Gold in Norwegen. Im Rahmen von Cochrane Reviews wurden in den letzten Jahren die Wirkweise von Musiktherapie bei Autismus, Depression und Schizophrenie erforscht. Ergebnisse dieser systematischen Übersichtsarbeiten zeigten, dass Musiktherapie zu signifikanten Verbesserungen sozialer Fähigkeiten bei autistischen Kindern führt (Gold et al. 2006) und depressive Symptomatik signifikant zu reduzieren vermag (Maratos et al. 2008). Letzteres Ergebnis konnte auch innerhalb einer aktuellen Studie gezeigt werden, die zusätzlich zu einer signifikanten Reduktion von depressiver Symptomatik auch eine Verringerung der Angstsymptomatik demonstrierte (Erkkilä et al. 2011).
Effektforschung, Process-Outcome-Forschung
Musiktherapie bei Erwachsenen mit Schizophrenie und schizoformen Störungen bewirkt eine signifikante Verbesserung des allgemeinen Zustandsbildes, der Negativsymptomatik sowie des sozialen Funktionsniveaus. Die qualifizierte Anwendung von musiktherapeutischer Methodik sowie die Anzahl von besuchten Therapieeinheiten scheinen dabei wesentliche Faktoren zu sein, die den Effekt beeinflussen. So wurden signifikante Effekte erst ab einer Stundenanzahl von 20 Einheiten gefunden (Mössler et al. 2011). Dieses Ergebnis stimmt mit jenen Resultaten überein, die Gold et al. (2009) in einer Dosis-Wirkung-Studie fanden. Diese Übersichtsarbeit zeigte, das mittlere Effekte von Musiktherapie auf das allgemeine Zustandsbild, die Negatvisymptomatik und das soziale Funktionsniveau erst ab einer Frequenz von 16 bis 24 besuchten Therapieeinheiten auftreten. Spezifische Wirkfaktoren scheinen in der Musiktherapie eine wesentliche Rolle zu spielen (Danner/Oberegelsbacher, 2001) und Forschung konzentriert sich neuerdings auf die Anwendung musiktherapeutischer Techniken als Outcome-Prädiktoren (Mössler et al. 2011). Gold et al. (2007) fanden in diesem Zusammehang bereits, dass die Vewendung musiktherapiespezifischer Techniken (z. B. freie Improvisation) zu besseren Ergebnissen in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen führt, als die Verwendung nicht-spezifischer Techniken (z. B. freies Spiel).
Am Ende dieses Kapitels soll nun ein ausführlicheres Beispiel zeigen, wie ein musiktherapeutisches Forschungsdesign aussehen kann. Dieses Projekt wurde im Rahmen einer der frühen musiktherapeutischen Dissertationen durchgeführt (Timmermann 1999a). Es orientiert sich an bewährten und anerkannten Methoden aus der Psychotherapieforschung.
Die aktive Musiktherapie geht von der Hypothese aus, dass in musikalischem Ausdruck und Interaktionsverhalten Persönlichkeit und Probleme eines Patienten erkennbar und bearbeitbar werden können. Um diese Hypothese zu prüfen, wurde danach gefragt, ob externe Beobachter in der Tat aufgrund von videografierten Ausschnitten aus einer Musiktherapie in der Lage sind, Aussagen über den Patienten zu machen, und inwiefern sich dabei Experten und Laien unterscheiden. Eine zehnstündige einzelmusiktherapeutische Intervention wurde auf Video mitgeschnitten. Der Patient litt unter einer narzisstisch-schizoiden Persönlichkeitsstörung verbunden mit einer Fesselsymptomatik. Die bisherigen Therapien waren geprägt durch eine kontrollierende Beziehungsregulation, die sich auch in der Musiktherapie wiederholte. Indem der Patient die musikalische Beziehung abbrach, sobald der Therapeut etwas lauter, schneller oder sonstwie dynamischer spielte, erzeugte er in diesem sukzessiv das Gefühl, „gefesselt“ zu sein, und reinszenierte damit seine eigene Kindheitssituation.
Prozess, Methodenforschung
Der Therapeut verfasste nach jeder Sitzung ein „Affektives Spontan-Protokoll”, später ein ausführliches Protokoll anhand der Videoaufzeichnung sowie Protokolle von den Konsultationen mit einer Kollegin. Aus dem gesamten Videomaterial wurden zunächst alle musikalischen Dialoge herausgeschnitten und codiert. Sodann wählten drei Musiktherapeuten zunächst unabhängig voneinander intuitiv Szenen aus, die sie für klinisch relevant hielten, d. h. die Pathologie des Patienten spiegelten oder Veränderungsprozesse zeigten. Gemeinsam einigten sie sich schließlich auf acht Szenen (Länge jeweils ca. 2 Minuten). Diese Szenen wurden dann 20 Musiktherapeuten, zehn Psychotherapeuten und 20 Laien vorgespielt, die zunächst nach jeder Szene standardisierte und freie Fragen zum Patienten und Therapeuten beantworten sollten. Nach Beobachtung aller Szenen sollten sie noch einmal frei Patient und Therapeut beurteilen.
Die Auswertung der standardisierten Fragen erfolgte durch eine zweifaktorielle Varianzanalyse. Die freien Äußerungen wurden als Inhaltsanalyse, qualitativ, heuristisch und in Form von Kategorien ausgewertet. Die Hypothesen über den Patienten aufgrund der hinlänglich bekannten Pathologie („Hypothesen-Kategorien”) wurden verglichen mit den „Rater-Kategorien”, die sich aus den freien Äußerungen bilden ließen. Der Patient und seine Problematik wurde von den Ratern insgesamt überzeugend erkannt und beschrieben, obwohl sie außer den zusammen etwa 16 Minuten musikalischen Dialogen mit dem Musiktherapeuten keinerlei Informationen über ihn erhielten. Auch die inneren Konflikte des Therapeuten angesichts des Patienten spiegeln sich in den Ergebnissen. Die drei Gruppen urteilen sehr übereinstimmend; der Signifikanz-Test weist keine signifikanten Unterschiede auf. Sie differieren jedoch tendenziell dahingehend, dass die Psychotherapeuten am stärksten die Pathologie des Patienten wahrnehmen, während die Laien diesen am positivsten beurteilen. Die Musiktherapeuten liegen zwischen den beiden Gruppen: Sie sehen mehr Pathologisches als die Laien und mehr Gesundes als die Psychotherapeuten.
Diese Forschungsarbeit zeigt anhand eines praktischen Beispiels, dass und wie im musikalischen Ausdrucks- und Interaktionsverhalten die Persönlichkeit und die pathologischen Strukturen eines Patienten erkennbar und bearbeitbar werden. Sie hat damit einerseits Relevanz für den Nachweis dessen, was in der Musiktherapie geschieht, und zeigt den musiktherapeutisch Arbeitenden bzw. Studierenden, wie dies genau geschieht.
Argstetter, H., Hillecke, T., Bradt, J., Dileo, C. (2007): Der Stand der Wirksamkeitsforschung – Ein systematisches Review musiktherapeutischer Meta-Analysen. In: Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin 28 (1), 39–61
Gold, C. (2009): Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse. In: Musiktherapeutische Umschau 30 (1), 65–68
Kächele, H. (2003): Qualitätssicherung in der ambulanten Musiktherapie – noch einmal … Musiktherapeutische Umschau 24, 5–9
Mössler, K., Fuchs, K., Heldal, T. O., Karterud, I. M., Kenner, J., Næsheim, S., Gold, C. (2011): The clinical application and relevance of resource-oriented principles in music therapy with psychiatric clients. Accepted for publication British Journal of Music Therapy
Petersen, P. (Hrsg.) (2003): Forschungsmethoden Künstlerischer Therapien. Grundlagen – Projekte – Vorschläge. Mayer, Berlin
Smeijsters, H., Rogers, P. (1993): European Music Therapy Research Register. Vol I: Werkgroep Onderzoek Muziektherapie NVKT
Smeijsters, H., Rogers, P., Kortegaard, H.-M., Lehtonen, K., Scanlon, P. (1995): European Music Therapy Research Register. Vol II: Stichting Muziektherapie, Castricum
Wosch, T., Wigram, T (2007): Microanalysis in Music Therapy: Methods, Techniques and Applications für Clinicians, Resesrchers, Educators an Students. Jessica Kingsley Publishers, London/Phildelphia
4Forschungsstand Musikmedizin und Musikpsychologie oder:„Das Gehirn hört mehr als die Ohren“
Daran erkenn ich den gelehrten Herrn,
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.
(Johann Wolfgang von Goethes Mephisto, Urfaust, 1. Akt; dieses Kapitel beschreibt Gelehrsamkeit, die nicht so orthodox-dogmatisch denkt und handelt …)
Musikmedizin und Musikpsychologie sind zwei der Musiktherapie zugehörige Entitäten innerhalb jenes Zeitkontinuums frühesten Einsatzes von Musik