was die Aufzeichnung von Ergebnissen betrifft. Das war anspruchsvoll, aber auch faszinierend. Die wahnsinnige Detailgenauigkeit und die heiklen Voraussetzungen des Experiments an sich – ein Baby überhaupt dazu zu bringen, aufmerksam zu sein, die Mutter hinsichtlich der Elektroden am Kopf des Kindes zu beruhigen – sind schon außergewöhnlich. Und was, wenn die Person, die überprüft, ob die Augen des Babys auf die Fotos gerichtet sind, selbst einmal kurz wegschaut?
Das ist Wissenschaft. Die beharrliche Suche nach geregelten, vergleichbaren, wiederholbaren Bedingungen, damit man etwas immer wieder testen und schließlich mit hinreichender Sicherheit bestätigen kann. Man stellt eine Hypothese auf, die so formuliert wird, dass sie bewiesen oder widerlegt werden kann; in diesem Fall die Hypothese, dass Babys zwischen Männern und Frauen unterscheiden können, oder es jedenfalls tun, und daher schon vor dem Spracherwerb ein Bewusstsein für Kategorien besitzen; und weiterhin die Hypothese, dass Babys sich an ein Foto, das sie einmal gesehen haben, erinnern, und dass sich das an der Reaktion ihres Gehirn ablesen lässt, wenn sie das Foto zum zweiten Mal sehen.
Und so weiter. Hunderte, wenn nicht Tausende von Stunden sind in diese Studien geflossen, von denen jede einzelne auf einer Fülle vorhergehender Studien basiert, die in diesen neuen Studien alle gewissenhaft und wiederholt erwähnt werden, und von denen jede einzelne ein Team engagierter, hochgebildeter Mitarbeiter und teure, hoch entwickelte technische Geräte erfordert. Als ich mich auf den Weg zu meinem Interview mache, bin ich plötzlich verunsichert. Professor Pauen ist eine Autorität. Ich bin bloß ein Typ, der zwar selbst drei Kinder hat, sich an deren kognitive Fähigkeiten im Alter von neun Monaten, oder achtzehn Monaten oder zwei Jahren aber so gut wie gar nicht erinnern kann. Wie können wir normalen Menschen je dahinterkommen, worauf die Wissenschaftler in Sachen Gedächtnis, Wahrnehmung und Bewusstsein tatsächlich hinauswollen? Wäre es nicht besser, sich einfach ihrer Kompetenz zu beugen und sich von ihnen erklären zu lassen, wie das alles zusammenhängt?
Es regnet in Strömen. Meine frühmorgendliche Intuition war also richtig. An der Hotelrezeption stellt man mir freundlicherweise einen Regenschirm zur Verfügung. Ich hatte mir den Weg zum Interview auf Google Maps angesehen, aber jetzt scheinen die Straßen von Heidelberg nicht mit meiner Erinnerung übereinzustimmen. Ich habe kein Smartphone, aber ich habe die Karte auf meinem Computer gespeichert, der sich in meinem Rucksack befindet, eine Strategie, die der Philosoph Daniel Dennett gern als »outsourcing intelligence« (die Auslagerung von Informationen) bezeichnet und für eine der größten Errungenschaften der menschlichen Evolution hält; man übergibt Informationen an eine Reihe von Hilfsmitteln – Bücher, Einkaufslisten, Straßenschilder –, um nicht selbst an alles denken zu müssen und sein Gedächtnis dadurch zu überladen. »Supersizing the mind« (das Gehirn überdimensionieren) nennt es ein anderer Philosoph, Andy Clark.
Also bleibe ich unter einer Ladenmarkise stehen, klappe meinen Schirm zu, hole den Computer hervor und schalte ihn ein. Ich muss ihn mit einer Hand halten, um mit der anderen das Passwort einzugeben. Es dauert ewig, bis er hochfährt. Mir wird bewusst, dass mein rechter Schuh undicht ist. Ich habe diese Schuhe schon ziemlich lange. Ich gehöre zu den Menschen, die nur ungern Sachen austauschen. Mein Fuß wird nass. Dann klingelt mein Telefon. Einiges Jonglieren ist nötig, um es aus meiner Jeanstasche zu ziehen. Jetzt käme mir ein nicht-virtuelles Hilfsmittel gelegen, eine Krücke zum Beispiel. Es ist die Universität von Mailand. Mein Arbeitgeber. Soll ich rangehen? Nein. Komme ich zu spät zu meinem Interviewtermin? Höchstwahrscheinlich. Es gibt Philosophen und Neurowissenschaftler – viele –, die bestreiten, dass subjektive Gehirnzustände existieren. Angst, Schuld, Freude sind nur Wörter, die wir mit verschiedenen Verhaltensweisen verknüpfen. Wenn dieser sogenannte subjektive Zustand nicht mit einem beobachtbaren Verhalten oder zumindest mit einer mittels eines Enzephalogramms oder eines hoch entwickelten Prozesses der Gehirnabbildung objektiv verfolgbaren neuronalen Aktivität in Zusammenhang gebracht werden kann, dann können wir sicher sein, dass er nicht wirklich existiert. Dennoch, während ich mich weiterhin so verhalte, wie die meisten von uns es unter diesen Umständen tun würden, die Karte studiere, meinen Fehler finde – ich bin eine Ecke zu früh links abgebogen –, unter meinem Schirm weiterhaste und meinen undichten Schuh verfluche, ist mir sehr bewusst, dass ich gerade einen unangenehmen Gefühlscocktail erlebe, einen zermürbenden Mix aus Verwundbarkeit, Dummheit und schlechtem Gewissen. Warum ein schlechtes Gewissen? Weil es anmaßend von mir war, zu glauben, ich könnte diese ganzen Sachen je wirklich durchschauen. Und Zorn. Ich verschwende meine Zeit. Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen.
Ist nun diese defätistische Stimmung, die mich beim Überqueren des Innenhofes eines ziemlich prächtigen alten Universitätsgebäudes plötzlich überfällt, ein reales Objekt in der materiellen Welt? Besitzt sie also eine physikalische Existenz, oder besitzt sie die nicht? Wenn ja, ist sie dann das Resultat des Zugriffs eines unseligen Homunkulus auf die Kontrollhebel in meiner Kommandozentrale da oben? Könnte man sie je mit einer schlauen Maschine an einer präzisen Stelle oder an mehreren präzisen Stellen in meinem Schädel verorten und messen? Oder besteht sie eher, wie der Philosoph David Chalmers meint, aus einem mysteriösen X-Faktor, der sich bisher noch jenseits unseres Wissenshorizonts befindet? Wie auch immer sich das verhält, dieses unselige, mit negativen Vorahnungen beladene Gefühl ist für mich jedenfalls äußerst präsent und real – ich fühle mich schlecht, also bin ich –, während ich die Treppe zum dritten Stock des Psychologischen Instituts der Universität Heidelberg hinaufsteige; und das, obwohl ich der Einzige bin, der je genau wissen wird, wie sich das Gefühl angefühlt hat, und obwohl es bis zum Mittagessen höchstwahrscheinlich wieder verschwunden sein wird. All das, und dazu noch mein feuchter Fuß. Ich hasse es, nasse Füße zu haben. Wie auch immer, ich werde mich durch diese miese Stimmung hindurchkämpfen müssen, wenn mein Interview erfolgreich verlaufen soll. Es gibt, so scheint es, ein Ich, oder ein Etwas, das jenseits defätistischer Stimmungen existiert und einfach weitermacht.
Zuerst eine breite alte Holztreppe, dann ein breiter Flur mit Holzboden. Geschliffene Dielen. Alles sehr deutsch. Pauens Tür liegt auf der linken Seite; ich bin sogar fünf Minuten zu früh da. Wie kann das sein? Folgt meine innere Uhr einer anderen Ordnung als die offizielle Uhr, ähnlich wie meine innere Temperatur nie mit der meiner Partnerin übereinstimmt? Der kleine Panikanfall mit dem Computer unter der tropfenden Markise kam mir ewig lang vor, hat aber in Wirklichkeit nur etwa ein oder zwei Minuten gedauert. Wenn das der Fall ist, war dann gar nichts real an meinem Eindruck, dass er lange dauerte?
Da ich das Gefühl habe, hinter der Tür Stimmen zu hören, setze ich mich auf eine Bank im Flur und ziehe noch einmal den Computer hervor, um einen letzten Blick auf meine vorbereiteten Fragen zu werfen. Eine junge Frau kommt und setzt sich neben mich. Ein Paar mit einem weinenden Baby tritt aus einer Tür gegenüber. »Dem Kleinen hat die Fotoerkennungs-Session wohl keinen Spaß gemacht«, sage ich zu der Frau neben mir. »Kann sein«, antwortet sie lächelnd. Es ist großartig, wie umstandslos die Deutschen bereit sind, Englisch zu sprechen. Stellen Sie sich mal vor, Sie sprechen in einer ähnlichen Situation eine englische Person auf Deutsch an und kriegen so eine prompte Antwort.
In den nächsten paar Minuten erzählt mir diese junge Frau davon, wie schwer es ist, die Babys dazu zu bringen, sich auf die Fotos zu konzentrieren. Aber es lohnt die Mühe, weil die Ergebnisse so faszinierend sind, die kleinen Gehirne so empfänglich. Als ein Paar mit einem Kleinkind auf dem Treppenabsatz erscheint, steht sie auf, um die Leute zu begrüßen, und führt sie zu einem Zimmer weiter hinten auf dem Flur. Um Punkt zehn Uhr, genau wie per E-Mail vereinbart, klopfe ich an die Tür, und eine Stimme bittet mich herein. Sabina Pauen ist allein im Zimmer. Hat sie vorhin mit sich selbst gesprochen? Oder war sie am Telefon? Oder habe ich mich getäuscht?
Sie ist eine attraktive Blondine im mittleren Alter mit einem freundlichen Lächeln. Ich setze mich, sodass wir uns über den Schreibtisch hinweg anschauen. Da wir beide nicht an solche Interviews gewöhnt sind, ist die Atmosphäre ein wenig gezwungen. Schon wieder flüchtige subjektive Gefühle; aber wie entspannt kann man sein, wenn man um zehn Uhr morgens mit einer völlig fremden Person eine Diskussion über das Bewusstsein führen möchte? Vielleicht wird jede ernsthafte Reflexion einem Erdrutsch gewöhnlicher Umstände abgetrotzt, kann das sein? Und jedes Buch gegen eine Flut von Ablenkungen geschrieben? Selbst die Wissenschaftler, die die objektive Existenz subjektiver Stimmungen bestreiten, wären gegen schlechte Laune aufgrund einer nassen Socke nicht immun. Obwohl mein eigenes