Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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man muss auch das Begehren einstellen (1, 439, 21–23). Die Ursünde in uns ist das Begehren des Bösen (56, 277, 12f.). Das Gesetz sagt: Begehre nicht, sondern liebe Gott. Aber wer etwas anderes begehrt und liebt, wie kann der jemals Gott lieben? Diese Begierde ist immer in uns, also ist nie die Liebe Gottes in uns, außer sie werde durch die Gnade eingegeben (56, 275, 9–12). Keiner ist ohne Begierde, wo aber die Begierde ist, ist notwendig die Furcht vor dem Verlust des Begehrten dabei. Alle sind Knechte der Sünde, weil alle Sünde begehen, wenn nicht durch die Tat, so doch durch das Begehren und die Neigung (56, 367, 23–30). Kein Mensch vermag ohne böse Begierde zu sein, er tue, was er will. Daraus lernt er an sich selbst zu verzagen und anderswo Hilfe zu suchen, dass er ohne böse Begierde sei und also das Gebot erfülle durch einen anderen, was er aus sich selbst nicht vermag (7, 24, 1–4). Paulus spricht klar davon, dass die Menschen Fleisch und Geist und zweierlei widerspenstige Begierde oder Lust in sich haben, so dass, obgleich sie gern ohne fleischliche Begierde sein wollten, es doch nicht vermögen. Woher kommt die böse Lust in die Getauften und Heiligen? Ohne Zweifel von der leiblichen Geburt, in welcher solche Erbsünde böser Begierden angeboren wird und bis in den Tod währt, davon wir Streit und Widerstand in unserem Geist haben, solange wir leben (7, 329, 21–27). Nicht allein die Unkeuschheit, sondern alle böse Lust und Begierden werden durch des Fleisches Begierden verstanden, die durch das Fleisch geschehen mögen (7, 335, 13–15). Die Konkupiszenz umfasst nicht nur die Libido, sondern alle anderen lasterhaften Affekte, wie den Hochmut, den Hass, den Geiz, die Ungeduld, aber nicht nur die Affekte des Fleisches, sondern auch die höheren Affekte, wie der Götzendienst, der Unglaube, die Verzweiflung usw. (40II, 84, 17–26).

      2. Das Ziel aller Gebote Gottes ist es, dass wir von aller Begierde befreit werden: wir müssen rein, heilig und unbefleckt sein und keiner begehrenswerten Sache anhängen. Deshalb ist das Evangelium nichts anderes als die Offenbarung und Deutung des alten Gesetzes, denn nicht zu töten, zu zürnen, zu rauben ist wahrhaftig und dem rechten Verständnis nach nichts anderes als nicht zu begehren, keiner Kreatur anzuhängen, sich selbst und seinen Geist zu hassen. Denn diese Begierde ist die Ursache aller Streitigkeiten, Auseinandersetzungen, Kriege, Unruhen in der ganzen Welt. Das Begehren des Guten ist die Wurzel alles Bösen, das Verachten des Guten ist die Wurzel alles Guten. Wer auf das Gute verzichtet, dem erwächst Gutes. Wer das Gute begehrt, den verlässt das Gute (1, 126, 5–17). Das Gesetz reizt die Begierden und den Hass |36|und zeigt sie, aber es heilt sie nicht. Die durch den heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossene Gnade löscht den Hass und die Begierde aus (2, 527, 7–10). Die Gnade Gottes macht nicht nur, dass wir den weltlichen Begierden absagen, sondern auch, dass wir sie los zu sein begehren (10I.1, 43, 1–6).

      3. Die Begierde ist Sünde, so ergibt es sich aus dem Grundsatz des Mose und dem göttlichen Gesetz. Gegen das Prinzip des Glaubens ist die römische Lehre, die Begierde sei keine Sünde, sondern Strafe und Schwäche, und wenn das Fleisch wider den Geist begehrt, sei das nicht Sünde (8, 460, 30–34).

      4. Im Evangelium wird die andere Begierde geoffenbart, d.h. die Liebe und Gnade des heiligen Geistes, durch die die Verderbnis der Natur geheilt wird und der Mensch lernt, Gutes zu tun (7, 504, 9–11).

      📖 Wilhelm Braun, Die Bedeutung der Concupiscenz in Luthers Leben und Lehre, 1908.

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      Bekehrung

      → Buße, Reue

      1. Zu Gott bekehren kann sich niemand, wenn er sich nicht zuvor zu Christus bekehrt hat. Dies ist eine Bekehrung des Geistes und des Willens. Aber dies ist nicht möglich aus uns selbst, wenn wir nicht von Gott erbitten bekehrt zu werden (4, 7, 8–27). Der Bekehrung des Menschen zu Gott geht die Zuwendung Gottes zum Menschen voraus (4, 8, 7–14). Bekehrung ist eine doppelte: unsere zu Gott, die andere die Gottes zu uns. Es ist etwas völlig anderes, wenn Gott sich zu uns kehrt und wenn wir uns zu Gott bekehren. Der Herr fordert die Bekehrung von uns, nicht weil wir sie aus eigenen Kräften leisten könnten, sondern damit wir, unsere Schwäche erkennend, die Wirkung des Geistes erflehen, durch die wir bekehrt werden können. Das ist die Bekehrung des Evangeliums. Denn die Bekehrung ist eine doppelte: des Gesetzes und des Evangeliums. Das Gesetz fordert nur, aber gewährt nicht, erst das Evangelium erfüllt, wenn der Geist hinzukommt, der die Herzen erneuert und dann Gott sich zu uns kehrt, was die Wendung zum Frieden ist, d.h. dass wir nicht nur gerecht sind, sondern voller Freude und uns an der Güte Gottes erfreuen (13, 551, 17–27; 18, 682, 10–20). Wer sich zu Gott bekehrt, dem wird sich Gott zukehren. Aber daraus folgt nicht, dass der Mensch sich aus seiner eigenen Kraft auch bekehrt (18, 681, 3–18; vgl. 23, 505, 1–12).

      2. Seine Sünde, d.h. seine ganze durch die Sünde verdorbene Natur erkennen und sich der Barmherzigkeit Gottes anheimstellen, dies ist der Weg und die Weise, durch die die Gottlosen zu Gott bekehrt werden (40II, 438, 27–35). So bekehrt sich der Mensch, dass er zuerst belehrt wird über seine Sünde, zerknirscht, geistlich getötet im Angesicht Gottes, dann aufgerichtet wird, getröstet, dass er durch einen anderen Glauben gerechtfertigt wird und von seiner Sünde in die Gnade kommen kann. Also ist es notwendig, wenn du dich bekehren willst, dass du erschreckt und getötet wirst, d.h. dass du ein erschrecktes und zitterndes Gewissen hast. Wenn das geschehen ist, dann kann der Trost empfangen werden, nicht als dein Werk, sondern als Werk Gottes. Das ist der Weg der Bekehrung, andere Wege sind Wege des Irrtums (40II, 440, 1–33).

      |37|📖 Marilyn J. Harran, Luther on Conversion, 1983. Dies., The concept of ‚conversio‘ in the early exegetical and reform writings of Martin Luther, 1979.

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      Bekenntnis

      → Zeugnis

      1. Das ist das wahre Bekenntnis, durch das der Mensch Gott die Ehre gibt von der Gerechtigkeit, Weisheit, Kraft und aller Werke, sich aber nichts als Sünde, Torheit, Schwäche zuschreibt, und zwar mit dem Mund, dem Herzen und der Tat (57III, 138, 1–4). Wer will einem Christen Schaden tun oder ihn erschrecken, wenn er glaubt und bekennt, dass sein Herr Christus auch Herr des Todes, der Hölle, der Teufel und aller Kreaturen ist und alles in seinen Händen, ja unter seinen Füßen liegt? (10I.1, 716, 12–717, 9). Diese zwei Stücke sind es, die uns selig machen, Glaube und Bekenntnis des Glaubens. Der Glaube errettet von Sünden, Hölle, Teufel, Tod und allem Unglück. Wenn wir den haben, so haben wir genug, so lässt uns Gott hier leben, dass wir dem Nächsten die Hand reichen und ihm helfen. So will Gott seinen Namen gepriesen und sein Reich gemehrt haben. Darum muss man hier seinen Namen preisen, den Glauben bekennen und die anderen herzulocken, dass das Reich Gottes vermehrt und sein Name gepriesen werde (10I.2, 271, 26–33). Durch Glauben, Bekennen und Leiden wird diesem Leben und der Welt entsagt und allein Gott gelebt (10I.1, 676, 2–4). Dieses Bekenntnis ist ein doppeltes: Zuerst nur mit dem Mund ohne das Herz und die Tat. Zweitens durch den Affekt und die Tat des ganzen Lebens. Auf diese Weise Christus als Gott zu bekennen, heißt, alles von ihm empfangene Gute ihm zuzuschreiben und auf ihn zu beziehen, daher nicht seinen eigenen Ruhm zu suchen noch sich selbst zum Götzen zu machen, sondern alles Gute von ihm zu erwarten und in keinem Geschöpf zu erkennen. Das ist das lebendige und vom Glauben erfüllte Bekenntnis (1, 123, 1–8). Wenn du Gottes Gnade im Herzen erkennst, so ist es unmöglich, dass du solches bei dir allein behältst, du musst solches vor der Welt bekennen, dem Bekenntnis folgt das Kreuz, denn gegen das Bekenntnis legt sich zuerst die Welt, die Klügsten und Heiligsten in der Welt, weil ich durch das Bekenntnis, wie Gottes Güte und Gnade alles allein tue, ihre Weisheit und Heiligkeit zunichte mache und zu Boden stoße, das könnten sie denn nicht leiden, darum wüten und toben sie dagegen, verfolgen sie, die solches Bekenntnis göttlicher Gnade führen (17II, 278, 29–37). Darum mögen sich alle Christen dessen gewiss versehen, dass sie um des Bekenntnisses des Evangeliums willen viel werden leiden müssen, verfolgt, verjagt und endlich auch getötet werden (17II, 279, 32–34). Niemand würde durch uns gebessert werden und zum Glauben gebracht, wenn wir nicht öffentlich das Evangelium bekennten und ein äußerliches Zeichen hätten, daran man könnte wissen, wo und wer die Christen wären (12, 560, 31–35). Es gibt zwei Arten von Menschen, die nicht bekennen, dass Gott gut