Wichtig ist für die anthropologische Fragestellung das Thema der Gottebenbildlichkeit in Gen 1,26f. u.ö. (→ Art. Schöpfung), das curricular fest verankert ist wegen der daraus abgeleiteten Würde des Menschen. Nun verdankt sich das alttestamentliche Konzept dem Transfer altorientalischer Königsideologie auf die gesamte Menschheit.[7] Versteht man aber die Rede vom Menschen als Bild Gottes ohne Kenntnis seines altorientalischen Hintergrunds, z.B. im Sinne einer physischen oder wesensmäßigen Aussage über den Menschen, gerät man in Aporien: Denn der Mensch ist keinesfalls „gottgleich“ gedacht, sondern – |33|ähnlich dem altorientalischen König, der der Öffentlichkeit vor allem in bildlichen Darstellungen als ein Gottessohn zugänglich war[8] – als Stellvertreter bzw. Repräsentant Gottes auf Erden anzusehen, der mit Funktionen und Pflichten ausgestattet war (vgl. Herrschaftsauftrag; Gen 1,28 f.Gen 1,28f.).
Diese an das altorientalische Bildverständnis rückzubindende Bedeutung eignet sich in religionspädagogischer Hinsicht ausgezeichnet, um z.B. die in zahlreichen Unterrichtseinheiten formulierte Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch über ein besonderes Bildverständnis zu präzisieren (s. unten „Gottesbilder“ und → Art. Bibel und Kunst).
Die anthropologischen Aussagen erschöpfen sich aber nicht in königsideologischen Anleihen. So ist die Verfasstheit menschlicher Existenz in ihrer Geschöpflichkeit und Begrenztheit literarisch und ikonographisch gut belegt. Die Menschen- (wie die Tier-)Schöpfung wird in Gen 2,7 f.Gen 2,7f.19Gen 2,19 u.ö. als Formung aus dem Staub/Stoff der Erde beschrieben, zu dem die Kreatur am Ende auch wieder zurückkehren wird (Gen 3,19Gen 3,19; vgl. Ijob 10,9Ij 10,9 oder Gilg. XI,133Gilg. XI,133).[9] Der irdene Stoff bedarf zudem des göttlichen Atems zur Belebung (Gen 2,7), welcher ihm von Gott auch wieder genommen wird (Ps 104,29), um dem Leben ein Ende zu setzen. Der Mensch ist also von Anfang an als ein sterbliches Wesen charakterisiert.
Diese im AT weit verbreitete Vorstellung knüpft an Altorientalisches an: Der Mensch erhält neben seinem Körper (vgl. den ägyptischen Mythos von der Geburt des Gottkönigs[10]TUAT III, 9970096>999 [s. Abb.], den sumerischen Mythos von Enki und Ninmach sowie das akkadische Gilgamesch und Atramchasis-Epos[11]), einen göttlichen Anteil, der in ägyptischen Vorstellungen wie in Gen 2 u.ö. als göttlicher „Lebenshauch“ bzw. im Atramchasis-Epos oder im babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma elisch als mit Lehm vermischtes Fleisch (Atr. X,V,38Atr. X,V,38) bzw. Blut (En.el. VI,29–34En.el. VI,290096>34) eines (geschlachteten) Gottes beschrieben ist. Interessant ist, dass sich im Atramchasis-Epos der Hinweis findet, dass durch das Vorhandensein des göttlichen Fleisches im Menschen ein Totengeist (et. emmu) wohnt, der die Zeichen des Todes kundtut (Atr. I,206–230Atr. I,206–230). Der Mensch ist |34|also auch hier zur Sterblichkeit vorherbestimmt und verfügt nicht über eine unsterbliche Seele.[12] Schon die frühe Auslegungsgeschichte von Gen 2f. hat die Prämisse der menschlichen Sterblichkeit umgedeutet, indem sie nicht mit seiner Anlage, sondern als Folge des sog. Sündenfalls begründet wurde (vgl. 4 Esr 7,11–164Esr 7,110096>16; Weish 2,23f.; 1 Kor 15,21 f.1 Kor 15,21f.). Obwohl dies bis heute geradezu selbstverständlich theologisch nachwirkt, entspricht es dem vom Alten Orient geprägten alttestamentlichen Denken nicht. Dass der Tod erst durch den Ungehorsam des/der ersten Menschen in die Existenz trat, ist eine jüngere Interpretationslinie der hellenistischen Zeit (anders aber noch Koh), welche die christliche Theologie nachhaltig prägt. In dem religionspädagogischen Bemühen um eine historisch angemessene Auslegung nimmt der altorientalische Vergleich eine Schlüsselstellung für die Rekonstruktion zentraler anthropologischer Fragestellungen des ATs ein. Die Annahme der ursprünglichen Sterblichkeit des Geschöpfs dient dazu, dessen Differenz und Alterität zum Göttlichen hervorzuheben. Sie hilft zudem zwischen nichtchristlichen und christlichen Religionen zu vermitteln, die verschiedene Vorstellungen von Tod und Jenseits erkennen lassen.
Reliefausschnitt aus dem Geburtshaus des Tempels in Dendera (röm. Zeit)
(Abb. nach Keel/Schroer, 2002, 122)
|35|Von der Alterität von Gott und Mensch handelt ein weiterer Vergleichspunkt mit dem Alten Orient, nämlich die Frage nach dem Ziel der Menschenschöpfung. Während die Rede von der Gottebenbildlichkeit in Gen 1 die Stellvertreterfunktion unterstreicht, beschreibt Gen 2f. die Funktion des Menschen im Bebauen und Bewahren. Dass Arbeit im Alten Orient als eine Grundkonstante menschlicher Existenz begriffen wurde, findet sich anschaulich in verschiedenen mesopotamischen Texten belegt: Die Menschen werden infolge eines Streits zwischen den Göttern geschaffen, wer für den im kargen Mesopotamien unabdingbaren Kanalbau zur Bewässerung der Felder zuständig ist.[13]Atr. I, 1700096>195En.el. VI,50096>8.TUAT III/3f. Auch in der mesopotamischen Königsideologie wird diese Bestimmung bildlich zum Ausdruck gebracht, wenn der König, dessen wichtige Pflicht zahlreichen Texten nach der Bau und Erhalt von Tempeln ist, selbst als Korbträger dargestellt wird.[14]
Innerhalb der stark ausdifferenzierten Götterhierarchie Mesopotamiens sind die Menschen also als Handlanger der Götter geschaffen, mit dem Ziel, den Frieden im Pantheon zu sichern. In Gen 2f. ist die Arbeit im Gottesgarten zwar ebenfalls Thema, doch handeln erst die Fluchsprüche in Gen 3,1–18Gen 3,10096>18 von deren Mühsal und Beschwernis. Davor ist Arbeit an keiner Stelle negativ konnotiert. Wenn auch das Ziel des Menschen zur Arbeit in den Traditionen übereinstimmt, so ist die Bewertung verschieden. Der alttestamentlichen Anthropologie nach hat der Mensch einen relativen Eigenwert gegenüber (dem einen) Gott. Religionspädagogisch lassen sich aus einem Vergleich Überlegungen zur Frage nach dem Sinn des Lebens/Sinn von Arbeit in Verbindung mit aktuellen Problemen wie Exklusion, Arbeitslosigkeit etc. ableiten.
Gottesbilder
Das christliche Verständnis des alttestamentlichen Gottesbildes ist vordergründig durch einen heilgeschichtlichen Zugang geprägt[15], der Gottes Geschichte mit Israel als eine Etappe der Verheißungs- bzw. Befreiungsgeschichte mit den Menschen charakterisiert. Erzeltern, Exodus, Landgabe- bzw. Landnahmegeschichte, Königsgeschichte bis hin zum babylonischen Exil werden in der religionspädagogischen Umsetzung als Folie verwendet, um einerseits den individuellen Lebensweg mit seinen Hoffnungen und Ängsten im Vergleich z.B. mit den „großen biblischen Gestalten“ zu beschreiben und andererseits die Bewältigung von Übergängen im Rückgriff auf das kollektive Gedächtnis (→ Art. Erzählen) zu thematisieren. Die alttestamentliche Heilsgeschichte hält zur Beschäftigung mit der Bibel als „Ur-Kunde christlichen Glaubens“ an, wobei die kulturelle Rückbindung an den Alten Orient daran erinnert, dass ein linear auf das NT zulaufendes heilsgeschichtliches Konzept fehlgeht. Stattdessen bietet es sich an, das im AT wie im gesamten Alten Orient verbreitete zirkulare Geschichtsdenken |36|aufzugreifen, wie es z.B. im Themenkreis von „Schöpfung, Flut/Zerstörung und Neuschöpfung“ sowohl in der Urgeschichte als auch im prophetischen Denken (z.B. DtJes) begegnet. Momente der mythischen wie der historischen Geschichte dienen als Paradigma der anhaltenden und sich in neuen Situationen wiederholenden Treue Gottes in Krisenzeiten.[16] Der Rückgriff auf die Heilsgeschichte des Volkes ist auch in den Vertrauensschilderungen der individuellen Klagepsalmen zugegen (Ps 22,5Ps 22,5), um der Hoffnung des Beters auf Wendung seiner persönlichen Not Nachdruck zu verleihen. Religionspädagogische Zugänge wie Bibliodrama und Bibliolog greifen den Gedanken der Reaktualisierung auf der Grundlage eines zirkulären Geschichtsbildes konzeptionell auf.
Der Alte Orient ist bezüglich des biblischen Gottesbildes außerdem wichtig für die Verhältnisbestimmung von Bild und Bilderverbot (→ Art. Bibel und Kunst). Verschiedene Unterrichtseinheiten sehen z.B. im Themenkomplex „Reformation“ vor, die kulturgeschichtlichen Auswirkungen des Bilderverbots in den Blick zu nehmen. Zuletzt unterstrichen aktuelle gesellschaftliche Konflikte (z.B. Karikaturenstreit) die Relevanz des Themas: Wie steht es um konkrete Gottesbilder, religiöse Symbole und die religiöse Bildsprache in den monotheistischen Religionen? Wie steht es um das Verhältnis von Bild und medial aufbereitetem Machterweis (religiöse Repräsentanz)? Der reformatorische Bildersturm, die kultisch geforderte Bildlosigkeit im Islam oder auch die deuterojesajanische Kritik an den aus der Umwelt bekannten Götterbildern (Jes 44Jes 44) zeigen verschiedene Facetten