können eine Reihe von Krankheitspotenzialen (z. B. Krebs des höheren Lebensalters) unbeschadet weitergegeben werden.
e)Unter „Designer-Kompromissen“ verstehen die Autoren den Preis, den die Individuen in der Evolutionskette für Weiterentwicklung zahlen. Mehrfach wurde beispielsweise das Rückgrat umfunktioniert: Von der torpedoförmigen Struktur eines wasserbewohnenden Lebewesens ging es über die „Brückenkonstruktion“ des landerobernden Wirbeltieres zur „Turmkonstruktion“ des aufrechtgehenden Homo sapiens. Das geht für 30 Jahre (und die sind zur Aufzucht der Nachgeborenen notwendig) problemlos vonstatten. Danach kommen die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und die chronischen Rückenschmerzen zum Tragen.
Eine solche evolutionäre Sichtweise auf die Entstehung von Krankheiten ermöglicht eine Vielzahl neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze. Auf diese kann hier allerdings im Einzelnen nicht eingegangen werden.
Psychosomatische Krankheitsmodelle: Psychosomatische Krankheitsmodelle gehen weiter und formulieren Wechselwirkungen zwischen körperlichen Phänomenen und seelischen Erkrankungen, die in Kap. 2.2 noch detaillierter besprochen werden.
Stress-Coping-Modell: Ähnliches gilt für das von Canon und Lazarus vorgestellte Stress- und Stress-Coping-Modell, das vor allem Zusammenhänge zwischen Krankheit, Stress und Stressbewältigung fokussiert. Auch dies wird in Kap. 2.2 näher erläutert werden.
Biopsychosoziales Krankheitsmodell: Neuere Ansätze der Sozialmedizin und insbesondere der Sozialpsychiatrie entwickelten biopsychosoziale Krankheitsmodelle, die Krankheiten, ihre Ursachen, Entstehungen und Manifestationen jeweils auf biologischer, psychischer und sozialer Ebene untersuchen. Auch die Therapieansätze sind demzufolge mehrdimensional. Insbesondere wird auch auf Wechselwirkungen biologischer, psychischer und sozialer Faktoren eingegangen.
So kann beispielsweise eine Depression biologisch (Serotoninmangel), psychisch (Verlusterlebnis) oder sozial (Vereinsamung) (mit-)begründet sein, und die Behandlung kann pharmako-, psycho- und sozialtherapeutisch erfolgen, wobei die Faktoren verschiedener Ebenen interagieren (Näheres in Hülshoff 2001, 86ff).
Soziologische Krankheitsmodelle: Soziologische Krankheitsmodelle untersuchen dagegen die soziale Bedeutung von Krankheit.
Rollenmodell von Parsons
Im „Rollenmodell“ von Parsons findet sich eine zwar häufig kritisierte, letztlich aber auch heute noch aktuelle Beschreibung der Rolle des Kranken. Demzufolge beinhaltet die Krankenrolle zum einen eine temporäre Befreiung von sozialen Pflichten: Der kranke Rekrut wird vom Wehrdienst freigestellt, beim erkrankten Kind kann eine temporäre Schulbefreiung erfolgen. Zum anderen wird der Betroffene nicht für die Krankheit verantwortlich gemacht. Wurde bis in die 1960er Jahre Alkoholismus als Charakterschwäche angesehen, so wird Abhängigkeit vom Alkohol seit 1968 als Krankheit anerkannt. Dies brachte eine erhebliche Entlastung der Patienten mit sich. Allerdings hat, so Parsons, der Patient die Verpflichtung, gesund werden zu wollen, wozu er entsprechend der Erwartung seiner Umgebung fachkundige Hilfe aufsuchen muss – eine Anforderung, der nicht alle alkoholkranken Menschen nachgehen.
sozialeRandgruppen
Ein anderer Zweig der Medizinsoziologie befasst sich mit der Frage, ob die Zugehörigkeit zu sozialen Randgruppen die Auftrittswahrscheinlichkeit von Krankheiten erhöht. Nach einschlägigen Studien, auf die hier nicht eingegangen werden kann, tut sie das: Häufigkeit und Schwere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Erkrankungen, psychischen und Suchterkrankungen korrelieren eindeutig mit der Zugehörigkeit zur sozialen Schicht. Auch die Lebenserwartung armer Menschen – selbst in Wohlstandsgesellschaften – ist signifikant niedriger als die von gut situierten Bürgern.
Labeling-Approach
Eine dritte Fragestellung medizinisch-soziologischer Forschung befasst sich damit, inwieweit insbesondere chronische und psychische Erkrankungen einschneidende Folgen für den Sozialkontakt und die gesellschaftliche Partizipation haben. Der so genannte „Labeling-Approach“ (Etikettierungsansatz) geht davon aus, dass eine Vielzahl von Krankheiten auf Seiten der Umgebung zu mehr oder weniger starren Rollenerwartungen führt, unter denen der Patient mitunter mehr leidet als unter der Krankheit selbst. So wird fälschlicherweise Epilepsie mitunter mit intellektueller Behinderung verbunden – über 90% aller Menschen mit hirnorganischen Krampfanfällen leben und arbeiten jedoch völlig unauffällig in oft sehr verantwortlichen Positionen (s. Hülshoff 2008, 213ff).
Risikofaktoren-Modell: Das Risiko-Faktoren-Modell versucht, den vielschichtigen Faktoren, die einer Krankheit zugrunde liegen können, gerecht zu werden, indem hier gleichzeitig medizinische, psychologische und soziologische Krankheitsrisiken Beachtung finden. So kann beispielsweise eine Bronchialkrebs-Erkrankung durch eine biologisch-genetisch begründete Vulnerabilität (Verletzlichkeit) mit verursacht sein, ihr Auftreten aber in engem Zusammenhang mit dem Rauchverhalten gesehen werden. Dieses wiederum speist sich auch aus psychologischen Momenten (der Stressbelastung, dem süchtigen Verhalten, den individuellen Lebenserfahrungen etc.) und gesellschaftlichen Phänomenen, die z. B. über Werbung, Gruppenkonformität, epochale Einflüsse oder Gesetzeslage das Rauchen begünstigen oder präventiv zu erschweren versuchen. Hinzu kommt, dass es physikalische, chemische und psychosoziale Faktoren gibt, die unabhängig vom Rauchen ihrerseits das Krebsrisiko beeinflussen können – Asbestbelastung, Strahlenexposition u. a. Faktoren mehr.
Theologische und philosophische Ansätze: Auch philosophische und theologische Ansätze zur Krankheitserklärung bzw. Bewältigung lassen sich finden. Im Wort „Heil“ bzw. „Heilung“ gibt es bereits den Hinweis, dass hierunter ursprünglich eine Wiederherstellung ganzheitlichen Wohlbefindens verstanden wurde. Die ers-ten Heilkundigen waren nicht nur Medizinmänner und -frauen, sondern hatten oft auch priesterliche Funktionen. Krankheit wurde nicht nur als körperlich-dysfunktionales Phänomen verstanden, sondern galt auch als eine Störung des sozialen Miteinanders sowie eine Entfremdung von Natur und transzendentalem Hintergrund. Dementsprechend erforderte Heilung eine Aussöhnung mit dem eigenen Körper, der Sozietät (dem Stamm, dem Klan), aber auch mit der Gottheit.
Wenn Kinder krank werden, findet sich nicht selten das Phänomen, dass sie ihre Erkrankung mit dem eigenen Verhalten in Verbindung bringen. Es kommt der menschlichen Psyche offensichtlich sehr nahe, eigenes Fehlverhalten für die Erkrankung verantwortlich zu machen. Es gehört viel menschliche Reife und Selbsterkenntnis dazu, Krankheit als ein evolutionsbedingtes Phänomen zu erkennen, das uns Menschen schicksalsbedingt zu gegebener Zeit und in unterschiedlichem Ausmaß überkommt. Oft genug regredieren wir in der Krankheit aber wieder und suchen, ähnlich wie in unserer Kindheit, nach Krankheitsgründen, die mitunter mit quälenden Schuldgefühlen korrespondieren. Das Wissen um diese Vorgänge ermöglicht eine befreiende, kathartische Aussprache und die Überwindung solcher Schuldgefühle.
Es bleibt aber festzuhalten, dass es vielen Menschen wichtig ist und mitunter auch gelingt, gerade auch in der Krankheit einen Sinn zu entdecken. Das Krankheitserleben hat nämlich durchaus Auswirkungen auf unser Selbstbewusstsein. Aus Kinderheilkunde wie mütterlichen und großmütterlichen Erfahrungen wissen wir, dass Kinder nach schweren Kinderkrankheiten (z. B. Masern) nicht nur immunologisch, sondern auch seelisch, körperlich und geistig einen Wachstumsschub durchmachen können. Dass das Immunsystem an durchgemachten Erkrankungen lernt und vor anderen Krankheiten gefeit ist, leuchtet ein. Aber auch die Erfahrung der Hilflosigkeit und die Überwindung derselben, die Möglichkeit zu regredieren, verwöhnt und versorgt zu werden sowie das körperlich wie emotional beglückende Erlebnis, wieder zu Kräften zu kommen, verändert Selbsterfahrung und Selbstbewusstsein erheblich, selbst wenn dies nicht immer ausgedrückt werden kann. Insofern kann auch im Krankheitsprozess ein subjektiv erlebter und im Lebenskontext nachzuvollziehender Sinn gesehen werden.
Fragt man sich, welches der hier kurz angerissenen Krankheitsmodelle „das Richtige“ ist, zeigt sich sehr schnell, dass die Frage so falsch gestellt ist. Vielmehr kann man überlegen, welche Aspekte