Reinhold Rieger

Martin Luthers theologische Grundbegriffe


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dass er über alles regiert (55I, 86, 22–24). Man muss den Glauben stärken wider alle Anfechtungen der Sünde, sie seien vergangen, gegenwärtig oder zukünftig (6, 231, 27f.). Wer an Christus glaubt, der soll keinen Mangel leiden und keine Anfechtung soll ihm schaden, sondern er soll genug haben mitten in dem Mangel und sicher sein mitten in der Anfechtung (17II, 189, 2–4).

      7. Wirkung der Anfechtung: Nach der Prüfung der Anfechtung ist Gott gnädig (5, 165, 18–20). Am Ende der Anfechtung lehrt und bringt der versuchte Glaube, dass wir schmecken und empfinden, wie süß der Herr sei (8, 379, 14–35). Durch Versuchung und Anfechtung wird der Mensch gebessert, damit er mehr und mehr zunimmt in Glauben und Liebe (8, 385, 10–14; 10I.1, 612, 8–13). Darum müssen das Kreuz und die Anfechtung kommen, damit der Glaube wachse und stark werde (10III, 425, 27f.). Der Glaube übt sich in mancherlei Anfechtungen (10III, 427, 11–13). Der Glaube ohne Anfechtungen schläft und der Glaube ist nie stärker als in den stärksten Anfechtungen (16, 234, 7–11). Nach der Anfechtung, wenn der Mensch versucht und bewährt ist, wird er nicht allein mit Gaben der Weisheit und Verstands erfüllt, sondern auch mit dem Geber solcher Gaben, dem heiligen Geist selbst, und ganz vollkommen gemacht und lehrt andere mit Weisheit und Verstand und hilft ihnen geistlich (10I.1, 302, 11–303, 3).

      8. Obwohl der Glaube durch Anfechtung geübt wird, wird er durch sie auch geschwächt: Der Glaube ist nicht allezeit gleich fest, sondern zuweilen angefochten und schwach (54, 33, 9f.). Denn der böse Geist ficht nichts so sehr an als den Glauben (10I.1, 95, 2f.). Deshalb gilt für den Ungläubigen die Umkehrung der paulinischen Aussage, dass Anfechtung Geduld wirke: Die Anfechtung bewirkt Ungeduld, die Ungeduld Schlechtigkeit, die Schlechtigkeit aber Verzweiflung, die Verzweiflung dann die ewige Verwirrung (56, 303, 2–5).

      📖 Horst Beintker, Die Überwindung der Anfechtung bei Luther, 1954. Sven Grosse, Anfechtung und Verborgenheit Gottes bei Luther und Paul Gerhardt, in: Paul Gerhardt und der ‚andere‘ Luther, 2008, 13–32. Otto Hof, Luther über Trübsal und Anfechtung, 1951. Marcel Nieden, Anfechtung als |23|Thema lutherischer Anweisungsschriften zum Theologiestudium, in: ders., Hg., Praxis Pietatis, 1999, 83–102. Friedrich Karl Schumann, Gottesglaube und Anfechtung bei Luther, 1938. Reinhard Schwarz, Martin Luther – Lehrer der christlichen Religion, 2015, 361–380. Michael Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens, in: Christof Landmesser, Hg., Jesus Christus als die Mitte der Schrift, 1997, 127–158.

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      Angst

      → Furcht, Sorge

      1. Wesen: Angst ist eine Enge und Beklemmung in der Anfechtung (56, 196, 26; vgl. 5, 101, 12–15). Der Mensch ist Tyrannen unterworfen, unter welchen er große Not und Angst leidet: der Teufel, das Fleisch, die Welt, die Sünde, das Gesetz und der Tod mit der Hölle, von welchen allen das Gewissen unterdrückt wird (10I.2, 27, 9–14). Wenn der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernt und empfunden hat, so dass ihm Angst wird, wie er dem Gebot genug tue, da das Gebot erfüllt sein muss oder er verdammt wird, so ist er recht gedemütigt und zunichte geworden in seinen Augen, findet nichts in ihm, womit er möge fromm werden. Dann kommt das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusagung (7, 24, 5–10; vgl. 8, 8, 35–9, 2). Wir müssen lernen, dass jeder Christ, wenn er getauft ist und sich zu Christus begeben hat, sich auch darein schicken soll, dass ihm auch begegnen wird Schrecken und Angst, die ihm das Herz verzagt machen (45, 470, 11–14; vgl. 46, 104, 35). Die heilige Schrift sagt, dass das christliche Leben durch Angst zunehmen und von diesem Leben zu dem anderen kommen muss (17I, 195, 34f.).

      2. Hilfe gegen die Angst: Wer in Angst und Widerwärtigkeit kommt und ein neuer Mensch wird, der halte nur stille und lass Gott mit sich machen, der wird es wohl machen ohne irgendein menschliches Zutun (10I.2, 255, 39–256, 2). Gott lässt den Menschen in solcher Angst so tief fallen, dass gar kein Rat noch Hilfe mehr da ist, und will doch, dass wir nicht verzweifeln sollen, sondern dem vertrauen, der aus einem unmöglichen Ding ein mögliches und aus nichts etwas machen kann (10I.2, 386, 19–23). Aus aller Not und Angst herauszukommen ist es notwendig, die Sünden frei zu bekennen. Man muss die Sinne von der Angst kehren und am meisten die Sünde ansehen (19, 215, 1–16). Wir sollten uns daran gewöhnen, sobald uns eine Angst und Not zustößt, nur auf die Knie zu fallen und Gott die Not vorzulegen, nicht mit unseren eigenen Gedanken Hilfe zu suchen (32, 491, 29–32). Darum wird der heilige Geist niemand gegeben als denen, die in Betrübnis und Angst stehen, da schafft das Evangelium Nutzen und Frucht (12, 574, 2f.; 21, 443, 18–20). Das ist sehr tröstlich allen Christen, dass sie wissen: schreien sie in ihrer Angst und Not zu Gott, so wird er sie erhören und aus der Verfolgung erlösen (16, 11, 21–22).

      3. Angst Christi: Das Evangelium ist eine Predigt und fröhliche Botschaft, wie Christus für uns in die Angst des Todes getreten ist, alle Sünde auf sich genommen und sie ausgelöscht hat (10I.2, 236, 27–29).

      📖 Thorsten Dietz, Martin Luthers theologischer Umgang mit Angsterfahrungen, in: Luther 82 (2011) 88–98. Jakob Knudsen, Angst – der junge Mann Luther, 1914.

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      |24|Annehmen

      1. Während für mittelalterliche Theologen die Annahme des Menschen durch Gott entweder dessen Willkür unterworfen war oder bestimmte Bedingungen erforderte, nimmt für Luther Gott den Menschen bedingungslos aus reiner Gnade an: Die Sünder hat Gott durch Christum angenommen (1, 203, 22). Gott nimmt nicht die Person wegen der Werke, sondern die Werke wegen der Person an, also die Person vor den Werken (56, 268, 4–6). Nicht ihre Verdienste sind es, sondern die Christi in ihnen, wegen derer Gott ihre Werke annimmt, die er anders nicht annehmen würde (56, 290, 16–18). Jede gute Handlung ist von Gott angenommen durch die Vergebung und durch Barmherzigkeit. Dasselbe aber ist abgelehnt, also Sünde, insofern es eine Handlung aus der Bosheit des Fleisches ist. Es gibt keine Handlung, die Gott schlechthin akzeptiert, sondern er verzeiht jede unserer Handlungen und schont uns. Wenn er also verzeiht, nimmt er nicht an oder lehnt ab, sondern er verzeiht, und so nimmt er seine Barmherzigkeit in unseren Werken an, d.h. die Gerechtigkeit Christi für uns (1, 370, 17–28). Ohne das göttliche Verzeihen wäre niemand von Gott angenommen (2, 420, 19). Die Formalursache der Rechtfertigung und unseres Heils ist das göttliche Erbarmen, die Anrechnung und Annahme durch Gott (39I, 228, 7–9). Gott nimmt keine Werke an, sondern den Glauben, der die in Christus verheißene Barmherzigkeit ergreift (39I, 238, 4f.; 40I, 233, 16–24).

      2. Christus hat menschliche Natur angenommen, die sterblich und dem schrecklichen Zorn und Gericht Gottes wegen der Sünde des menschlichen Geschlechts unterworfen ist, welchen Zorn das schwache und sterbliche Fleisch in Christus gefühlt und erlitten hat (46, 632, 23–26). Denn er ist darum in die Welt gekommen, hat unsere menschliche Natur angenommen, dass er uns vom Zorn erlöste und zu Kindern Gottes machte und dass wir seine Fülle genießen sollten (46, 650, 14–16).

      3. Christus soll von den Menschen im Glauben angenommen werden (10I.2, 204, 8f.). Christus kommt durch das Evangelium in unser Herz, er muss auch mit dem Herzen angenommen werden (10III, 349, 32f.). Die Christus annehmen, die sollen die Gerechtigkeit und Gewalt haben, dass sie sich rühmen können, Kinder Gottes zu sein (46, 621, 40–622, 1).

      4. In den Sachen, die der Seelen Seligkeit betreffen, soll nichts als Gottes Wort gelehrt und angenommen werden (11, 263, 5f.; vgl. 33, 161, 25–30).

      5. Das Leiden muss um Christi willen angenommen werden: Weil Christus selbst gelitten hat, ist das Leiden zu köstlich geworden, dass seiner niemand würdig ist, und es ist für eine große Gnade anzunehmen und anzubeten (8, 382, 2–4).

      📖 Werner Detloff, Die Lehre von der acceptatio divina bei Johannes Duns Scotus, 1954. Richard Ellsworth Gillespie, Gratia creata and Acceptatio divina in the theology of Robert Holcot, 1974.

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      Antichrist

      Für