). Eine solche figürliche Interpretation entzöge der heiligen Schrift ihre Kraft. Aber was geistlich gedeutet wird, das soll man immer auf den Glauben an Christus und aufs Evangelium beziehen (16, 283, 13f.; vgl. 16, 275, 15–18; 18, 179, 39). Wer die heilige Schrift, das Wort Gottes, falsch auslegt, indem er es seinen Interessen anpasst, verstößt gegen das achte Gebot (1, 506, 17–27). Nichts darf in der heiligen Schrift ausgelegt werden, ohne dass es von der Autorität beider Testamente bestätigt wird und mit ihnen übereinstimmt (4, 180, 11f.).

      2. Methode: Die Schrift kann nicht genug ausgelegt werden, wenn sie nicht durch Beispiele der gegenwärtigen Zeit angepasst und bewährt wird (5, 227, 15f.). Wenn die Väter einen Ort der Schrift auslegen, so tun sie es nicht mit ihrem eigenen Sinn oder Wort, sondern bringen einen anderen Ort herzu, der klarer ist, um also Schrift mit Schrift zu erleuchten und auszulegen (7, 639, 3–11). Man soll nicht leichtfertig Mysterien suchen, bevor man die Historie ausgelegt hat. Darum ist es unrecht, dass man von zweierlei Meinung oder Verstand der Schrift spricht: Der heilige Geist und die Wahrheit sind einfältig und ungeteilt (9, 601, 16–26). Die heiligen Lehrer haben die Weise, die Schrift auszulegen, dass sie helle klare Sprüche nehmen und damit die dunkeln, wankenden Sprüche klarmachen. Es ist auch des heiligen Geistes Weise, mit Licht die Finsternis zu erleuchten (23, 225, 1–3). Wer die Schrift geistlich auslegen will oder in einem verborgenen Sinn, soll vor allen Dingen darauf sehen, dass es sich reime mit dem Glauben oder, wie Paulus lehrt, dass es dem Glauben ähnlich sei (24, 549, 18–32).

      3. Wirkung: Ein falsch verstandenes Wort kann in der ganzen heiligen Schrift Verwirrung stiften (3, 579, 5–7). Die Schrift auszulegen, das ist die edelste, höchste und größte Gabe der Weissagung (17II, 39, 26f.).

      4. Christus als Kriterium: Das Evangelium lehrt nichts anderes als Christus, so hat auch die Schrift nichts anderes als Christus zum Inhalt. Wer aber Christus nicht erkennt, der mag das Evangelium hören oder das Buch wohl in den Händen tragen, aber seinen Verstand hat er noch nicht, denn Evangelium ohne Verstand haben, ist kein Evangelium haben. Die Schrift haben ohne Erkenntnis Christi, ist keine Schrift haben (10I.1, 628, 3–7). Christus hat alle Deutung der Schrift. Alles deutet auf ihn und spricht von ihm (26, 263, 22–27).

      |31|5. Auslegungsinstanzen: Die Papisten lehren, es gebühre die Schrift niemandem auszulegen, als dem Papst (6, 406, 27f.). Aber dies ist eine frevelhaft erdichtete Fabel, und sie mögen auch keinen Buchstaben aufbringen, womit sie beweisen, dass es des Papstes allein sei, die Schrift auszulegen oder ihre Auslegung zu bestätigen, denn sie haben sich die Gewalt selbst genommen (6, 411, 33–35). Es kann kein rechter Verstand durch eigene Auslegung getroffen werden (14, 31, 15f.). Allein mit dem heiligen Geist kann man die Schrift auslegen und Christus erkennen (30I, 218, 8–12).

      6. Freiheit: Man darf nicht Regel oder Maß, die Schrift auszulegen, vorschreiben, weil das Wort Gottes, das alle Freiheit lehrt, nicht soll noch muss gefangen sein (7, 9, 30f.). Es ist wichtiger, dass jeder Christ selbst die bloße Schrift und lauteres Gottes Wort vor sich nehme, als dass er anderen Auslegungen folge (10I.1, 728, 9–11).

      7. Falsche Auslegung: Wo die Schrift mit menschlichen Meinungen oder erfundenen Glossen vermischt wird, entsteht durch eine verkehrte Auslegung aus dem Evangelium Christi ein bloßes Evangelium des Menschen (2, 465, 26–31). Es ist unfromme Verkehrtheit, dass wir die heilige Schrift nicht durch sich selbst und ihren eigenen Geist, sondern durch die Zufügungen der Menschen lernen wollen, dem Beispiel aller Väter entgegen, und uns in dieser Verkehrtheit der tiefsten Frömmigkeit rühmen (7, 98, 17–20). Die Schrift erlaubt keine Zerwürfnisse oder verschiedene Sinne, sondern die Gedanken müssen mit der Schrift übereinstimmen, nicht die Schrift mit den Gedanken (46, 464, 30–465, 23).

      📖 Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, 1942. Ders., Die Anfänge von Luthers Hermeneutik, in: ZThK 48 (1951) 172–230. Karl Holl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte I. Luther, 1948, 544–582.

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      Äußeres/Inneres

      → Buchstabe/Geist, Mensch

      1. Es gibt drei Arten von Gütern für die Menschen. Die ersten sind äußerlich, wie Geld, Kleider, Äcker, Häuser, Diener, Frauen, Kinder usw. Diese werden äußerlich genannt, weil sie außerhalb des Menschen sind. Die zweiten sind die Güter des Leibes und der Person, wie Gesundheit, Kraft, Schönheit, Ausstattung des Körpers und der Sinne, auch Ruf und Ehre. Diese werden mittlere Güter genannt, weil sie nicht äußerlich außerhalb der Person sind wie die ersten, auch nicht innerlich wie die dritten, sondern in der Mitte zwischen diesen beiden. Die dritten sind geistlich und innerlich, wie Wissen, Tugend, Liebe, Glaube. Diese Güter werden innerlich und geistlich genannt, weil sie nur in der Seele und im Geist sind (4, 590, 11–22). Theologisch wird anders unterschieden: Innerlich ist das, wie wir in uns sind, in unseren Augen, nach unserem Urteil, äußerlich, wie wir bei Gott und seinem Urteil nach sind. Also sind wir äußerlich gerecht, wenn wir nicht aus uns noch aus unseren Werken, sondern allein nach dem Urteil Gottes gerecht sind. Innerlich aber sind wir Sünder nach der Natur (56, 268, 31–267, 8). In anderer Hinsicht gilt: Das Äußere verändert sich, das Innere bleibt. Nicht in allen Christen ist dasselbe Werk, aber ein Glaube, es gibt viele Gaben, aber nur einen Geist, viele Dienste, aber nur einen Herrn, viele Taten, aber nur einen Gott, der wirkt alles in allem (5, 571, 29–33).

      |32|2. Es gibt eine doppelte Gemeinschaft der Glaubenden: eine innere und geistliche und eine äußere und leibliche. Geistlich ist sie ein Glaube, eine Hoffnung, eine Liebe zu Gott. Leiblich ist sie die Teilhabe an den Sakramenten, also an den Zeichen von Glaube, Hoffnung, Liebe, die dennoch weiter ausgedehnt werden auf die Gemeinschaft der Dinge, des Gebrauchs der Kommunikation (1, 639, 2–7). Nichts ist so fleischlich und äußerlich, dass es nicht, wenn es durch den Geist des Glaubens geschieht, geistlich wäre (2, 509, 37f.). Das Geistliche wiederum ist nichts Äußerliches: Nehmen wir uns den inwendigen geistlichen Menschen vor, so ist es offenbar, dass kein äußerliches Ding ihn frei oder fromm machen kann, denn seine Frömmigkeit und Freiheit wie seine Bosheit und Gefangenschaft sind nicht leiblich noch äußerlich (7, 21, 18–22). Gott richtet nicht nach dem äußerlichen Ansehen und äußeren Formen, sondern nach dem Geist, wie sich der innerlich verhalte (7, 592, 11–13). Ein christliches Wesen unterscheidet sich nicht äußerlich von anderem, sondern innerlich, es gibt ein anderes Herz, einen anderen Mut, Willen und Sinn, der aus dem Glauben kommt (10I.1, 137, 18–22; 10I.2, 339, 30–38).

      3. Alle Werke und Wunder, die Christus sichtbar und äußerlich tut, sollen so verstanden werden, dass sie anzeigen die Werke, die er unsichtbar, geistlich und innerlich bei den Menschen tut (10I.2, 388, 25–27).

      4. Weisheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Tugend sind nicht in uns, sondern in Christus, außerhalb von uns in Gott (1, 139, 34f.).

      📖 Karl-Heinz zur Mühlen, Nos extra nos, 1972. Ders., Innerer und äußerer Mensch, in: ders., Reformatorisches Profil, 1995, 199–207. Jens Wolff, Martin Luthers ‚innerer Mensch‘, in: LuJ 75 (2008) 31–66.

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