Faktenwissen versteht man einfache Rechnungen mit einstelligen Operanden, die von geübten Rechnern meist direkt aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden können.
3 Zahlenmodule / -codes
Triple-Code-Modell: Das Triple-Code-Modell von Dehaene (1992; Dehaene / Cohen 1995) enthält – ebenso wie das Modell von Mc-Closkey und Autoren – unterschiedliche Komponenten für unterschiedliche Repräsentationsformen von Zahlen und Mengen, die hier als unterschiedliche „Codes“ bezeichnet werden (s. Abb. 1.2). Die visuell-arabische Zahlenform ist für die Verarbeitung von arabischen Zahlen zuständig, die verbal-(phonologische) Zahlenform verarbeitet dagegen gesprochene und geschriebene Zahlwörter. Die dritte Komponente der analogen Größenrepräsentation ist bei all jenen Zahlenverarbeitungs- und Rechenprozessen involviert, die auf die Numerosität von Mengen oder Zahlen zugreifen. Anders ausgedrückt repräsentiert diese Komponente die eigentliche Zahlensemantik, also das Wissen um die numerische Größe bzw. Mächtigkeit einer Menge oder Zahl. Beim kompetenten Erwachsenen interagieren diese drei Codes, wann immer Zahlenverarbeitung stattfindet. Jede dieser Komponenten kann aber laut Dehaene auch spezifisch beeinträchtigt sein, so dass bei Beeinträchtigung der analogen Größenrepräsentation Zahlenlesen (Übersetzung einer arabischen Zahl in ein Zahlwort) oder Zahlenschreiben (Übersetzung eines Zahlworts in eine arabische Zahl) noch möglich sein sollte, ohne dass die Bedeutung der Zahlen bzw. deren Numerosität erfasst werden könnte.
Abb. 1.2: Das Triple-Code-Modell von Dehaene (1992)
Unterschiede zum McCloskey-Modell
Mit der Annahme der funktionellen Unabhängigkeit der drei Zahlenformate unterscheidet sich Dehaenes Triple-Code-Modell vom Rechenmodell von McCloskey und Autoren, das besagt, dass jede Zahlenverarbeitung zu einer automatischen Aktivierung der internalen semantischen Größenrepräsentation führt. Ein weiterer Unterschied zwischen den zwei Modellen ist deren Implikation für die Organisation bzw. die Verarbeitung von Rechenoperationen. So gibt es im Gegensatz zum Mc-Closkey-Modell beim Triple-Code-Modell keine separate Komponente für Rechenleistungen. Vielmehr werden Leistungen der Zahlenverarbeitung und des Rechnens der Komponente zugeordnet, auf deren Repräsentationsform sie basieren. So erfordert schriftliches Rechnen mit mehrstelligen Zahlen den kompetenten Umgang mit arabischen Zahlen und ist somit der visuell-arabischen Zahlenform zugeordnet. Zählen sowie arithmetisches Faktenwissen (Addition und Multiplikation) sieht Dehaene als vorwiegend verbale Leistungen und ordnet sie daher der verbal-phonologischen Zahlenform zu. Die analoge Größenrepräsentation ist die Grundlage von approximativen Rechenprozessen wie Schätzen, Größenvergleich oder dem Subitizing (ein spezieller Zählmechanismus im kleinen Zahlenraum, s. Abschnitt 2.3.1)
Im nächsten Abschnitt werden die wichtigsten Erkenntnisse zur numerischen Kognition dargestellt, auf denen diese beiden Modelle basieren.
1.5 Zentrale Komponenten der arithmetischen Verarbeitung
Im Gegensatz zu den frühen neurologischen und klinisch-neuropsychologischen Arbeiten, die meist unsystematische und eher anekdotische Fallbeispiele berichten, beruhen die Erkenntnisse der modernen Kognitionspsychologie auf sehr detaillierten und systematischen Untersuchungen von Denkprozessen und kognitiven Fähigkeiten (Shallice 1988).
An einem einfachen Beispiel sei dies illustriert: Wenn man ein 6-jähriges Kind und einen Erwachsenen bittet, die Aufgabe „4 + 2“ zu lösen, so werden beide Personen diese Rechenaufgabe richtig lösen. Erst die exakte Erhebung der Bearbeitungszeit zeigt, dass das 6-jährige Kind viel länger braucht, um das Ergebnis zu produzieren als der Erwachsene. Daraus lässt sich schließen, dass das Kind beim Lösen dieser einfachen Rechenaufgabe komplexe, mehrstufige Lösungsprozesse in Anspruch nehmen muss (z. B. Rechnen mit Hilfe der Finger). Die meisten Erwachsenen müssen für das Lösen derselben Rechenaufgabe nicht auf rechnerische Denkprozesse zurückgreifen, sondern können die Aufgabenlösung (6) spontan nennen.
multikomponentielle Verarbeitung
Eine zentrale Erkenntnis dieser Forschungsrichtung ist, dass die arithmetische Verarbeitung multikomponentiell ist, sich also aus zahlreichen Teilkomponenten zusammensetzt. Zu unterscheiden sind die Komponenten der Zahlenverarbeitung im engeren Sinn (Lesen / Schreiben arabischer Zahlen, Vergleichen arabischer Zahlen etc.) einerseits und der Rechenfertigkeiten (Kopfrechnen, schriftliches Rechnen etc.) andererseits. Diese beiden Komponenten lassen sich in jeweils weitere Subkomponenten zerlegen, die im Folgenden im Detail dargestellt werden.
1.5.1 Basisnumerische Verarbeitung
Der Begriff basisnumerische Verarbeitung bezeichnet basale und für den Erwerb arithmetischer Kompetenzen grundlegende numerische Fertigkeiten.
Auf den ersten Blick scheint Zahlenverarbeitung sehr simpel zu sein. Schließlich führen kompetente Erwachsene entsprechende Prozesse x-mal am Tag automatisiert aus, ohne sich darüber weitere Gedanken zu machen. Die im Folgenden dargestellten detaillierten kognitionspsychologischen Analysen machen allerdings deutlich, dass es sich um einen komplexen Prozess handelt, der das effiziente Zusammenspiel einer Mehrzahl von Teilkomponenten erfordert.
Struktur des Zahlensystems
dekadisches Positionssystem
Eine Besonderheit des Zahlensystems ist, dass es auf einem Basis-10-System beruht. Der Aufbau dieses sogenannten dekadischen Positionssystems ist durch eine eindrückliche Regelhaftigkeit charakterisiert. Hervorzuheben ist jedoch, dass das verbale (gesprochene) und das arabische (geschriebene) Zahlensystem in ihrer Grundstruktur nicht identisch sind. Im arabischen Zahlencode ist die Komposition mehrstelliger Zahlen ab der Zahl 11 regelmäßig. In anderen Worten: Bei jeder Folgezahl erhöht sich die Einerstelle um eins (n + 1) und sobald wieder ein voller Zehner erreicht ist, beginnt dieser Prozess (n + 1) von neuem (z. B. 11, 12, 13 etc.; 21, 22, 23 etc. bis 91, 92, 93 etc.). Demgegenüber stellen beim Zahlwortsystem die Zahlwörter von 11 bis 19 eine besondere Wortklasse dar, weil sie nicht dieser regelhaften Komposition entsprechen (z. B. heißt es im Deutschen „elf“ und nicht „eins-zehn“ bzw. „ein-und-zehn“).
Zehner-Einer-Inversion
Eine weitere Besonderheit des deutschen Zahlwortsystems ist, dass die Zahlen von 21 bis 99 durch eine Inkongruenz zwischen Stellenwertsystem (ersichtlich aus der geschriebenen arabischen Zahl) und der verbalen Ziffernabfolge (beim Zahlwort) charakterisiert sind. Diese Unregelmäßigkeit erfordert, dass während des Lesens / Schreibens arabischer Zahlen ein Inversionsprozess stattfindet (die arabische Zahl „23“ entspricht dem gesprochenen Zahlwort „dreiundzwanzig“). Das heißt, deutschsprachige Kinder müssen zusätzlich zum komplexen Stellenwertsystem auch die dem deutschen Zahlwortsystem innewohnende Inversionsregel erlernen, was – zumindest in den ersten beiden Grundschuljahren – manchen Kindern schwerfällt (s. Abschnitt 2.5).
Stellenwertsystem
Die Verarbeitung mehrstelliger arabischer Zahlen erfordert ein Verständnis des Stellenwertsystems (für einen Überblick s. Nuerk / Willmes 2005). Beim Lesen / Schreiben mehrstelliger Zahlen beziehen die (die Gesamtzahl konstituierenden) einzelnen Ziffern ihren numerischen Wert aus ihrer Stellung in der Zahlenfolge. Am Beispiel der Ziffer 929 – und von links gelesen – heißt das, dass die Ziffer 9 einmal einen numerischen Wert von 900 und das andere Mal einen Wert von 9 darstellt.
syntaktische Struktur
Ein weiteres Charakteristikum des arabischen Zahlensystems ist seine syntaktische Struktur. Mehrstellige arabische Zahlen erhalten ihren numerischen Wert durch die Verknüpfung zweier oder mehrerer Ziffern, wobei dem Stellenwert der Ziffer innerhalb der Zahlenfolge eine wesentliche Bedeutung zukommt (29 vs. 92). Die syntaktische Struktur mehrstelliger arabischer