Ulrich Paul Wenzel

Am Ende Der Dämmerung


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In der Orangerie.«

      Florence sah Chantal überrascht an.

      »In der Orangerie? Wieso denn dort?«

      »Dort wird eine Ausstellung gezeigt. Frage mich bitte nicht, worüber. Ich war auch verwundert, aber Stading hat wohl ein paar Eintrittskarten geschenkt bekommen und hat mich auf einen Rundgang zusammen mit einem Glas Champagner eingeladen.«

      »Ich muss schon sagen, dass ich das sehr ungewöhnlich finde«, sagte Florence. »Ist das nicht ein schlechter Treffpunkt?«

      »Ich hatte ihm gegenüber auch meine Zweifel geäußert, aber er meinte, gerade dort würde man kaum beachtet werden.« Chantal warf Florence einen fragenden Blick zu. »Wenn du irgendwelche Zweifel an der Geschichte hast, Florence, dann sage es mir. Ich werde mich nicht mit ihm treffen und das Thema hat sich erledigt. Wie ich dir schon sagte, er weiß absolut nichts über mich außer meinem Decknamen.«

      »Ich frage mich die ganze Zeit, warum er sich dir gegenüber offenbart hat. Es war ja ein hohes Risiko für ihn. Und wie konnte er annehmen, dass gerade du ihm helfen könntest?«

      »Genau das ließ mir auch keine Ruhe. Ich weiß es wirklich nicht.«

      Florence nickte und schwieg. Ihr Blick wanderte den Weg entlang. »Du solltest dich ein weiteres Mal mit ihm treffen, meine Liebe. Nach dem, was du sagst, glaube auch ich, dass seine Geschichte stimmt. Wenn er tatsächlich wichtige Informationen für die Alliierten hat, wäre es geradezu fahrlässig, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen. Von diesem Probematerial – unsere Experten würden es natürlich genau prüfen – hängt unser weiteres Vorgehen ab.« Florence sah Chantal tief in die Augen. »Eins solltest du aber weiterhin bedenken, Chantal: Wir müssen zu jedem Zeitpunkt darauf gefasst sein, dass er ein Agent der deutschen Abwehr ist. Du kannst nicht in seinen Kopf schauen und die Deutschen haben ihr perfides Spiel immer mehr perfektioniert. Also, meine Liebe, allergrößte Vorsicht! Sollte das Material so brillant sein, dass ein Plan zur Evakuierung entwickelt werden muss, dann...aber was rede ich da, so weit ist es ja noch nicht.«

      Chantal nickte. Die Schneeschauer wurden stärker. Sie zog ihren Schal hoch. »Eine Evakuierung würde übrigens über den britischen Geheimdienst laufen«, ergänzte Florence. »Da würde im Vorlauf viel Arbeit auf uns zukommen. Die wollen äußerst gut vorbereitet werden. Aber wie gesagt, darüber brauchen wir jetzt noch nicht zu reden.«

      Florence wandte den Blick ab und verfolgte die Schneeflocken, die sich zu Hunderttausenden auf dem Grabmonument versammelten, während

      Chantals Blick auf Florences Mütze verharrte.

      »So, meine Liebe, ich werde noch im Laufe der nächsten zwei Stunden ein paar Leute kontaktieren und erste Stellungnahmen einholen«, beendete Florence das eingetretene Schweigen. »Was auch immer sich ergeben wird, Chantal, ich bin stolz auf dich. Du solltest heute Abend gegen sechs Uhr mit dem Material zu mir kommen. Kannst du das schaffen? Wir kochen dann gemeinsam.«

      Chantal dachte kurz über den Zeitrahmen nach, dann nickte sie.

      »Sollte irgendetwas dazwischenkommen und ich nichts von dir hören, dann treffen wir uns morgen Vormittag auf dem oberirdischen Bahnsteig der Metro-Station Bastille. Dort haben wir uns schon einmal getroffen, wenn du dich erinnerst.«

      Chantal nickte. Florence strich ihr mit dem Daumen ein paar Schneeflocken von der Wange und lächelte sanft. »Komm, dann lass uns gehen, es wird immer ungemütlicher. Ich begleite dich zur Station.«

      Arm in Arm schlenderten die beiden Frauen in Richtung Friedhofskapelle und von dort zum Ausgang Porte du Repos. An der Metro-Station Philippe-Auguste verabschiedeten sie sich knapp. Während Florence ihren Weg zu Fuß auf den Boulevard de Charonne in südliche Richtung fortsetzte, stieg Chantal die Stufen zu Metro hinunter.

      6

       Samstag, 30. Juli 1938

       Berlin-Zehlendorf,

       Am Großen Wannsee

       »Na Fräulein, wie sieht es aus? Wollen wir noch einmal? Das hat doch gut geklappt mit uns beiden.«

      Charlotte nickte und hoffte, dass er ihre Aufregung nicht bemerkte. Er schien Interesse an ihr zu haben, aber sie spürte auch die Anziehung, die er auf sie ausübte. War da wirklich was? Sie tanzten zu zwei Stücken, dann bat die Kapelle zur Pause.

      »Darf ich Ihnen ein Getränk spendieren, Fräulein?«, fragte der junge Mann. »Dort im Clubhaus gibt es eine Bar. Und, nicht zu vergessen, das Buffet!« »Ja gerne, ich wollte mir sowieso etwas zu essen holen.«

      »Na, das trifft sich ja gut«, lachte er, dann gingen sie zusammen zum Clubhaus. An der Bar bestellte er ihr ein Glas Weißwein und sich selbst ein Bier.

      »Zum Wohl, mein Fräulein.« Er hob sein Glas und nickte ihr zu.

      »Zum Wohl«, antwortete sie. Das Kribbeln in ihrer Bauchgegend verstärkte sich. Sie fühlte sich beschwingt. War sie gerade dabei, sich zu verlieben? »Haben Sie etwas dagegen, mir Ihren Namen zu verraten?«, fragte der junge Mann.

      »Ich heiße Charlotte.«

      »Oh, ein wirklich schöner Name. Ich werde von meinen Freunden Heinz genannt.«

      »Sehr angenehm.«

      Sie plauderten über Namen und andere belanglose Dinge. Charlotte spürte die Aura, die Heinz umgab. Wie akzentuiert er redete. Sie musste sich eingestehen, dass er sie faszinierte.

      »So, jetzt muss ich aber mal zum Buffet«, entschied sie und stellte ihr Glas ab. Sie durfte jetzt nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. »Selbstverständlich Charlotte, ich habe auch wieder Hunger bekommen«, entgegnete Heinz grinsend. »Dabei war ich vor einer Stunde schon einmal hier.«

      Olaf hatte recht gehabt, das Buffet war üppig und sah lecker aus. Bouletten und Würste, Bratkartoffeln, Kartoffelsalat, Eier im Glas, Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl, Schmalzstullen und Spreewaldgurken. Sie hatte selten zuvor eine solche Auswahl von Speisen gesehen und konnte sich nicht entscheiden. Als Charlotte und Heinz mit ihren Tellern auf dem Weg zurück zu den Tischen waren, drangen aufgeregte Stimmen vom Eingang des Geländes herüber. Charlotte erkannte vier junge Männer in braunen SA-Uniformen und schwarzen Schaftstiefeln, die lauthals Einlass begehrten und aufgeregt gestikulierten, aber von dem Jungen mit der Melone offensichtlich daran gehindert wurden.

      Diese primitiven Schläger, dachte sie angewidert. Ihren Status als staatlich anerkannte Hilfspolizisten, den sie seit geraumer Zeit hatten, nutzen sie weidlich aus und tauchten überall dort auf, wo sie den dicken Mann markieren konnten. Mit Schaudern erinnerte sie sich an das Sturmlokal in der Rothenburgstraße, das auf ihrem Weg zum S-Bahnhof Steglitz lag. Schon am Nachmittag hockte die angetrunkene Horde in dieser finsteren Spelunke, aus der bier- und korndurchsetzte Luft auf die Straße drang, spielten Skat und warteten auf ihren nächsten »Einsatz« gegen die Roten. Nachdem sie einmal von zwei Braunhemden angepöbelt worden war, führte ihr Fußweg zum S-Bahnhof nur noch die Schlossstraße entlang.

      »Hoffentlich lassen sie diese widerlichen Burschen nicht auf das Gelände«, grollte Charlotte und drängte Heinz, weiterzugehen.

      »Ach, die haben doch nur zu viel getrunken«, beschwichtigte er, »ansonsten sind die doch harmlos.«

      »Harmlos? Also ich weiß nicht, was Sie unter harmlos verstehen. Alleine wie sie sich dort benehmen ist doch skandalös.«

      Als Charlotte zum Tisch zurückkehrte, empfing Rosa sie mit strahlendem Gesicht.

      »Hallo Lotte, dich sieht man ja gar nicht mehr. Bahnt sich da was an?«

      »Ach Rosa, du und deine neugierigen Fragen.«

      »Aber mir kannst du es doch sagen, Schätzchen.« Rosa tätschelt ihre Wange.

      7