Sicht der Literatur und Stellungnahme
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Vereinzelt wurde Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lediglich als Spezialfall der Meinungsfreiheit für Hochschullehrer gesehen.[37] Diese Ansicht, nach der ein grundrechtlicher Schutz der akademischen Selbstverwaltung von vornherein ausscheiden muss, wurde schließlich jedoch selbst von ihrem wohl prominentesten Vertreter aufgegeben.[38]
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Einigkeit besteht im Schrifttum darüber, dass Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Abwehrrecht primär die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft schützt.[39] Eigengesetzlichkeit bedeutet, dass sich die Art und Weise, in der wissenschaftliche Erkenntnis entsteht oder vermittelt wird, nicht normieren lässt. Deshalb obliegt insbesondere die Entscheidung über die anzuwendenden Methoden allein den Wissenschaftlern und nicht dem Staat.[40] Der Staat muss aber dennoch gewährleisten, dass sich die Eigengesetzlichkeit adäquat entfalten kann, und dafür geeignete Strukturen schaffen.[41] Diesem Dilemma zwischen Zurückhaltung gegenüber der Eigengesetzlichkeit und Gewährleistungspflicht entgeht der Staat insbesondere dadurch, dass er den Hochschulen ein Selbstverwaltungsrecht einräumt, denn akademische Selbstverwaltung bedeutet die Verwaltung durch diejenigen, die an den eigengesetzlich ablaufenden Prozessen unmittelbar beteiligt sind. Selbst, wenn man (mit dem BVerfG) annimmt, dass die Organisation der Hochschulen nach dem Selbstverwaltungsmodell nicht die einzige Variante der Hochschulorganisation ist, die Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zulässt, muss man daher anerkennen, dass dieses Modell der wissenschaftlichen Eigengesetzlichkeit in besonderer Weise entspricht.
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Die Literatur verankert die akademische Selbstverwaltung regelmäßig fester als das BVerfG in der Wissenschaftsfreiheit, indem sie Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Einrichtungsgarantie[42] interpretiert. Garantiert würden auf diese Weise zumindest diejenigen Rechtsinstitute, die die Universität als Institution des Wissenschaftsbetriebs maßgeblich prägten und für Schutz und Organisation freier Forschung und Lehre unverzichtbar seien.[43] Regelmäßig beruft sich diese Meinung auf die seit Rudolf Smends Staatsrechtlehrertagungsreferat von 1927 verbreitete Umschreibung der Wissenschaftsfreiheit als „Grundrecht der deutschen Universität“.[44] Dieser Bezug ist historisch allerdings nicht eindeutig: Einerseits bleibt in Smends Formulierungen undeutlich, ob es ihm nicht primär darum ging, den individualrechtlichen Gehalt der Wissenschaftsfreiheit auch gegenüber dem Gesetzgeber zu stärken und die freie (nicht notwendig universitäre) Wissenschaft als Integrationsfaktor abzusichern.[45] Andererseits hat sich der Verfassungsgeber bei den Beratungen zum Grundgesetz vor allem aus Rücksicht auf die Kompetenzen der Länder bewusst gegen die Aufnahme einer Einrichtungsgarantie der Universität in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entschieden.[46] Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG deutet höchstens dadurch auf eine solche Garantie hin, dass er nicht von der Freiheit des Wissenschaftlers, sondern von der Freiheit der Wissenschaft spricht.[47] Daraus mehr abzulesen als dass die Wissenschaftsfreiheit objektive Gehalte hat, dürfte kaum möglich sein. Die Gegner der institutionellen Interpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wenden außerdem ein, eine Einrichtungsgarantie könne zu einer „Versteinerung“ des Hochschulsystems führen.[48]
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Vereinzelt wird die Wissenschaftsfreiheit im Hinblick auf staatliche Hochschulen, ähnlich der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) als dienende Freiheit[49] bzw. als „Funktionsgrundrecht“[50] ausgelegt. Zwar dient freie Wissenschaft sicherlich auch der Allgemeinheit, diese Ansicht ist aber dennoch letztlich abzulehnen: Zum einen bestehen gegen die Figur der dienenden Freiheit (jedenfalls außerhalb des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) schon generell gewisse Bedenken, weil hierdurch der vorrangig individualrechtliche Charakter der Grundrechte konterkariert werden kann.[51] Die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als Kern des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bedeutet zum anderen Zweckfreiheit und steht deshalb einer Zweckbindung der Wissenschaftsfreiheit im Sinne einer dienenden Freiheit entgegen.
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Insgesamt ergibt sich, dass eine Hochschulorganisation nach dem Selbstverwaltungsmodell den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar entspricht, verfassungsrechtlich aber nicht zwingend geboten ist. Eine Einrichtungsgarantie der akademischen Selbstverwaltung ist dem Grundgesetz letztlich nicht zu entnehmen.[52] Unmittelbar verfassungsrechtlich geschützt ist die akademische Selbstverwaltung somit nur auf der Ebene der Landesverfassung (näher s.u. Rn. 154 ff.).
b) Art. 108 BV
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Nach Art. 108 BV sind die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre frei. Diese Regelung garantiert ähnlich wie Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die individuelle Wissenschafts- und speziell die Lehrfreiheit. Dass Art. 108 BV die Forschungsfreiheit nicht explizit erwähnt, bedeutet, da Forschung im Begriff der Wissenschaft enthalten ist, keine Verengung gegenüber Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG[53]. Zu Überlegungen, aus Art. 108 BV eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung zu entnehmen, gilt ebenfalls das zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Gesagte entsprechend. Die Bayerische Rechtsprechung hat die Argumentation des BVerfG zur grundgesetzlichen Wissenschaftsfreiheit auf Art. 108 BV vollständig übertragen.[54] Mehr als, dass die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft ein Indiz dafür ist, dass die Verwaltung von Wissenschaftseinrichtungen am besten durch die Betroffenen, d.h. die Wissenschaftler zu erfolgen hat, lässt sich also auch Art. 108 BV als Aussage zum Hochschulorganisationsrecht nicht entnehmen. Der BayVerfGH billigt außerdem dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Hochschulwesens ähnlich wie das BVerfG einen Ermessensspielraum zu[55] und sieht durch organisatorische Entscheidungen (z.B. die Errichtung eines neuen Hochschulinstituts) die Wissenschaftsfreiheit einzelner Wissenschaftler regelmäßig als nicht verletzt an.[56] Es ist auch nicht erkennbar, dass der Bayerische Verfassungsgeber in Art. 108 BV einen weitergehenden Schutz der akademischen Selbstverwaltung bezweckt hat. Dies gilt auch für Maßnahmen, die den Bestand wissenschaftlicher Einrichtungen berühren.[57] Intensivere grundrechtsdogmatische Überlegungen zu Art. 108 BV im Zusammenhang mit der akademischen Selbstverwaltung sind im Übrigen deshalb nicht notwendig, weil Art. 138 Abs. 2 BV eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung enthält.[58]
c) Art. 138 Abs. 2 BV
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Zentrale Norm für die Gewährleistung der akademischen Selbstverwaltung in Bayern ist Art. 138 Abs. 2 BV:
aa) Einrichtungsgarantie und subjektives Recht
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Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV garantiert den Hochschulen das Recht der Selbstverwaltung. Hierbei handelt es sich unstreitig um eine Einrichtungsgarantie.[59] Aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 138 Abs. 1 S. 1 BV („Die Errichtung und Verwaltung der Hochschulen ist Sache des Staates.“)[60] ergibt sich, dass sich diese Garantie auf die staatlichen Hochschulen bezieht. Der bayerische Gesetzgeber ist daher von Verfassungswegen verpflichtet, „die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine […] Universität die ihr im akademischen Selbstverwaltungsbereich zustehenden Aufgaben […] wahrnehmen kann“.[61] Wie der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommt, bleibt indes ihm überlassen. Er muss, solange gewährleistet ist, dass wissenschaftsrelevante Fragen primär von Wissenschaftlern entschieden werden, sich nicht notwendig am klassischen Modell der Hochschulbinnenorganisation orientieren und etwa eine Gliederung der Hochschule in Fakultäten vorsehen.[62]
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Art. 138 BV ist zwar nicht Bestandteil des Grundrechtsteils der Bayerischen Verfassung (Art. 98–123 BV), sondern befindet sich im Teil „Das Gemeinschaftsleben“. Dennoch gewährleistet Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV nicht nur eine Einrichtungsgarantie, sondern zugleich ein subjektives Recht der (staatlichen) Hochschulen.[63] Die systematische Stellung der Vorschrift spricht nicht dagegen, da beispielsweise auch Art. 126 Abs. 1 S. 1, 128 Abs. 1 und 141 Abs. 3 S. 1 BV, die sich ebenfalls im Abschnitt „Das