Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: 7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? 8 Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? 9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin? 10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 12 Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.
Mk 2,1–12 Glaube und die Vergebung der Sünde (Mt 9,1–8; Lk 5,17–26) 2,4 Dächer wurden typischerweise aus Holzbalken über den Wänden errichtet, die mit Schilf und Ton bedeckt wurden. Es wäre wohl möglich gewesen, den Ton abzutragen, um eine Person zwischen den Balken herabzulassen, es ist aber schwer vorstellbar, wie dieser Prozess durchgeführt werden konnte, während Menschen darunter versammelt waren. In der Erzählung werden die außergewöhnlichen Maßnahmen zu einem Zeichen des Glaubens, das Jesu Aufmerksamkeit verdient. 2,5 Die Umkehr von den Sünden wird hier nicht erwähnt (dagegen: Mk 1,4.15; 6,12). Glaube, der Glaube an Jesu Heilungskräfte ist das entscheidende Kennzeichen derer, die Jesus nachfolgen (vgl. Anm. zu 1,15). Vergeben, teilweise hat die christliche Tradition in dieser Erzählung einen Gegensatz zwischen einem Judentum mit eingeschränkter Vergebung und einem Christentum gesehen, in dem Vergebung schon erteilt wird, bevor danach gefragt wird. Keine der beiden Auffassungen ist präzise. Im Judentum gibt es verschiedene Verständnisse von Vergebung und dem Prozess, durch den Sünder wieder angenommen werden. Das NT bejaht an anderen Stellen Ausschluss, Meidung, Verfluchung und sogar den Tod von Sündern (Mt 18,17; Apg 5,1–11; 1Kor 5,1–5.9–11; 2Kor 6,14–7,1). 2,6–7 Schriftgelehrte, in einer zum Großteil illiteraten Gesellschaft waren Schriftgelehrte gebildete Personen, die mit der Handhabung von Texten und Aufzeichnungen betraut waren und darüber hinaus die Ausleger des Gesetzes waren. Sie traten sowohl auf lokaler Ebene in den Dörfern Galiläas als auch auf den höchsten Ebenen der Jerusalemer Gesellschaft auf. Wenngleich sie in den Evangelien häufig mit den Pharisäern assoziiert werden, waren sie auch Funktionsträger in anderen Gruppen. Hier und in den nachfolgenden Perikopen erscheinen sie als pedantisch gegenüber ihren Regeln und unfähig, die Bedeutung von Jesu Wirken zu verstehen. 2,7 Er lästert Gott, da Gott selbst es ist, der vergibt, verstehen die Schriftgelehrten die Aussage als Blasphemie; Jesu Anhängerschaft hingegen erhob Anspruch auf die Kraft der Vergebung (vgl. Mt 16,19; 18,18; Joh 20,22–23). Ein älterer jüdischer Text, das Gebet des Nabonid (4Q242), beschreibt einen jüdischen Exorzisten, der dem babylonischen König Nabonid seine Sünde vergibt und ihn heilt. In der Hebräischen Bibel können Menschen zwar bei Gott Fürsprache dafür einlegen, dass er anderen vergebe, aber sie vergeben nie – nicht einmal Mose – unmittelbar (z.B. Num 14,19; Am 7,2). 2,10 Menschensohn, vgl. „Der Menschensohn“.
Der Menschensohn
Der Titel Jesu, den Markus am häufigsten verwendet, ist „Der Menschensohn“ (gr. ho hyios tou anthrōpou). Obwohl ursprünglich nur ein Wort, mit dem man jemanden als „Mensch“ bezeichnete (Ez 2,1), machte der Begriff in vorchristlicher Zeit eine bedeutsame Veränderung durch, die sich z.B. in Dan 7,13 zeigt, wo der Engel des Gerichts (vermutlich Michael) als „einer wie ein Menschensohn“ bezeichnet wird, d.h. als jemand, der aussieht wie ein Mensch. In jüdischen apokalyptischen Texten wie äthHen 37-71 wurde „Der Menschensohn“ zu einer Bezeichnung für Gottes endzeitlichen himmlischen Richter. Jesus könnte vom Menschensohn als einer von ihm unterschiedenen Figur gesprochen haben, also einem zukünftigen Richter; der erzählerische Kontext des Markusevangeliums identifiziert diese Gestalt hingegen eindeutig mit Jesus selbst. Markus führt zudem die wichtige Vorstellung ein, dass der Menschensohn leidet und getötet wird; diese Vorstellung wird von Matthäus und Lukas beibehalten. So identifiziert Markus den Gottesknecht aus dem Jesajabuch (Jes 52,13–53,12) und den leidenden Gerechten (Weish 2–5) mit dem Messias und Menschensohn (s. Anm. zu Mk 8,27–33). Soweit wir wissen, geht diese Identifikation usrprünglich auf Markus zurück.
13 Und er ging wieder hinaus an das Meer[*]; und alles Volk kam zu ihm, und er lehrte sie. 14 Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.
15 Und es begab sich, dass er zu Tisch saß in seinem Hause, da setzten sich viele Zöllner und Sünder zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern; denn es waren viele, und sie folgten ihm nach. 16 Und als die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass er mit den Sündern und Zöllnern aß, sprachen sie zu seinen Jüngern: Mit den Zöllnern und Sündern isst er? 17 Da das Jesus hörte, sprach er zu ihnen: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
Mk 2,13–17 Zöllner und Sünder (Mt 9,9–13; Lk 5,27–32) 2,14 Folge mir nach, vgl. Anm. zu 1,16–20. 2,15 Zöllner, vgl. „Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner“. Sünder, vgl. Anm. zu 2,5.
Zöllner und Pharisäer
Zöllner genießen bei Matthäus, Lukas und insbesondere bei Markus einen besonderen, fast bevorzugten Status. Bei Paulus, Johannes und den meisten anderen frühchristlichen Texten sind sie dagegen vollständig abwesend. Da sie weder die direkten römischen Steuern oder die jüdische Tempelsteuer eintrieben noch Sklaven oder bettelarm waren, fungierten die Zöllner der Evangelien