Neben den Protesten im Rahmen der Arbeiterbewegung war es die Studentenbewegung, die wichtige Öffnungen in der Regierung erzwang. Diese wurden vom Informations- und Tourismusminister Manuel Fraga Iribarne vorangebracht, der im Laufe der 1960er-Jahre eine Reihe antiautoritärer Maßnahmen und die Überarbeitung des Pressegesetzes in Gang setzte (vgl. Kornetis, 2008: 256).7 Ab 1967 radikalisierten sich die Studentenproteste an den Universitäten und bis zu Francos Tod nahm die Repression gegen die jungen Oppositionellen durch Verhaftungen, Polizeieinsätze an den Hochschulen und Exmatrikulationen zu.
Die Franco-Diktatur unternahm alle Anstrengungen, um die Hochschulen unter Kontrolle zu halten – schwieriger war es aber, die Gegenkultur zu kontrollieren. Die Ablehnung der ultra-konservativen soziokulturellen Normen begann am Ende der 1950er-Jahre. Durch die jungen Menschen der oberen Mittelschicht verbreitete sich der Pop zunächst durch das Radio und den Musikimport aus Italien und den USA, danach durch Fernsehprogramme wie Escala en Hi-Fi. Einerseits führte die Begeisterung für Gruppen wie El Dúo Dinámico, Los Brincos und Los Bravos zu einem Wechsel in der Musikszene: Anstelle von früher geliebten traditionellen Stilen wie Copla, Bolero und Ranchera hörten die jungen Männer und Frauen Rock und Beat (vgl. Tusell, 2005: 188f.). Andererseits trug die Popmusik zur Aufsässigkeit der jungen Menschen bei, zur allmählichen Frauenemanzipation, zum Austesten von Drogen, zur sexuellen Befreiung und zur Hippiebewegung, die aus dem Ausland kam.8
Die Unterschiede zum Werterahmen der Elterngeneration wurden überdeutlich: Die jungen Spanier trennten sich sowohl vom traditionellen Nationalkatholizismus als auch von der durch die schnelle Industrialisierung geschaffenen Scheinwelt und schmiedeten aus Musik, Mode und freien und unverbindlichen Liebesbeziehungen ihre Protestwaffen gegen die alte Gesellschaft. Es ist damit eher den kulturellen als den politischen Veränderungen zu verdanken, dass diese junge Generation am Geist der Liberalisierung von jenseits der Pyrenäen teilhaben konnte:
Las experiencias que les aportaba el vivir su época, o si se quiere, el pertenecer a la generación de los Beatles emblemáticamente, los distanciaba por fuerza de sus mayores, a quienes les extrañaban sus actitudes y su talante en cambio, sus costumbres y maneras más libres y espontáneas […], sus gustos musicales, sus lecturas, sus aficiones y afecciones… Las inquietudes, expectativas y actitudes ante la vida se manifestaron en una especie clara de ruptura generacional. (Hernández Sandoica et al., 2007: 180; Hervorhebung im Original)
[Die Erfahrungen, die sie auf der Höhe ihrer Zeit machten, oder anders gesagt, die symbolische Zugehörigkeit zur Beatles-Generation, entfernten sie zwangsläufig von den Älteren. Diese wiederum empfanden die Verhaltensweisen und den Willen zum Wandel, die freien Sitten und spontanen Aktionen […], den Musikgeschmack, die Lesetexte, die Vorlieben und Tendenzen der jungen Menschen als fremd. Die Unruhe, die Erwartungen und Lebenseinstellungen zeigten sich in einem deutlichen Generationenbruch.]
Trotz der Einschränkungen bei äußeren Protesten versuchten die jungen Spanier der Mittel- und Oberschicht, ihren Veränderungswillen kundzutun. Dabei wandten sie sich gegen die Komplizenschaft ihrer Eltern mit einem Regime, mit dem sie nicht übereinstimmten. Außerdem hielten sich diese jungen Menschen an ihre politischen und kulturellen Idole, um es derem revolutionären Impetus gleich zu tun und sich auf diese Weise von einer ihrer Meinung nach vielfach in Isolation und sterilem Traditionalismus verharrenden Gesellschaft abzugrenzen. So wurde die junge Generation in den 1960er-Jahren zu einer bedeutsamen Antriebskraft für eine Vision von einem veränderten Spanien.
1.6 Portugal in den 1960er-Jahren: eine Bühne für Utopie
Ähnlich wie Spanien erlebte Portugal während vier Dekaden eine lange Nacht der Diktatur und Unterdrückung. Der sogenannte Estado Novo [Neuer Staat] – die offizielle Bezeichnung des diktatorischen Regimes – wurde 1933 unter der Führung von António de Oliveira Salazar gegründet und orientierte sich an einer faschistischen, autoritären und repressiven Ideologie. Er durchdrang die portugiesische Gesellschaft der 1930er- und 1940er-Jahre, überlebte sowohl den Sturz der totalitären Regime von Hitler und Mussolini als auch die Auflösung der Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg und hielt sich bis zur Nelkenrevolution am 25. April 1974. Während seiner langen Existenz gab es oft Opposition gegen die rückwärtsgewandte, unterdrückende und reaktionäre Politik des Regimes. Dabei waren es vor allem die PIDE (Geheimpolizei) und die Zensur, die unnachgiebig die Bevölkerung kontrollierten und die dunkle Seite des Salazarismus verewigten. Dennoch wurde die Diktatur niemals so sehr erschüttert durch Unruhen, Widerstand und den Willen zur Veränderung wie während der 1960er-Jahre: Dank einer Reihe nationaler und internationaler historischer Ereignisse erlebte Portugal in dieser Zeit wichtige soziokulturelle Erneuerungen.
Am Vorabend der 1960er-Jahre begannen verschiedene Maßnahmen Früchte zu tragen: die Eingliederung Portugals in die Europäische Freihandelszone (EFTA), die Wanderung vom Land in die Städte und die Industrialisierung. Darüber hinaus trugen ein bemerkenswerter wirtschaftlicher Entwicklungsschub, das Anwachsen der Mittelschicht und die Erhöhung des Wohlstandes zu einer zunehmenden Modernisierung der Lebensumstände der Portugiesen bei. Besonders bei den bürgerlichen Eliten in den Großstädten, die gebildeter und mit mehr Kaufkraft ausgestattet waren, zeigte sich diese Modernisierung sowohl in der Möglichkeit, touristische Reisen ins Ausland machen zu können, als auch in der Vergesellschaftung in Cafés und Restaurants. Beide zeigten das Verlangen der Portugiesen, sich dem entwickelteren Europa anzunähern, und die Verbürgerlichung der portugiesischen Gesellschaft, in der sich Nachahmungen von importierten Moden, der Wunsch nach als unsittlich betrachteten Lesetexten und Lust auf abweichende Konsumgüter fanden (vgl. Mónica, 1996: 221).1
Neben dieser allmählichen soziokulturellen Öffnung muss die wichtige Rolle der Medien für das Durchbrechen der Isolierung gegenüber der Wirklichkeit auf der anderen Seite der Pyrenäen hervorgehoben werden: Trotz der Einschränkungen durch die Zensur leisteten die britischen, amerikanischen und französischen Musiksendungen im Radio und die täglichen Sendungen der Rundfunkanstalt Portugals (RTP), die die modernen Tendenzen der Musik, der Mode, des Sports und sogar der Werbung übertrugen, einen entscheidenden Beitrag zu einer Liberalisierung der Verhaltensweisen.2
Die Avantgarde dieser Liberalisierung waren die jungen Menschen, die sich, indem sie eine alternative Sicht auf das Alltagsleben annahmen, der europäischen jungen Generation durch die Kultur des Rock, Twist und yéyé so weit wie möglich annäherten. Außerdem schlossen sie sich den Trends des langen Haarschnitts, der Jeans und der Miniröcke an.3 Bei den einkommensstärksten und intellektuelleren Familien war der Generationsbruch deutlicher, da viele junge Portugiesen die Einflüsse der Unterhaltungsindustrie überwiegend mit ihrer Universitätserziehung verbanden, um die Autorität der Eltern in Frage zu stellen. Dort begann auch das (in)direkte Bekämpfen des geschlossenen Regimes, das seinem offiziellen Motto »Deus, Pátria e Família« [Gott, Vaterland und Familie] und den entsprechenden Werten des Katholizismus, eines totalitären Staates und traditioneller, konservativer Erziehung treu blieb.
Die provozierende Haltung vieler junger Menschen zu den etablierten Familienwerten und die Weltoffenheit der oberen Mittelschicht führten auch zu einer vorsichtigen, eher symbolischen Emanzipationsbewegung. Diese wurde besonders von gebildeten Frauen befürwortet, die sich in der patriarchalischen Gesellschaft des Estado Novo eingesperrt fühlten. Trotz des tief verwurzelten Konservativismus wuchs in den 1960er-Jahren die Zahl der Arbeitsmöglichkeiten für Frauen (vgl. Vieira, 2000: 26). Ebenso wuchs die Zahl der aus der Oberschicht stammenden jungen Frauen, die die Universität besuchten. Diese jungen Frauen hatten zum ersten Mal die Chance, sich intellektuell zu bilden, freie Berufe in der Anwaltschaft oder in der Medizin auszuüben und sich so von der traditionell einschränkenden Rolle der Ehefrau, Mutter und Hausfrau, die von den Vertretern des Regimes bevorzugt wurde, zu befreien (vgl. Mónica, 1978: 275f.). Neben diesen Aspekten muss auch die Verfügbarkeit der Anti-Baby-Pille ab 1962 als ein Meilenstein der Portugiesinnen auf dem Weg der Emanzipation erwähnt werden. Dadurch konnten sie ihr Verhalten in Richtung sexueller Revolution und größerer Unabhängigkeit vom Ehemann weiter profilieren.4
Parallel zu diesen Veränderungen im soziokulturellen Bereich konnten auch in der Politik Neuerungsversuche beobachtet werden. Angetrieben von der zunehmenden Modernisierung des Landes und dem Willen, Portugal aus der Diktatur