den Widerstand vorantrieb. Sie deckte während der 1960er-Jahre auf, dass das akademische System auf eine rückständige Weise funktionierte (vgl. Caiado, 1990: 74), und stand gegen die Repression des Estado Novo auf. 1962 führte das staatliche Verbot, den Tag der Studenten zu begehen, zu unerwarteten Reaktionen und entfesselte eine Reihe von Protesten wie u.a. Vorlesungsstreiks und Demonstrationen, die die erste sogenannte »akademische Krise« auslösten. Sie war ein Meilenstein für den Ausbruch dieser Generation, indem sie den Rahmen für die politische Bewusstwerdung dieser jungen Menschen bildete, die in den folgenden Jahren zu einem der kämpferischsten Teile des Widerstands wurden (vgl. Rosas, 1994: 539). Drei Jahre später, als innerhalb der Studentenorganisationen eine Phase der zunehmenden Politisierung der Jungen begann, wiederholten sich die Proteste mit starker Intensität. Marta Benamor Duarte charakterisiert die Studentenproteste ab 1965 und den Studentenkampf für eine Erneuerung der portugiesischen Hochschulinstitutionen folgendermaßen:
As possibilidades de agitação visível para fora da faculdade estavam seriamente limitadas pela violência policial; lá dentro vivia-se numa instituição caduca e incompatível com o processo desenvolvimentista do país. Assim, havia que continuar a contestar, mas a contestar a própria universidade e o que ela representava na realidade – a perpetuação do fabrico de ideólogos de um regime autoritário, insensível às necessidades da população em geral. E contestar a universidade era indagar da validade do que se ensinava nas salas de aula e da legitimidade de quem ensinava. Nascia a contestação pedagógica e robustecia-se a crítica de fundo ao regime. (Benamor Duarte, 1996: 644)
[Die Möglichkeiten eines in der Öffentlichkeit sichtbaren Protestes waren durch die Polizeigewalt stark eingeschränkt; innerhalb der Fakultät lebte man in einer überalterten und insofern mit dem Entwicklungsprozess des Landes nicht mehr übereinstimmenden Institution. So musste weiterhin protestiert werden, und zwar protestiert gegen die Universität selbst und gegen das, was sie repräsentierte: die ewige Produktion von Ideologen eines autoritären Systems, unsensibel gegenüber den allgemeinen Bedürfnissen der Bevölkerung. Der Protest gegen die Universität umfasste das Überprüfen des Wahrheitsgehalts der Dinge, die in den Seminarräumen gelehrt wurden, und auch die Legitimation derjenigen, die lehrten, stand auf dem Prüfstand. Es kam zu pädagogischem Widerstand und die Kritik am Regime wurde stärker.]
1969 lernte jedoch das Regime, von Coimbra ausgehend, die größte »akademische Krise« kennen: Examensboykotte, Aussperrungen aus den Fakultäten und Massendemonstrationen richteten sich nicht nur gegen die elitären Strukturen der Hochschulen, sondern auch gegen die autoritäre Politik des Staats und den Kolonialkrieg (vgl. Caiado, 1990: 194).5
Der Kampf gegen den Kolonialkrieg spaltete die portugiesische Gesellschaft während der Diktatur und war immer ein drängendes Anliegen der Studentenbewegung und der »akademischen Krisen« der 1960er-Jahre (vgl. ebd.: 132). Viele Mitglieder der intellektuellen und gebildeten jungen Generation empörten sich über die militärischen Anstrengungen, die in ihren Augen typisch für die Imperialisten und Kolonialvertreter waren.6 Sie sollten sich für eine hoffnungslose Ideologie verpflichtend einsetzen. Aus diesem Grund setzten sich viele junge Menschen für ein Ende dieses Krieges ein, der tausende Opfer kostete, und kritisierten die Unnachgiebigkeit des Diktators, der das koloniale Imperium unbedingt beibehalten wollte (vgl. Vieira, 2000: 24). Trotz der Strafmaßnahmen des Regimes wie Gefängnis, Folter, Exil oder Zwangsverpflichtung bei den überseeischen Kampfeinheiten waren diese Jungen entschlossen, die Gesellschaft zu liberalisieren. So schufen sie einen unüberwindlichen Abgrund zwischen sich und dem Salazarismus.7
Obwohl das Regime gegenüber Veränderungen feindselig und hartnäckig war, konnte es die zunehmende Neigung zur Öffnung, Freiheit und Emanzipation keineswegs aufhalten.8 Ermutigt durch den ökonomischen Fortschritt, die demographische Mobilität, die signifikanten Änderungen der Familienverhältnisse und die politischen Aktionen der jungen Generation gewinnt Portugal neue Hoffnung auf einen ersehnten Wandel. Ende der 1960er-Jahre nahm sie noch zu durch besondere politische Ereignisse.
Im Jahre 1968 bekam Portugal die Nachricht, dass – aufgrund einer schweren Erkrankung des Diktators – Salazar durch Marcelo Caetano als Oberster Führer der Nation ersetzt wurde. Caetano war vom ultrakonservativen Flügel weiter entfernt und gab Anlass zur Hoffnung auf eine gewisse Entspannung des Estado Novo, auf weitere Öffnung und Liberalisierung (vgl. Reis, 1996: 546).9 Mit einem neuen Mann an der Macht glaubten viele an einen bevorstehenden Sturz der portugiesischen Diktatur. Sie erwarteten das Ende der Isolierung und der Rückständigkeit Portugals:
No início da década de 60, só se falava em desenvolvimento, desenvolvimento e desenvolvimento. Os economistas defendiam que o país tinha de se abrir à Europa. […] Portugal iria modificar-se profundamente [ao longo da década; IG]. Alimentado pelas notícias que os emigrantes traziam lá de fora, estimulado pelas séries que a RTP começara a importar, invadido por turistas com hábitos estranhos, o país saía, por fim, da letargia. Quando, em 1968, Salazar caiu da cadeira, os valores que tentara inculcar aos Portugueses estavam moribundos. (Mónica, 1996: 224)
[Am Anfang der 1960er-Jahre wurde nur von Entwicklung gesprochen, Entwicklung und nochmals Entwicklung. Die Wirtschaftler traten für eine europäische Öffnung des Landes ein. […] Portugal sollte sich [während der gesamten Dekade; IG] grundlegend verändern. Durch die Nachrichten, die die Emigranten vom Ausland mitbrachten, angeregt von den von der RTP importierten Serien, geflutet von Touristen mit fremden Sitten, befreite sich das Land endlich aus seiner Lethargie. Als Salazar 1968 stürzte, waren die Werte, die er den Portugiesen einschärfen wollte, dabei abzusterben.]
Während einiger Monate im Jahr 1968 hofften viele in Portugal auf eine Transformation des Regimes.10 Jedoch dauerte es nicht lange, bis der Glaube der Portugiesen an Caetanos Reformwillen verblasste und sie einsahen, dass die Liberalisierungsversprechen sich in seinem Motto »evolução na continuidade« (zit. nach Rosas, 1994: 548) [Evolution in der Kontinuität] verflüchtigen würden. Von 1969 bis 1974 verhärtete sich das Regime gegenüber den Gegnern der Diktatur: Caetano antwortete mit mehr Gefängnis, Exilierungen und Zensur auf den Widerstand der Studenten und auf die Umsturzversuche der oppositionellen Gruppen oder der Militärs. Erst die Nelkenrevolution am 25. April 1974 ließ Portugal aus der langen Nacht der Diktatur aufwachen, in der es bis dahin gefangen war.
1.7 Schlussbemerkungen
Wie deutlich wird, ist die historische Wirklichkeit jedes hier untersuchten Landes ziemlich unterschiedlich. Sie wird durch die zahlreichen Ereignisse gekennzeichnet, die sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene die Art und Weise prägten, wie die junge Generation die Aufbruchsstimmung in Westeuropa im Laufe der 1960er-Jahre (und danach) erfuhr. Diese kaleidoskopische Wirklichkeit wird nicht nur durch die Vielfalt der Protestziele sichtbar (eher mit einem nationalen oder internationalen politischen Charakter oder eher auf die Sitten und Lebensweisen ausgerichtet), sondern auch durch die verschiedenen Protestformen, die von den jungen Deutschen, Franzosen, Italienern, Spaniern oder Portugiesen ausgewählt wurden, um ihren Widerstand auszudrücken.
Im Fall der Bundesrepublik und von Frankreich und Italien manifestiert sich die Neigung der jungen Menschen zur Veränderung der Gesellschaft sowohl auf der politischen als auch auf der soziokulturellen Ebene und es gibt eindeutige Gemeinsamkeiten. Die Jungen – vor allem die Studenten – fordern an den Universitäten zunächst mehr Reformen für eine Modernisierung (besonders der Lehrmethoden und der -inhalte) wie auch mehr Gelder für Bildung und mehr Demokratisierung, indem sie sich gegen die herrschende Atmosphäre von Hierarchie und Autoritarismus (verkörpert in der Figur des Professors) auflehnen. Aber ihr Wille nach Veränderung erstreckt sich auch auf die Politik, weshalb sie auf die Straße gehen und radikale Reformen innerhalb des ihrer Meinung nach zu lahmen, konservativen politischen Apparates verlangen, der es ihnen lange unmöglich machte, am Prozess der Willensbildung und Entscheidungsfindung teilzuhaben. Darüber hinaus – und trotz der Unterschiede zwischen den Ländern – zeigen die jungen Menschen auch einen gemeinsamen Willen, den etablierten Wertekodex herauszufordern, der durch die moralisierende Wertschätzung der sogenannten guten Sitten geprägt wird. Diese Ähnlichkeiten manifestieren sich in der sexuellen Befreiung (freie Liebe, Partnertausch, Beziehungen ohne Verpflichtungen), in der Kultur des Beat und Rock, in der Mode mit Jeans und langen Haaren oder im offenen Umgang mit Drogen