wie %abkünftig oder zukünftig ist zu sagen, dass sie eher denominal als deverbal gebildet sein müssen, ähnlich wie abkömmlich (2. H. 18. Jh.; vgl. Pfeifer 2000) als DerivationDerivation von dem aufgrund der frühen Idiomatisierung schon vor dem 17. Jh. anzusetzenden lexikalisierten InfinitivInfinitiv gelten sollte. Die geringe Produktivität dieses Musters lässt zudem darauf schließen, dass solche Bildungen in jüngerer Zeit eher der Analogie als einer Wortbildungsregel zuzuschreiben sind. Ähnliches sollte auch für das Muster Abkömmling, Emporkömmling u.ä. gelten.
Produktiv scheinen von diesen Mustern also nur die syntaktischen Bildungen zu sein, jedoch werden sie offenbar nicht sehr häufig lexikalisiert und in den Wortschatz übernommen. Dies wird noch deutlicher bei den Pfx-Vn, zu denen es keine +kunft-Bildungen gibt, allerdings ein einziges Derivat auf -lich mit bekommen2 (etw. bekommt jdm. gut). Außer Entkommen existiert keine Infinitivnominalisierung, während Willkommen die Konversion eines erstarrten Partizips II darstellt (vgl. DWB). Somit ist auch die Infinitivkonversion bei Pfx-V mit komm- nicht sonderlich produktiv.
(57) | Präfixverben |
V | N | A | Infinitivnominalisierung |
---|---|---|---|
be’kommen1 (8. Jh.) | *Bekunft | #bekommen | #Bekommen |
be’kommen2 | *Bekunft | bekömmlich | #Bekommen |
ent’kommen | *Entkunft | *entkömmlich | Entkommen |
%über’kommen | *Überkunft | überkommen (id.) | #Überkommen |
ver’kommen | *Verkunft | verkommen | #Verkommen |
*willkommen | *Willkunft | willkommen | (Willkommen) |
Tabelle 2
Präfixverben
+kunft-Bildungen sind weder regelbasiert, sodass sie bei Pfx-Vn vorkommen könnten, noch scheinen sie ein geeignetes Vorbild für Analogie, das zu Bildungen mit Ptk-Vn in jüngerer Zeit geführt hätte.
Anders ist dies bspw. bei +gabe. Letzteres Morph wird in der NominalisierungNominalisierung des Pfx-Vs verwendet (58a), obgleich diese Art der Substantivbildung mit einer Ablautform wie auch die nach dem Muster von +kunft im Nhd. unproduktiv ist.2 Ebenso wird es mit neueren, semantisch dekomponierbaren Ptk-Vn verwendet (58b), obgleich Nominalisierungen mit -gabe ebenso wenig für die Dekomposition transparent sind (58c) wie die mit +kunft: Das Substantiv Gabe korreliert zwar formal mit dem SimplexSimplex geb-, hat aber keineswegs das gleiche Ereignisdenotat; während sich Rückgaben, Weitergaben, Übergaben etc. ereignen, ist Gabe zumindest synchron betrachtetet ein NOMEN ACTI.
(58) | a. | ein Preis wird vergeben – die Vergabe eines Preises |
b. | Geben Sie das Buch bitte weiter, nicht zurück. | |
c. | #Diese Gabe ist eine Weitergabe, keine Rückgabe. |
3.2 NominalisierungNominalisierung vs. Nominalkomposition
Wie könnte diese Asymmetrie erklärbar sein? Die entscheidende Idee für die Beantwortung dieser Frage wurde bereits von Stiebels/Wunderlich (1994: 923f.; 939f.) selbst vorgebracht, wenngleich sie dadurch nur das Auftreten von Wurzelnomina, die ebenfalls keine produktive Klasse mehr darstellen, bei Nominalformen von Ptk-Vn erklären wollten: Substantive, die eine EntsprechungEntsprechung in Ptk-Vn haben, seien nicht zwangsläufig AbleitungenAbleitung (siehe auch Derivation), sondern semantisch mehr oder weniger parallele Nominalkomposita von Präpositionen oder Adverbien mit einer im Lexikon verfügbaren Wurzel, die alternativ zum produktiven verbalen Lexem verwendet werden kann – also ein Allomorph. Natürlich kann diese Sicht auch auf andere Wortbildungsprodukte nach nicht mehr produktiven Regeln, wie die Bildungen Wurzel(allomorph) + e (Gabe, Suche) oder Wurzel(allomorph) + t (Sicht, Kunft) ausgeweitet werden.
Für diese Analyse sprechen verschiedene Argumente: Da Nominalkomposita immer auf dem Erstglied betont werden (59a), ist der WortakzentWortakzent kein Indiz für ein Ptk-V als Ableitungsbasis (59b); nicht zuletzt existieren auch Nominalkomposita, die auf dem Erstglied betont sind und die eine Parallele in einem Pfx-V haben (59c).
(59) | a. | ’Umweg, ’Vorzimmer, ’Überbett | (Stiebels/Wunderlich 1994: 923) |
b. | ’Umgang, ’Vorstand, ’Übergang | ||
c. | über’nehmen vs. ’Übernahme |
Präfigierte deverbale Substantive sind dagegen nicht auf dem Erstglied betont:
(60) | Ver’gabe, Ent’nahme | (ibd. 924) |
Die Existenz von Nominalkomposita, die parallel zu Ptk-Vn verwendet werden, scheint nicht nur plausibel, weil oft Substantive verwendet werden, deren AbleitungAbleitung (siehe auch Derivation) vom Basisverb intransparent ist – wie z.B. Sicht vs. seh- (61a). Sie ist auch evident, wenn das KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum nicht mit dem Wurzelnomen sondern mit einem ge-präfigierten deverbalen Nomen gebildet wird (61b+c).
(61) | a. | durchsehen vs. Durchsicht: [N durchAdv + sichtN] | |
b | anbieten vs. Angebot: [N anP + gebotN] | (ibd. 939f.) | |
c. | anquatschen vs. Angequatsche: [N anP + gequatscheN] |
Da KompositionKomposition rekursiv durchführbar ist, Iteration von V-Ptkn jedoch nicht möglich ist, existieren zu entsprechenden Substantiven keine parallelen Ptk-Vn (vgl. Stiebels/Wunderlich 1994: 940):
(62) | a. | Vorabdruck, Wiederanspiel, Überangebot, Oberaufsicht |
b. | *vorabdrucken, *wiederanspielen, *überanbieten, *oberbeaufsichtigen/ *oberaufsehen |
Der Rückgriff auf alternative Morphe erklärt aus unserer Sicht nicht nur die Möglichkeit der Verwendung des Allomorphs [gabe] für deverbale Bildungen trotz der semantischen Einschränkung des Substantivs Gabe. Es eröffnet sich auch eine Erklärung für die nicht-produktivität von Bildungen mit +kunft.
Das Substantiv Kunft ist als deverbales Nomen bezeugt seit dem 8. Jh., ebenso wie das ahd. Adjektiv kumftīg (vgl. Kluge 2011). Ursprünglich hatte es ein Ereignisdenotat.
(63) | sine cunft was so wunderlich | (Anf. 12. Jh.; MSD 101; vgl. DRW) |
≈ ‚Sein Kommen war wie ein Wunder.‘ |
Dass *kunft als selbständiges Substantiv nicht mehr vorhanden ist und zugleich Nominalbildungen mit +kunft unproduktiv sind, legt nahe, dass die KompositionKomposition mit einer/m Wurzel(allomorph) zur Bildung einer dem Ptk-V parallelen Form von der Verfügbarkeit des Substantivs im Lexikon abhängt. Aus systematischer Sicht ist das nicht weiter verwunderlich, da diese Bildungen als KompositaKompositum selbständige Glieder voraussetzen, will man nicht die sog. KonfixeKonxif ins Spiel bringen, die hier ja aber ohnehin nicht vorliegen. Augenscheinliche Ptk-V-NominalisierungenNominalisierung sind zwar nicht einfach Nominalkomposita – andernfalls wären ereignisdenotierende Substantive wie Weitergabe nicht möglich. Es liegt aber die Verwendung eines Allomorphs vor, das das Vorhandensein eines entsprechenden Nomens voraussetzt; aus diesem Grund sind Bildungen mit +kunft nicht mehr produktiv.
Wenn nun, wie oben vorgeschlagen, syntaktisch völlig eigenständige V-Ptkn eigentlich resultative sekundäre Prädikate in Form lexikalischer Kategorien (Adv, Adj) sind (64a+b), so sind die zum komplexen Prädikat parallel existierenden Substantive mit dem InfinitivInfinitiv kommen folgendermaßen zu analysieren: Mangels zur NominalisierungNominalisierung verwendbarem Allomorph steht als einzige Nominalform der Infinitiv zur Verfügung (64c).
(64) | a. | [AdvP Wesentlich weiter als erhofft] sind wir wieder nicht gekommen. |
b. | Wir sind heute [AdvP wesentlich weiter als erhofft]. | |
c. | Wir hofften auf ein Weiterkommen/ *eine Weiterkunft. |
Hierfür spricht meines Erachtens auch die prinzipielle Erweiterbarkeit durch zusätzliche Glieder, wie z.B.