Unterscheidung in die später quantitativ genannte Forschung der Naturwissenschaften (einschl. Medizin) versus der qualitativen Forschung der psychologisierenden Fächer (von der frühen Psychoanalyse bis zur heutigen Musiktherapie) begann die Wissenschaftswelt in naturwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche und (seit Mitte des 20. Jh.) sozialwissenschaftliche Bereiche zu differenzieren, teilweise schmerzhaft zu trennen und zu spalten durch die jeweiligen Ansprüche und Durchsetzungen vermeintlich „wahrer Wissenschaft“.
Des Wissenschaftsphilosophen Gadamers Erkenntnis, dass es keinen wirklich sicheren Zusammenhang zwischen Forschungsmethode und der „Wahrheit von Erkenntnissen“ gibt (1965), hat sich auch dadurch weich etabliert, dass die quantitativen Forschungsansätze (der Naturwissenschaften, hier: Musikmedizin) und die qualitativen Methoden (der Psychologie, hier: Musikpsychologie) heute einander nicht mehr einander widersprechend gegenüberstehen, sondern in gemeinsamen Forschungsthemen einander ergänzen. Beispiel Musikpsychologie:
„Die Frage nach der Häufigkeit des Musikhörens in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen [eine musikpsychologische Frage, Anm. d. Verf.] erfordert die Anwendung quantifizierender Verfahren und statistischer Auswertungsmethoden, während die Frage nach den Gründen für diese Hörgewohnheiten mit diesen Verfahren wiederum nicht zu ermitteln ist.“ (Tüpker 1996, 103)
Solche u. ä. komplexen Fragestellungen der Forschung werden in der Musikpsychologie ebenso inzwischen mit sowohl quantitativen als auch qualitativen Methoden angegangen wie entsprechende wichtige Fragestellungen der Forschung in der Musikmedizin und Musiktherapie.
Aktuelle Situation
David Aldridge stellt in einem Symposium über Grundlagenforschung fest: „Vor mindestens 10 Jahren haben forschende Musiktherapeuten weltweit den Unsinn einer solchen Trennung [von qualitativen und quantitativen Verfahren, Anm. d. Verf.] bereits erkannt“ (2005, 151). Er betont zwar die Notwendigkeit quantitativ klinischer Studien in der Musiktherapie (mit Forschungsinstrumenten der Schulmedizin und der klinischen Psychologie, Anm. des Verf.), um den Forderungen der evidenzorientierten Medizin und damit im Gesundheitswesen zu genügen, bedauert gleichzeitig aber die Vernachlässigung qualitativer Forschung.
quantitativ
und qualitativ
Der heutige Forschungsstand der Musiktherapie-Nachbarn Musikmedizin und Musikpsychologie stellt sich aktuell wie folgt dar: Musikpsychologieforschung, per se der Erforschung der Musikwahrnehmung verpflichtet, hat mit ihrer bisher überwiegenden Methodik empirisch ausgerichteter Wirkungsforschung keine Objektivierbarkeit erreicht.
Anders die Musikmedizin. Sie erreichte mit Computertomografie, Kernspintomografie und vor allem der Magnetresonanztomografie und anderen bildgebenden Verfahren Quantensprünge in ihrer Forschung und arbeitet – neben den musikmedizineigenen Zielen der kausalitätsorientierten Musikmedizin – der Musiktherapieforschung zu. Herausragend erscheint in der musikmedizinischen Forschung das „missing-link-concept“ (Spintge 2000) der Rhythmizität als Brücke zwischen Musik einerseits und Physiologie und Medizin andererseits. Dahinter stand die (erfolgreiche) Suche der Musikmedizin nach biologischen Zeitstrukturen im menschlichen Organismus. Sie entsprechen musikalischen Zeitstrukturen, welche wiederum als Resonanzadresse fungieren.
„missing-link-concept“
Rhythmizität
„Rhythmizität ist dabei definiert als strukturierte Koordination zweier oder mehrerer verschiedener Rhythmen über die Zeit innerhalb eines dynamischen Systems, wobei interaktive Phänomene wie Synchronisation, Kopplung, Verstärkung und Extinktion auftreten.“ (Spintge 2000)
Beispiele für Anwendungsfelder in Forschung und Therapie sind u. a.: Blutdruckpatienten (Hyper und Hypo), Patienten in der kardiologischen Rehabilitation, chronische Schmerzpatienten. Seit Koepchens Forschung ist bekannt, dass alle zentralnervösen Neuronennetze nach diesem Prinzip arbeiten (1992). Über eben dieses Phänomen der Rhythmizität zentralnervöser Steuerungsprozesse wurde die Wirkung musikalischer Reize als Stress- und Schmerzreduktion erklärbar. Eine zentral wichtige Synopse aus der heutigen Musikmedizinforschung ist in Tabelle 4.1 zu sehen.
Tab. 4.1: Musikalische Reize als Stress- und Schmerzreduktion (nach Spintge 2001, 389)
Interdisziplinär unzufällig und Musikmedizin mit Musiktherapie forschungsmäßig verschränkend sind die Korrespondenzen zwischen der Rhythmizitätserforschung in der Musikmedizin und der Entdeckung der Vitalitätsaffekte und der aus ihr folgenden Affektabstimmung (durch z. B. Musik) durch die Analytische Entwicklungspsychologie von Daniel Stern bzw. deren Bedeutung für die Wirkungsforschung in der Musiktherapie durch die Abhängigkeit vom musikalischen Parameter Dynamik (Stern 1992). Musikmedizin und Entwicklungspsychologie geben hier eine neue, technologieunterstützte Sichtweise von der Interdependenz zwischen Rhythmus und Dynamik und deren Bedeutung für die seelischen und körperlichen Antworten des Menschen auf Musik.
Rhythmizität
und Affekt-abstimmung
Ein aktuell stark zunehmender Anteil in der Musikmedizinforschung kommt von den Neurowissenschaften. Deren derzeitige und zu erwartenden Ergebnisse werden nicht nur das „missing-link-concept“ erweitern, sondern bedeuten auch Erklärungsmöglichkeiten der Wirkungsforschung in der Musiktherapie mit ihrer ununterbrochensten Forschungsfragestellung: Warum und wie wirkt Musik im Begleitungsprozess von Patienten? Die Möglichkeiten, via Forschung den emotionalen Schaltplan im Menschen zu organisieren und therapeutisch nutzbar zu halten, besitzen seit Einarbeitung neurowissenschaftlicher Ergebnisse nicht mehr allein die Übertragungs- und Erinnerungstechniken der Psychoanalyse oder neue Psychotherapien als Gesundheitswissenschaft, die sich immer auch aus den Wurzeln schamanistischer Heilungsrituale nähren.
Beitrag der
Neurowissen-schaften
Denn Erinnerungen, reinszenierte Bilder aus der Vergangenheit und Imaginationen (allesamt auch besonders evozierbar durch Musik als ältere Kommunikationsform als die Sprache) sind ebenso laut aktueller neurowissenschaftlicher Forschung (Arbeit mit der Positronen-Emmissions-Tomografie, PET) begabt und geeignet, Schaltstellen des Gehirns zu beeinflussen, zu modifizieren – wie die Ereignisse in der äußeren Realität. Oder kurz gefasst: Simulierte Realität tangiert, beeinflusst und steuert unser Gehirn in denselben Regionen wie die nicht simulierte Realität (Baer 2005; Kunz 2001).
bildgebendes
Verfahren PET
Ausblick
Jetzige kurz- sowie mittelfristig geplante Forschung von Musikmedizin und Musikpsychologie wird sich an folgenden Gegenwartsforderungen orientieren: Das künftige, finanzierbare Gesundheitswesen wird zunehmend mehr auf Gesundheitssupportiven, auf gesundheitsunterstützenden und -verstärkenden Methoden in Therapie und Medizin aufgebaut sein, mit gleichzeitig sich reduzierenden Systemen für die stationären Behandlungsformen des erkrankten Menschen. Dabei wird den künstlerischen Therapien und aufgrund deren voranschreitender qualitativer und klinischer Forschung zunehmend mehr die Rolle zuwachsen, die James Hillman bereits vor über einem Jahrzehnt formulierte zugunsten der Einbeziehung von Kunst (im Kontext meint Hillman alle Künste): „… die Kunst formt die Verrücktheit [Krankheit; Anm. d. Verf.], statt sie zu unterdrücken“ (Hillman/ Ventura 1993, 188).
Zukunftsforderung
Prävention
Das Jahrzehnt dazwischen ergab eben denjenigen Forschungsschub für die Musiktherapie, eingebunden in Medizin und Psychologie, der sie nicht nur im Hochschulbereich das erkennbare Profil einer Gesundheitswissenschaft schärfen ließ. Durch unsere gewachsene qualitative und zunehmend nun auch klinische Forschung unter Evidenz-Aspekten jedes Gesundheitsberufs haben Musiktherapieforschungen in Verbindung mit Musikmedizin und -psychologie die Aufmerksamkeit