Ulrich Paul Wenzel

Am Ende Der Dämmerung


Скачать книгу

überlaufen wollte. Trotzdem musste sie weiterhin vorsichtig sein.

      8

       Samstag, 30. Juli 1938

       Berlin-Zehlendorf,

       Am Großen Wannsee

      »Mein lieber Mann«, schwärmte Heinz mit verklärtem Augenaufschlag, »die Frau ist eine Wucht, sage ich dir.«

      Er konnte es sich nicht verkneifen, immer wieder zum Nebentisch hinüber zu schielen. Nicht auszudenken, wenn sie von einem anderen Mann aufgefordert werden würde. Dann müsste er einschreiten. Diese Frau hatte er sich ausgesucht und wollte sie nicht wieder hergeben. Nervös klimperte er mit den Fingern auf dem Rand seines Bierglases.

      »Äußerlich auf jeden Fall«, pflichtete Bernhard ihm anerkennend bei. »Eine wahre Schönheit. Und diese Figur. Als du mit ihr zur Tanzfläche gegangen bist, hatten sich alle männlichen Augen auf ihrem Hintern vereinigt, meine selbstverständlich eingeschlossen.« Bernhard lachte.

      »Und ich sage dir, beim Tanzen hat sie mich völlig verrückt gemacht. Der blumige Geruch ihrer seidenen Haare, ihr graziler Hals...« Heinz rollte mit den Augen und trank einen Schluck von seinem schalen Bier. »Und dann ihre beiden, na du weißt schon...« Er formte mit seinen Händen zwei ordentliche Wölbungen vor seinem Brustkorb. Bernhard nickte zustimmend. »Hast du schon ihren Namen?«

      »Na klar. Charlotte.«

      »Und sie hat tatsächlich keinen Freund?«

      »Man, das habe ich sie natürlich noch nicht gefragt. Wie sieht denn das aus, hör mal? Aber ich muss zugeben, darüber habe ich mir die ganze Zeit Gedanken gemacht...was ist eigentlich mit dir, hast du auch schon etwas entdeckt?«

      Bernhard schüttelte den Kopf und hob die Schultern.

      »Leider nicht.«

      Sie schwiegen und lauschten der Musik, dann räusperte sich Heinz.

      »Schau mal, was ich hier habe.« Er holte ein rotes Büchlein aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch.

      »Du bist in die Partei eingetreten?«, entfuhr es Bernhard, während er seinen Freund erstaunt musterte. Heinz nickte stolz und fuhr mit dem Finger über das NSDAP-Parteibuch mit dem goldenen Adler über dem Hakenkreuz. »Mitgliedsnummer 6.181.388! Kannst mal einen Blick reinwerfen.« Bernhard blätterte interessiert vor und wieder zurück.

      »Ich bin ja auch am Überlegen.«

      »Man, trete ein, sage ich dir. Das kann dir irgendwann mal helfen. Wahrscheinlich nicht bei den Frauen...«, Heinz grunzte durch die Nase, ...

      aber beruflich bestimmt.«

      »Sag mal, Heinz, hast du vorne die SA-Typen gesehen?«

      »Ja, die führen sich immer noch auf wie die Könige, dabei ist deren Zeit längst abgelaufen. Wenn du mich fragst, ich kann diese Idioten nicht ab. Die eine Hälfte schwul, die andere asozial. Ich hatte mich schon damals gefragt, welchen Narren der Führer an diesem Burschenficker Röhm gefressen hatte. Glücklicherweise hat er seine Entscheidung am Tegernsee noch rechtzeitig korrigiert.«

      »Aber das ist auch schon vier Jahre her und sie sind immer noch unterwegs. Und unter den oberen Rängen soll es auch ein paar ganz gescheite Kerle geben. Sogar Promovierte!«

      »Das ist doch egal. Die spielen jedenfalls keine besondere Rolle mehr im Reich. Ich gebe denen noch ein Jahr, dann sind sie weg vom Fenster.«

      Der Kellner kam und stellte die beiden Schnäpse auf den Tisch.

      »Und ich dachte schon, Sie haben die Bestellung fürs nächste Jahr aufgenommen«, feixte Heinz ihm entgegen. Der Kellner nickte beleidigt und verschwand.

      »Duck dich, liebe Leber«, rief Heinz und hob sein Glas. »Ich komme!« Bernhard lachte und hob ebenfalls sein Glas.

      9

       Samstag, 11. Dezember 1943

       Paris, 1. Arrondissement,

       Rue de Rivoli

       Am Nachmittag

      »Bleiben Sie noch eine Sekunde sitzen, Brandhuber«, befahl SS-Standartenführer Karl-Heinrich Schrader, nachdem der Fahrer den schwarzen Citroen am Straßenrand angehalten hatte und Brandhuber gerade wie gewohnt herausspringen wollte, um seinem Chef geflissentlich die Fondtür aufzureißen. Stattdessen verharrte der bullige Hauptsturmführer in seiner Bewegung, drehte sich zu seinem Vorgesetzten um und sah ihn fragend an.

      »Schauen Sie einmal aus dem Fenster, Brandhuber.«

      Brandhuber starrte durch die verdunkelte Seitenscheibe auf die Straße. »Sie kennen den Herrn dort in der Wehrmachtsuniform doch auch, oder?«, fragte Schrader.

      »Den mit der Französin im Arm?«

      Brandhuber überlegte kurz, dann schien er sich zu erinnern.

      »Natürlich, das ist doch dieser Oberst von der Abwehr, der einige Zeit lang ständig bei uns aufkreuzte und uns auf die Nerven ging. War mit seiner Geliebten wahrscheinlich auch in der Ausstellung. Warum fragen Sie, Herr Standartenführer?«

      »Der Bursche interessiert mich«, murmelte Schrader, ohne den Blick von dem zwangslos miteinander plaudernden Paar auf der Straße abzuwenden. »Seit wir der Canaris-Truppe den Hahn zugedreht haben, spielen die ihr eigenes Spiel und ich habe schon seit geraumer Zeit den Verdacht, dass die jetzt gegen uns arbeiten. Und der dort auch!«

      »Der? Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Brandhuber.

      »Ich frage mich einfach, warum der sich plötzlich nicht mehr bei uns blicken lässt.«

      »Sie haben ihn wahrscheinlich abgezogen, aber wir können ihn doch mal fragen.« Brandhuber machte Anstalten, den Wagen zu verlassen.

      »Bleiben Sie wo sie sind, Brandhuber«, befahl Schrader, »der wird Ihnen sonst was erzählen. Denken Sie lieber mal über den Namen dieses Herrn nach.«

      »Ich bin schon dabei, Herr Standartenführer. Auf jeden Fall hat der sich eine hübsche Französin geangelt. Die würde ich auch nicht von der Bettkante schieben.«

      Ein mitleidiges Lächeln huschte über das feingeschnittene Gesicht des SS-Standartenführers. Diese Frau ist doch gar nicht deine Kragenweite, lieber Brandhuber, dachte er süffisant. Die ist mindestens zwei Nummern zu groß für dich.

      »Ich habe seinen Namen des Herrn«, triumphierte Brandhuber plötzlich und drehte sich mit funkelnden Augen zu seinem Chef um. »Das ist Oberst Stading!«

      »Richtig, Brandhuber«, murmelte Schrader anerkennend, »Oberst Stading. Wenn ich Sie nicht hätte. Hören Sie, ich werde am Montag etwas später im Büro sein. Bis um zwölf Uhr will ich alle Informationen über diesen Mann auf dem Schreibtisch haben. Wirklich alles, was aufzutreiben ist. Derzeitige Anstellung, Aufgaben, Kontakte, na ja, Sie wissen schon. Alles! Wohnt der noch im Hotel? Egal, Sie werden es rausfinden. Und Brandhuber«, Schrader machte eine rhetorische Pause, »ich möchte auch alles über diese Frau wissen, verstanden?«

      »Aber selbstverständlich, Herr Standartenführer«, entgegnete der Hauptsturmführer mit einem Lächeln. »Sie haben auf jeden Fall Geschmack.«

      

      

      

      

      

      

       Paris, 20. Arrondissement,