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schal, und Peter setzt ein wie ein Mittler, als Überbringer von Botschaften, die keine mehr sind. Man spricht aus seinem Graben heraus. Peter ist mühsam, schön und gut, aber ihm fehlt die Deutung, die eigene Soße, der Faden, der ködert. Man redet und redet – verschieden, verschiedene Welten – und ohne Händel dabei. Goethe ist ihnen nicht heilig, Kant nicht unbedingt Ausgangspunkt. Wo könnte Sarodnick ansetzen, Bezugspunkte gleiten?

      „Fische, die liegen zu lange und riechen“, sagt er und lässt sich selbst im Trockenen stehen.

      „Sandburgen!“, lacht Maja, „auf Sandkuchen gebaut.“

      „Nehmen wir Hegel …“

      „Nehmen wir die Bylinen“, schäkert sie.

      „Und wenn Hölderlin in den Oden an Gott nebenging von der Erde …“

      „Hast du Puschkin gelesen?“, stört sie ihn, und Martin weiß weiße Stellen, zeigt auf freie Rhythmen beim Schreiben.

      „Das ‚weiße‘ Gedicht heißt freilich nicht reimen“, ist sie sich sicher dabei. „In Russland galt es lange verpönt solchermaßen zu dichten.“

      „Die Deutschen schrieben derweil schon in Prosa.“

      „Na und?“ – Ausgequetscht, saftarm, Unbeweise im Schwindel. Holt Martin einfach zu viel? Ihn stört das Atemholen in Sätzen, das Mischen mit Hammel und Wein:

      „Zwischen zwei Bissen kann man nicht Kierkegaard klären.“

      „Tanzt du mit mir?“ – Sie drückt seine Unzufriedenheit fest in den Griff und gibt ihren Mund: „Entschuldige bitte.“

      Peter derweil lächelt betrunken: „Das alte Lied.“ – Seine Freundin holt ihre abgedroschene Platte aus dem Regal. Allein, Martin glaubt an sein Glück. Köpfe drehen und wenden, unwichtig ist das andere jetzt, lächerlich, laut.

      „Küss mich und leg meine Haare um deinen Mund.“

      „Um die Finger.“ – Wie leicht sagt man, was man gar nicht gelernt. Tausend und eines Gedicht.

      „Die Lippen …“ Er fängt sich darin, lauscht auf den Atem.

      „Ich möchte allein sein mit dir“, flüstert er kühn, sagt es ohne Gewissen, denn er ahnt, dass sie nie käme: Zu sehr liebt sie das Spiel, liebt den Flirt mehr als den Flirter.

      „Ich verbrenne mich nicht“, flüstert sie und tanzt in die Nacht.

      „Ich habe Verlangen nach dir.“

      „Vor meiner eigenen Schwäche habe ich Angst.“ – Sie haben beide gelogen. Eine Katze. Man tut, als würde man sein.

      „Wir sind an Oberflächen gewöhnt.“ – Sie können nicht lieben. „Du schläfst nicht mit mir.“

      „Woher willst du das wissen?“

      „Beide wissen wir es.“ – Die beiden küssen, ohne zu fragen, ohne Herzklopfen, küssen die Hülle ohne den Kern.

      „Wir treiben sie aus.“

      „Was?“

      „Triebe.“ – Beide könnten es sagen.

      „Zutreiben über die Schwelle.“

      „Ungetrieben davon.“ – Wie schön zu sagen: „Ich möchte dich haben“, nach dem Verzicht.

      „Wir sind sicher im Gehen.“

      „Wir tun, als wäre das Gegenteil von.“

      „Wovon?“

      „Von dem Zauber.“ – Sie bezaubern sich roh, und sie lässt ihren Körper verwundern, befühlen: „Wie schön bin ich so.“

      „Du bist ein Wunder für sich.“ – Ein glückliches Paar, ein Plakat, buchstabenlos scheinbar, aber gekonnt. Sie verstreichen den Abend, und Sarodnick legt sich beruhigt ungestillt hin. Er hat sich verliebt, hat Maja in den Schlaf eingewiegt und ihr etwas von Glück, von Freude erzählt. Ungewichtig ist er und gleich, und er schreibt einen Brief sich nach Hause, schreibt von Sehnsucht, die sich gut sieht auf dem Papier, von den Tagen, die kommen, die sich begegnen, und schreibt an Petra in Leipzig.

      Gern liest Petra die Briefe, die Tränen, den Wink aus dem Zug, den Brunnen der Zeit. Sie sitzt in der Mensa alsdann, daselbst, wo er einmal gesessen, gegessen ohne Gabel und Messer – und in der Rechten ständig ein abgegriffenes Buch. In sich fraß er hinein, haarstrebend aß er Seiten und Töpfe. „Ein Tier!“, hätte ihr Vater bemerkt oder „so einen“ gar nicht gemerkt. Aber Sarodnick war dies egal, ein langer Weg stand bevor, ein Hunger für sich. Das Mädchen dawider ist Tochter, ist an Wochenenden daheim bei den Lieben, beim Vater, bei sich. Alther stammte das Geschlecht und die Sippschaft, hatte nach allen Kriegen gewonnen und in die vollen Hände gefüllt. Sie überleben, leben lang, und der Staat ist auch nur ein Lied mit einigen Strophen. Alsdann ist der Alltag, und für Habenichtse gibt es nur noch Akkorde – im Tempo bremst sich die Zeit.

      Petra gefiel dieser Junge dort zehn Meter weiter. Das Fremde stach sie, zündete sie, das, was sie zu Hause immer verachten, das sie einfach nicht sahen. Zu „erzogen“ war sie jedoch, um ihm dies zu beweisen, um eine Deutung ihm zu gewähren, und nur über „Ecken“ erfuhr Sarodnick es, aus einer halbseidigen Quelle im „Tempel“ von Nerus, der ihm unter dem Dach zuflüsterte: „Unter einer Bedingung!“ Er hatte das doppelte Alter vom Jungen, und er stieg von seiner Zinne über die Straßen, in die Cafés, in die Toiletten vom Park. Seine Haare waren wie Atlas gekämmt, und er puderte sich rosa, zog seine Brauen zum Strich. Hochauf balancierte er dann, fuhr von dem Bahnhof zur Großen Oper und strich die Bedingungen ein. Dies gefiel Sarodnick gut – wie er selbst gerne gefiel –, und er duldete gern sich zu einem Becher zu laden, zu einem Schmaus, ließ unterhalten, ließ es befühlen. Nerus verehrte die Seide, schenkte mit offenem Arm, und reichte Wäsche zum Kleiden, zum Anziehen, aber „sofort!“ – Sarodnick zog in die Hose, über das Hemd und zeigte, was frei war an ihm. „Wenn der mich anfasst, haue ich drauf!“, hielt er sich offen und stand nur in Mode, ging auf den Steg, den Körper vom Dache geneigt.

      „Du bist sehr schön“, sagte ihm Nerus, rieb an den Fingern von Martin und ließ sich dann hinter dem Vorhang ins Bett, in dem ein anderer Junge einlag. Sarodnick hörte sie kichern, sah die Schatten kippen im Stoff und packte sich zu, sagte: „Danke. Glückauf!“

      „Einen schönen Gruß auch von Petra“, hielt ihm die Stimme vom Jungen hinter dem Store auf, „ich studiere mit ihr.“ – Und dann quiekten sie wieder. Mit Petra in dem Salut ging Sarodnick fort. Er wägte, er zirkelte ab: „Sollte er den beiden da glauben?“ Und er entschied sich für den Versuch.

      Sarodnick steigt in die Kantine, nimmt sich die ranzige Butter vom Brot und gießt den Joghurt in die Gedanken. Dann streckt er alle vier zufrieden ins Glas, kauft eine dicke Zigarre und schenkt sie dem alten Wächter am Eingang: „Wenn Monika kommt, lass sie passieren. Das ist diese Blonde mit dem Zeisiggesicht?“

      „Wie sieht ein Zeisig denn aus?“

      „Sehr fein und sehr blass.“ Der Alte pafft den Qualm durch die Nase: „Ein wenig dick ist sie schon.“

      „Kannst du durch die Ohren ausrauchen?“

      „Kann ich, aber das Kraut ist zu schwer, es bleibt hängen im Schädel.“

      „Das nächste Mal schenk ich dir eine aus Kuba.“

      „Oh, Kuba! Das ist eine saubere Sache.“

      „Mit Schleife am Bauch.“

      „Schleifen sind nicht mehr in Mode.“

      „Wieso?“

      „So.“

      „Ich wollte mich eigentlich baden.“

      „Das solltest du öfters noch tun. Die Dusche ist unten im Keller.“ – Sarodnick schlägt das Handtuch gegen den Rauch und bläst seinen Atem gegen die Treppe zum Keller. Leichtherzig verliert er das Hemd und die Hose und hüpft singend und pfeifend