Juli van Bohm

Sterne, die begehrt man nicht


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Dann klappte sie den Laptop auf und legte das Foto daneben. Ein bisschen Motivation bei der Arbeit durfte ruhig sein, fand sie. Schließlich sollte der Bericht mit dem Interview einzigartig werden. Sie wollte sich und vor allem Leary nicht enttäuschen.

      Zwei Stunden später stapelten sich auf Emilys Arbeitsplatz zahlreiche Interviews, Berichte und Fotos von Leary, die sie ausgedruckt hatte. Genug Material, um damit Bücher zu füllen. Egal – wenn sie etwas fesselte, vergaß Emily ihre Umwelt komplett. Erst das beharrliche Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.

      „Mist“, murmelte sie ungehalten und griff zum Hörer. Es war Corinne, die darauf brannte, endlich zu erfahren, wie das Interview mit Connor Leary gelaufen war.

      „Nun erzähl schon, wie war es?“, drängelte sie erwartungsvoll. Doch Emily zögerte plötzlich. Insgeheim befürchtete sie, Corinne könnte ihre euphorische Stimmung bemerken und ganz eigene Schlüsse daraus ziehen. Jetzt musste Emily auf der Hut sein.

      „Och, im Großen und Ganzen lief es erstaunlich gut“, gab sie sich unbefangen. „Er war sehr sympathisch und viel freundlicher als erwartet. Du wirst zufrieden sein, denke ich. Ich wollte gerade mit der Ausarbeitung beginnen.“

      Wie erwartet, ließ sich Corinne nicht so schnell abwimmeln.

      „Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Schätzchen. Sag, ist er wirklich so sexy wie im Film oder hat er in Wirklichkeit einen Bauchansatz und fettige Haare? Hat er dir etwas über sein ausschweifendes Liebesleben erzählt? Bei hübschen und sanftmütigen Frauen wie dir werden die Männer doch schwach und fangen an, aus dem Nähkästchen zu plaudern.“ Sie kicherte vergnügt.

      Emily spürte einen Anflug von Unmut. Sie beschloss, Corinne vorerst nur das Nötigste mitzuteilen und vor allem über ihre geplante Verabredung mit Leary Stillschweigen zu wahren.

      „Es tut mir leid für dich, Corinne, aber du hast in der Tat ein Prachtexemplar von Mann verpasst. Ganz ohne Bauchansatz und fettige Haare, stattdessen mit einem sexy Sixpack und verführerisch nach Shampoo duftend.“ Sie musste unwillkürlich lächeln, als sie an Connors Erscheinungsbild dachte. „Jetzt sei mir nicht böse, aber ich bin gerade in meine Arbeit vertieft und würde gerne weitermachen.“

      „Ach was, du musst doch mehr oder weniger nur das Band abtippen und ein bisschen drum herum schreiben. So stressig ist das doch nicht, schließlich willst du nicht den Pulitzerpreis gewinnen. Ich möchte wissen, wie er war und was er erzählt hat.“

      Emily seufzte genervt. „Ganz ehrlich, Corinne. Momentan passt es mir gar nicht. Die Unterbrechung bringt mich total aus dem Konzept. Ich erzähle dir morgen alles haarklein. Versprochen.“

      Corinne versuchte erst gar nicht, ihren Unmut zu verbergen.

      „Na hör mal, Emily. Ich schustere dir den interessantesten Auftrag deiner bisherigen Karriere zu und du mauerst. Gibt es einen Grund für diese plötzliche Schweigsamkeit?“

      „Ach was“, Emily bemühte sich, überzeugend zu klingen. „Wie kommst du denn darauf?“

      „Nun“, Corinne machte eine vielsagende Pause, „vielleicht, weil er vorhin in der Redaktion angerufen hat, um dich zu sprechen.“

      „Mich?“, Emilys Herz überschlug sich. „Vermutlich wollte er mir noch einige Infos nachreichen, die ihm wichtig sind.“ Sie merkte, dass ihre Worte wenig überzeugend klangen. „Hat er etwas ausrichten lassen?“

      „Sollte er?“, Corinnes Stimme klang spitz.

      „Wohl eher nicht“, mutmaßte Emily verlegen.

      „Dann ist ja alles gut“, erwiderte Corinne, ohne weiter auf Learys Anruf einzugehen. „Falls du wieder in Plauderstimmung sein solltest, weißt du ja, wo du mich erreichen kannst. Ansonsten sehe ich dich am Montag in der Redaktion – mit dem fertigen Interview, wenn ich bitten darf.“

      „Klar, du kannst dich drauf verlassen.“

      Verwirrt legte Emily den Hörer auf. Hoffentlich war Corinne jetzt nicht allzu sauer. Sie hatte recht, es gab nicht den geringsten Grund, sie über den Verlauf des Interviews im Unklaren zu lassen. Emily ärgerte sich über ihre eigene Dummheit. Jetzt würde Corinne erst recht neugierig sein, das war klar. Ihre Gedanken wanderten zu Leary. Warum er wohl in der Redaktion angerufen hatte? Ob er den vereinbarten Termin doch nicht einhalten konnte? Ein Anflug von Enttäuschung machte sich bei dieser Vorstellung breit, verbunden mit der Sorge, dass er ihrer Chefin von der Verabredung am Sonntag erzählt haben könnte. Emily war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, dass Corinne Emilys Eigenmächtigkeit befürworten würde.

      Gedankenverloren setzte sie sich wieder an ihren Laptop, als das Telefon ein weiteres Mal schellte.

      „Verflucht noch mal“, Emily stöhnte gereizt auf. Konnte man denn keinen Augenblick Ruhe haben? Bestimmt war es wieder Corinne, die einen zweiten Versuch starten wollte, sie auszufragen.“ Sie knurrte ein unfreundliches „Simon“ in den Apparat.

      „Ich scheine zu stören!“

      Emily durchfuhr es siedend heiß. Leary war am Telefon. Seine Stimme hätte sie bereits jetzt unter Tausenden erkannt.

      „Oh, Mr. Leary, Verzeihung, ich wollte nicht unhöflich sein.“ Sie brach ab, ihr fehlten wieder einmal die Worte.

      „Ich muss mich entschuldigen“, er klang zerknirscht. „Frau Vallée war so freundlich, mir Ihre Nummer zu geben. Ich hoffte, Sie hätten womöglich Lust und Zeit, mir heute Nachmittag Ihre Stadt zu zeigen. Oder müssen Sie dringend an einem wichtigen Interview arbeiten?“ Er lachte leise.

      „Das muss ich tatsächlich“, murmelte Emily verhalten.

      „Schade“, es klang bedauernd. „Sie haben mich vorhin auf den Geschmack gebracht, mir die Stadt anzuschauen. Alleine habe ich allerdings keine Lust dazu und Leo ist keine erstrebenswerte Alternative. Die Besprechung mit ihm habe ich auf das Nötigste beschränkt, weshalb ich jetzt den Rest des Tages frei habe. Können Sie sich nicht losreißen und mich begleiten? Sehen Sie es als praktischen Input für Ihre Arbeit an.“

      Emily zögerte nur einen kurzen Moment, ehe sie zustimmend nickte. Erst dann fiel ihr ein, dass er sie nicht sehen konnte und noch immer auf ihre Antwort wartete.

      „Einverstanden“, beeilte sie sich zu erklären. „Ihr letztes Argument ist unschlagbar. Wo wollen wir uns denn treffen?“

      Erneut erklang sein fast schon vertrautes Lachen. „Sie wissen ja, dass ich mich in Düsseldorf überhaupt nicht auskenne? Wie gesagt, außer meinem Hotel habe ich noch nichts hier gesehen. Sie müssen also den Ort bestimmen, und ich rufe mir dann ein Taxi, das mich dort hinbringt.“

      „Dann ist es einfacher, ich hole ich Sie ab. Wann passt es Ihnen denn?“

      „Wenn Sie mich so fragen, je eher, desto besser. Mir fällt gerade ziemlich die Decke auf den Kopf.“

      Emily überlegte kurz. „Wahrscheinlich brauche ich eine halbe Stunde, vielleicht etwas länger – je nach Verkehrslage. Ist das in Ordnung?“

      „Selbstverständlich.“ Er klang erfreut. „Ich warte gerne auf Sie. See you soon.“

      Nachdem er das Gespräch beendet hatte, schaute Emily nachdenklich auf ihr Telefon, das sie noch immer in ihrer Hand hielt. Was hatte dieser Anruf zu bedeuten?

      Zügig lenkte sie zum zweiten Mal an diesem Tag ihren Käfer zum LeGrand. Sie hatte das Verdeck ihres Cabrios heruntergeklappt und genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen dieses Frühsommers. Was für ein verrückter Tag war das heute. Sie reckte sich ein wenig und stellte fest, dass sie sich freute. Ein Gefühl, das sie in letzter Zeit nicht allzu häufig verspürt hatte. Meistens bestimmten Stress und Hektik ihr Leben.

      Ein Grund mehr, diesen Nachmittag in vollen Zügen zu genießen. Frohgelaunt stieg sie aus und betrat zum zweiten Mal an diesem Tag die prunkvolle Hotelhalle. Suchend irrte ihr Blick umher. Hier konnte sie Connor Leary nirgendwo entdecken. Offensichtlich wartete er oben auf sie. Erneut wandte sie sich an den freundlichen Portier, der ihr bereits am Morgen weitergeholfen