Heinz Zschech

Ostexpress in den Westen


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Studienjahr seinen Platz im Filmstudio von Baku schon sicher. Liebselig warm ist er und gleicht Peter auf Schritt, nennt diesen „meinen Bruder“ und vertrinkt auch die Abende freudig mit ihm. – Eines Abends trifft Sarodnick den Aserbaidschaner wieder bei Peter. Der Wodka brennt in den Augen, und Mais läuft über in Klagen, in Unmut, gräbt eine Herzgrube sich.

      „Diese kaukasischen Juden!“, droht er erbärmlich, „meine Freunde beleidigen! Ich werde es ihm schon zeigen!“ – Schwach ist Mais, ziemlich klein in den Beinen: „Die denken, sie wären besser als wir.“ – Die drei trinken sich voll, küssen sich Busengetreue, lieben Maja mit Tränen und fangen von vorn wieder an: „Du bist gut. Der liebe Gott ist ‚einen guten Mann lassen‘.“ – Sarodnick trottet nach Hause.

      „Warst du schon wieder bei deinem räudigen Hund?“, stichelt Sjoma und spuckt auf den Teppich. Doch Martin schläft schon friedlich den Rausch aus. An der Tür aber schlägt es: Der Gevatter aus Baku steht auf einem Bein hinter.

      „Dein Faschist pennt“, mault Semjon ihn an, „und wacht hoffentlich nie wieder auf. Nacht!“ Indes, Mais hält den Schuh in den Spalt.

      „Soll ich dir das Bein aus deinem türkischen Dreckarsche zerren?“, fragt der Armenier und hebt Mais in den Korridor raus.

      „Scheißkerl!“, weht der Aserbaidschaner dagegen und krakelt. Ein anderer Junge stellt sich dazwischen:

      „Streiten könnt ihr woanders, nicht vor der Tür!“

      – „Wichskopp!“ – Mais rennt wutentbrannt gegen die Mauer, zielt mit einem Messer auf Sjoma, stolpert … und trifft nur den Falschen, sticht den vergeblichen Schlichter ins Herz.

      Der „Falsche“ verstirbt im Krankenhaus später. Sehr gut war Mais, zu gut für das Leben. Er soll für 10 Jahre in den Knast. Aber … aber sein Vater war doch schließlich Minister. So strich der Vater die Frist und Mais verbrachte nur einige Monate in der Zelle.

      Dem Deutschen aber schwimmt seine letzte Hoffnung im Blut, und seine Felle laufen ihm fluchtartig weg durch das Bammeln. Doch unerwartet – ganz über Tag – wirft ein anderer Deutscher den Ring: Werner Kletters, ein Berliner mit blondspeckigem Haupt, hat die Partei am Hemd stecken und studiert im dritten Jahr Dokumentarfilmregie. „Du hättest dich längst schon an mich wenden … gemusst.“

      „Ja.“

      „Ich werde dir helfen.“ –

      Kletters weiß, was er sagt, „auf dem Posten“ ist er allesamt, alleweil, mit Hinz und Kunz informiert und mit Absprachen gesegnet. Er diskutiert nicht lange, er fackelt – Werner Kletters ist Leiter der Gruppe 5 Moskau, für Deutsche. – „Du wohnst vorläufig bei mir in dem Zimmer“, gibt er seine Empfehlung zum Schlechten, und Sarodnick sieht Samwel vorläufig nicht mehr. „Ich überleg’ mir da noch einen Trick, etwas Besonderes für dich“‚ spricht Kletters in Rätseln und rät und verrät wie ein Sieb, das in die Abtritte leert an öffentlichen Gebäuden. Neugierig, aber nicht aufdringlich ist er, hat Ohren wie Ringe und ein Gedächtnis für morgen, für die Stelle anbei. Als Assistent in den Studios von DEFA wusste er schon sehr früh, was man dachte, und wusste auch, was zu denken anstand. Einmal wird er Wissen vermitteln, wisssagen, wissmachen, Wissen befehlen. Im Institut sammelt er auf schickt an, schickt sich zu und füllt das Leben in Akten. Er ist delegiert – assistentenlegiert – von der Nadel der Brust und bewährt sich wie der Nagel im Heu: unmerklich, auf den Kopf zugesagt. Er währt lange und gut.

      Kletters ist verliebt über seine großen rosigen Ohren, verliebt in das Unglück, das er in Wodka vergießt. Die halbmondäne Kira braucht Kosmetik und Wäsche aus Deutschland, und Kletters bringt sie in Haufen, bekommt dafür die Hand, selten eine Nacht auch als Gabe, und so sind seine Nächte grüblerisch kalt. Er verdammt die Liebe und Kira, die irgendwo einem anderen Mann ihre deutsche Unterkleidung gerade und geradeaus vorführt. Aufgeschlossen hört Sarodnick diesen täglichen Jammer, verbraucht mit Werner Leid und Trug und er erklärt dem falschen Freunde die deutsche Romantik, das Platonische in einer Beziehung:

      „Die Liebe der nutzlosen Träumer, der großen Romantiker verwirklicht, mündet einfach bei Strindberg. Man ist mit den Frauen glücklich – allein.“ – Kletters stöhnt, und Sarodnick zeigt ihm vom Institut einen Brief: „Sie können nicht einfach da wohnen, wo es ihnen so passt.“ – Sollte er womöglich zu Sjoma zurück? „Muss ich alleine mit meinen Problemen mich plagen?“, denkt Werner und setzt sein eigenes Schreiben entgegen: „Im Namen von Sarodnick Martin erkläre ich, dass der noch schlecht schreibende Sarodnick hier bleiben muss, weil ihn ansonsten seine ehemaligen Zimmergenossen stetig beleidigen und bedrohen.“ – Und er ergänzt unter dem Strich, unterstrichen: „Und außerdem ihn mit ‚krummen Geschäften‘ bedrängen.“ – Dieses eingestrichene Wort kann mit Sicherheit alles Mögliche wohl bedeuten: Es steht für vieles – für Stiefel, für Kleider, Rasierwasser und Seife im Kern – verkauft, verhökert, verschoben. Das Wort duftet nach Nebel und Nacht und hat etwas Verbotenes pappen. Sarodnick freilich schnuppert nur dran und setzt naiv seinen Namen dahinter.

      „Mach schnell, ich hab’ keine Zeit. Alles wird, wie ich will.“ – Alles.

      Wladimir und Samwel erhalten eine Verwarnung: Der Direktor warnt und droht ihnen scharf mit dem Rausschmiss! – Martin aber muss trotzdem zurück in das Zimmer, ins Feuer, zurück in die Hölle. In der Botschaft indes notiert Kletters minuziös diesen Fall:

      „Sarodnick handelt mit suspekten Leuten suspekte Ware.“ – So hat Martin einen Minuspunkt sich gehandelt, und Kletters unkte ihn aus.

      Glattleck, ohne Portal mit einem Blendbogen wie eine Fest-Halle geschmiedet, blickt die Filmhochschule aus etwas zu breiten Fenstern auf die Gärten der Volkswirtschaftsausstellung. Innen verschließt sich ein Foyer mit einer kurzen Barriere, an der der Pförtner seinen guten Tag hockt. Dahinter ist Ende, nur für Eingeweihte betretbar, vom Wächter geprüft, bis klar wird „dieser gehört hier wohl zu“.

      „Ihren Ausweis?“ – Martin kramt in der Tasche. „Der nächste!“ –

      Er kann nicht verstehen. Der Wächter steht auf, legt die Hand auf die Sperre, um sie dann handlich verlängern zu können: „Sie wollten wohl einfach so durchschlüpfen?“

      „Ich studiere doch hier“, erklärt Sarodnick, prallt aber ohne Mitleid auf einen abgewandten Rücken: Durch zu viele Bitten hat der Pförtner die Rührung verlernt.

      „Vorschrift“, sagt er nur zäh. – Durchhalten, anhören, abweisen. „Fragen sind dort am Fenster zu klären. Zwei Meter weiter zurück!“

      „Aber Sie kennen mich ja.“

      „Na und?“

      „Ich gehöre hierher.“

      „Ich weiß.“

      „Also.“

      „Dein Ausweis!“

      „Ich habe ihn im Internat liegenlassen, habe heute Morgen eine falsche Jacke übergezogen.“

      „Ist die gefüttert, Martin?“ –

      „Ja, es ist heuer kälter geworden.“

      „Bei euch ist es um diese Zeit bestimmt noch warm?“

      „Und ob.“ – Sarodnick drückt sich vor die Barriere.

      „Deinen Ausweis!“

      „Aber ich …“ Martin schaut in das Fenster dahinter: „Guten Tag!“

      „Ach, der Deutsche! Wie geht’s?“

      „Ich habe mein Büchlein vergessen.“

      „Und ich dachte, die Deutschen vergessen nie.“

      „Ausnahmeweise“, stellt er sich traurig.

      „Geh nach Hause und hol ihn“‚ rät sie ihm freundlich.

      „Zum Platzen!“, rutscht es ihm aus dem Mund, erinnert sich aber geschwind: zwei Kilometer hin und zwei wieder her. „Bitte!“, ist