Alexander Stania

Icecore


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noch sehr viel Geld, welches die DDC tragen muss. Und niemand weiß, ob wir etwas Gewinnträchtiges entdecken werden.“ Er schaute Thomas mit seinen graublauen Augen noch intensiver an als zuvor. „Aus dem Grund ist dieser Dokumentarfilm so wichtig. Ich hoffe, wenigstens einen Teil der Unkosten wieder hereinzubekommen.“ Sein Lächeln war schlagartig wieder zurück. „Und wenn der Film ein richtiger Kracher wird, dann umso besser. Geld kann man schließlich immer gebrauchen, nicht wahr?“ Über das Finanzielle hatten sie bisher noch nicht gesprochen. Thomas war froh gewesen, überhaupt die Möglichkeit zu haben, bei dieser Expedition dabei zu sein. Aber ab jetzt wurden sie nicht einfach mehr mitgenommen, sondern sie arbeiteten auch dafür. Damit hatten sie eine Aufgabe und würden niemandem untätig im Weg herumstehen.

       „Mit was für eine Gewinn können wir denn rechnen?“, fragte Thomas sein Gegenüber. Alexander Müllers Lächeln verschwand wieder.

       „Wenn wir Gewinn machen, dann sind Sie mit satten vier Prozent dabei.“

       „Sagen wir acht. Meine Tochter macht Ihnen dann auch ein paar schöne 3DVisualisierungen dazu“, handelte Thomas, ohne zu wissen, ob seine Tochter überhaupt dazu bereit war.

       „Okay, sagen wir sechs. Sechs Prozent können eine ganze Menge sein.“

       „Und eine reguläre Bezahlung für meine Tochter. Sie ist wirklich gut auf ihrem Gebiet, und vielleicht brauchen wir noch etwas Unterstützung. Bei kinoreifen Effekten benötigt man schon ein ganzes Team von Digital Artists. Denken Sie an Herr der Ringe.“ Thomas versuchte, nicht zu übertreiben, aber der letzte Satz brachte Alexander zum Lachen.

       „Ich hoffe nicht, dass wir solchen Aufwand betreiben müssen. Sie müssen mich verstehen, dass ich nicht zu viele Prozente meines Gewinns abtreten kann. Schließlich muss ich die Kosten für die Realisierung dieses Projekts vorfinanzieren.“

       Thomas wusste, dass es mehr als fair war. Noch nie zuvor hatte man ihm eine Gewinnbeteiligung angeboten. Aber nie zuvor musste er seiner Arbeit an solch einem extremen Ort nachgehen.

       Die zwei orangefarben gekleideten Männer schüttelten sich als Zeichen der Übereinkunft die Hand.

      Jenay und Annika betraten gerade den Hangar. Nach einer kurzen Orientierungsphase entdeckten sie auch schon Alexander Müller und Thomas. Beim Näherkommen konnte Annika bereits erkennen, dass ihr Vater ein Stativ mit einer Kamera aufgebaut hatte. Auf einem Klapptisch lag ein geöffneter Hartschalenkoffer mit Objektiven und Filtern.

       Alexander Müller begrüßte die zwei mit Handschlag und fing gleich darauf an, ihnen seine Vorstellungen zu unterbreiten. Die nächste halbe Stunde redeten sie über nichts anderes als den Film und die dafür geeignetsten Einstellungen. Thomas als geübter Fotograf würde die Handkamera bedienen, Annika diejenige auf dem Stativ. Jenay bot sich als Tonassistent an und nahm das Handmikrofon, welches sein Audiosignal kabellos an die Kameras schicken konnte. Thomas hatte es nur für Kommentare und Interviews mitgenommen, zu mehr war es nicht geeignet.

       Da sie noch eine halbe Stunde bis zum Eintreffen der restlichen Missionsteilnehmer Zeit hatten, gingen Jenay und Thomas mit seiner HighDefinitionFestplattenkamera zu der Mil Mi26, die noch im Hangar stand. Dort waren gerade die stämmigen KlotzBrüder und der Helikoptertechniker Sascha Russlov mit den letzten Sicherheitschecks beschäftigt. Dem fünfunddreißigjährigen Russen konnte Thomas seine PunkerVergangenheit deutlich ansehen. Viele kleine Relikte aus diesem Lebensabschnitt waren noch deutlich erkennbar. Das rechte Ohr schmückte mindestens ein halbes Dutzend Ohrringe. Eine dezente rötliche Tönung in der Mitte seiner abstehenden Haare deutete darauf hin, dass hier mal ein prächtiger bunter Iro gethront hatte. Da Sascha das gleiche orangefarbene Outfit trug wie alle anderen, konnte niemand auf seinen Kleidungsgeschmack Rückschlüsse ziehen. Sein schmales Gesicht verstärkte den müden, übernächtigten Gesichtsausdruck. Trotzdem war er bereit, Thomas und Jenay ein Interview zu geben. Er erzählte ihnen in stark gebrochenem Englisch allerlei Einzelheiten über diesen Typ von Hubschrauber und führte sie durch den Laderaum. Im Gegensatz zu der zweiten Maschine war sie wie ein Passagierflugzeug ausgestattet. In der hinteren Hälfte des Laderaums befanden sich zwanzig Sitzplätze, und jeder war reserviert. Im abgetrennten vorderen Raum waren die Vorräte für den zweiwöchigen Aufenthalt im Eis untergebracht. Hier begegneten sie Verpflegungssupervisor Felix Armarkt. Sein schwarzer Lockenkopf saß wie der Hut eines Pilzes auf seinem schmalen Gesicht. Selten war Thomas einem Menschen begegnet, der größer war als er. Die langen schlaksigen Gliedmaßen erinnerten ihn ein wenig an Jeff Goldblum. Die Tatsache, dass seine Antarktiskleidung weiß und von einem anderen Hersteller war, hatte einen banalen Grund. Ihm hatten die Durchschnittsgrößen der anderen Teilnehmer einfach nicht mehr gepasst. Der Verpflegungssupervisor war gerade damit beschäftigt, eine Ladung aus eingeschweißter Trockennahrung und Dosen zu katalogisieren. Er wirkte etwas schüchtern, aber freundlich, wollte auf Thomas’ Bitte jedoch kein Interview geben.

       Direkt am Ende des Frachtraums war die Tür zum Cockpit. Die Piloten waren noch nicht da.

      Distanz 121

      Nicht alle Expeditionsteilnehmer kamen pünktlich. Doch keiner hatte es gewagt, sich eine längere Verspätung als zehn Minuten zu leisten. Dr. Seeger hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie ernst er seinen Zeitplan nahm.

       Annika hatte ohne Unterbrechung ihre stationäre HDKamera laufen lassen und brach erst ab, als sich auch der letzte Expeditionsteilnehmer im Hangar befand. Thomas hatte einige beim Eintreten begleitet und ihre Gesichter in Großaufnahme gefilmt. Jenay war bei Annika geblieben.

       Missionssupervisor Korbinian Regenfus stieg kurz vor halb sechs auf die Laderampe eines modifizierten Gabelstaplers und bat um Aufmerksamkeit. In einem sehr klaren Englisch begann er zu sprechen.

       „Ich möchte unsere Reiseroute von Punta Arenas bis hinter das Transantarktische Gebirge vorstellen.“ Alle hörten ihm gespannt zu, denn niemand außer ein paar Vertrauenspersonen wussten bis jetzt, wie sie von diesem Ort zu ihrem Ziel kommen würden. Mit einem Rundblick in die Gesichter seiner Zuhörer vergewisserte er sich deren Aufmerksamkeit.

       „Da der Treibstoff dieser Hubschrauber nicht ausreicht, um ohne zu tanken unser Ziel zu erreichen und wieder zurückzukehren, werden wir zwei Zwischenstationen einlegen. Die erste wird auf den südlichen Shetland Islands sein, welche noch nicht zum antarktischen Kontinent gehören. Dort landen wir nur sehr kurz, gerade mal zum Auftanken. Also bitte nicht weit von den Helikoptern entfernen. Unser nächstes Ziel wird die Kohnen2Antarktikforschungsstation sein, welche bereits in zweieinhalbtausend Metern Höhe liegt. Auf dieser Station werden wir auch nur so lange bleiben, bis die Tanks voll sind. Der Reiseplan ist darauf ausgelegt, unser Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Wir wollen nicht, dass die Höhenkrankheit uns einen Strich durch die Rechnung macht. Dazu erzählt Ihnen Adrian gleich mehr.“

       Annika und Jenay schauten sich fragend an.

       „Ich wusste gar nicht, dass man in diesen Höhen schon die Höhenkrankheit bekommen kann“, flüsterte er ihr ins Ohr.

       Korbinian fuhr fort: „Von dort fliegen wir über das RossEisschelf zum Transantarktischen Gebirge. Durch einen kleinen Pass in der KöniginMaudKette gelangen wir dann auf die Hochebene von Wilkesland. Das ist der Gletscher, auf dem die verlassene McGriffinForschungsstation steht ? unser Ziel. Nun gebe ich weiter an Adrian Kolarik, unseren Antarktisfachmann.“

       Korbinian stieg von der Laderampe. Adrian schwang sich wesentlich geschmeidiger auf die ein Meter hohe Plattform als sein Vorgänger. Bevor er begann, strahlte erst wieder sein sympathisches SonnyboyLächeln in die Runde. Als es Annika traf, legte er noch ein Augenzwinkern dazu. Jenay und Dr. Octavian Goga gehörten zu den wenigen, die bei diesem Lächeln keine Sympathie empfanden. Thomas ließ es kalt.

       „Ich hoffe nicht, dass unsere Sicherheit von ihm abhängt.“ Jenay hatte gar nicht bemerkt, dass der Biologe neben ihm stand.

       „Kennen Sie ihn?“, wollte Jenay wissen.

       „Die letzten Tage reichen mir“, antwortete Octavian.

       „Erzählen Sie doch mal, was hat er Ihnen angetan?“

       Octavian wollte gerade loslegen, da wurde er von einer lauten Stimme ausgebremst:

       „Dürfte ich noch mal um ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit bitten.